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SPD-KanzlerkandidatDer unsichtbare Herr Scholz

Lesezeit 8 Minuten
Scholz dpa

Olaf Scholz

  1. Eigentlich hat die SPD dieses Mal eine Menge richtig gemacht.
  2. Das Wahlprogramm passt, die Partei präsentiert sich geeint.
  3. Und doch kommt SPD-Kandidat Olaf Scholz in Umfragen nicht vom Fleck.

Berlin – Olaf Scholz sagt Sätze, die für ihn früher unvorstellbar waren. Und er sagt solche, von denen er sich schon ewig vorgestellt hat, sie zu vorzutragen.

Saskia Esken sei „wirklich eine ganz beeindruckende Frau“, lobt der Vize-Kanzler die ehemalige Hinterbänklerin, gegen die er den Kampf um den SPD-Vorsitz verloren hat. Ganz besonders ihr sei es zu verdanken, dass die SPD eine geschlossene, zuversichtliche Partei sei, die den Menschen eine Zukunftsperspektive biete. Scholz hätte sich vor zwei Jahren wohl nicht mal im Traum vorstellen können, dass er diese Sätze einmal so sagen würde. Saskia Esken, Superfrau – so ungefähr klingt das. Sollten Scholz die Lobhudelei schwerfallen, lässt er sich das nicht anmerken. Nüchtern und sachlich wie immer trägt der Vize-Kanzler seine Botschaft vor – in einem digitalen Grußwort für die Genossen des baden-württembergischen Wahlkreis Calw und Freudenstadt. Esken will hier erneut als Bundestagskandidatin antreten.

Olaf Scholz, Supermann, Superkanzler

Und doch dürfte Scholz, dunkles Sakko, weißes Hemd, keine Krawatte, der zweite Teil seiner Rede leichter über die Lippen gehen. „Die SPD hat alle Chancen, dass sie am Ende vorne liegt und dass ich der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein kann“, sagt er. Er spricht das mit derselben Selbstverständlichkeit aus, mit der andere zu Hause morgens zu ihrer Ehefrau sagen: „Ich mache dann heute Abend den Wocheneinkauf. Müsste eigentlich zeitlich hinhauen.“ Olaf Scholz, Supermann, Superkanzler: So sieht er sich. Schon lange.

Er will Kanzler werden, und im Grunde sind die Voraussetzung dafür gar nicht mal schlecht. Es gibt kaum jemanden, der ihm das Amt nicht zutrauen würde, selbst die größten Gegner zweifeln nicht an seiner Qualifikation. Scholz war Innensenator und Bürgermeister Hamburgs, Arbeitsminister, Finanzminister, Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Gegen ihn ist die Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, ein Greenhorn. 16 Jahre Regierungserfahrung gegen null. Auch vor Konkurrenz aus der Union muss Scholz sich nicht verstecken. Angela Merkel, an der sich die SPD vier Mal in Folge in Zähne ausgebissen hat, ist so gut wie weg. Bei der Suche nach einem Nachfolger haben sich CDU-Chef Armin Laschet und der CSU-Vorsitzende Markus Söder einen blutigen Machtkampf in aller Öffentlichkeit geliefert. Laschet zieht mit argen Blessuren und einer gespaltenen Union in den Wahlkampf.

Die SPD ist geschlossen wie nie

Die sonst für ihre Machtkämpfe so berüchtigte SPD hingegen ist geschlossen wie nie. Das Programm steht, die Kampagne auch. Olaf Scholz könnte, ja er müsste eigentlich durchstarten. Aber er tut es nicht. Wie festgemauert ist seine SPD in den Umfragen, 15 Prozent plus minus – so geht das seit Monaten. Wenn es Ausschläge gibt, dann eher nach unten. Es gibt keinen Lichtblick, kein Momentum, eher im Gegenteil.

Man wolle Wahlen gewinnen und keine Umfragen, wiederholen sie gebetsmühlenartig im Willy-Brandt-Haus. Auch Scholz selbst hält eisenhart an dem Anspruch auf die Kanzlerschaft fest. Wenn die Menschen erst verstünden, dass Angela Merkel nicht erneut zur Bundestagswahl antritt, wenn erst der Hype der Grünen vorbei sei, dann würden die Menschen schon erkennen: Scholz ist der qualifizierteste Kandidat.

Es sind sehr viele Wenns. Und vor allem: Die Uhr tickt. Mit jedem Tag, den die Umfragewerte im Keller bleiben, wird der Anspruch von Scholz unglaubwürdiger. Schon jetzt gibt es eine Debatte darüber, ob es überhaupt Sinn macht, in der heißen Wahlkampfphase so genannte TV-Trielle mit Baerbock, Laschet und Scholz zu organisieren. Wäre angesichts der schwachen SPD-Umfragewerte ein klassisches Duell zwischen Baerbock und Laschet nicht angemessener?

Kanzler zu werden ist schon lange Scholz’ Plan

„Unter keinen denkbaren Umständen“ werde Olaf Scholz Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, spottete FDP-Vize Wolfgang Kubicki jüngst im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland). Dass er an dem Anspruch festhalte sei „langsam ziemlich albern“. Es ist eine Demütigung für Scholz, aber vielleicht liegt darin auch eine Chance. Immer wenn er abgeschrieben war, wenn niemand mehr an ihn geglaubt hat, kam er in der Vergangenheit zurück.

Kanzler zu werden, das ist schon lange Scholz’ Plan. Nach dem Rückzug des glücklosen Martin Schulz übernahm Andrea Nahles im Jahr 2018 das Kommando in der SPD und holte ihren engen Vertrauten Scholz als Finanzminister und Vizekanzler nach Berlin. Sie die Partei, er das Land – so hatten die beiden die Macht aufgeteilt. Doch missglückte Auftritte und verlorene Landtagswahlen kratzten an Nahles’ Autorität, am Ende wurde sie sie von der eigenen Bundestagsfraktion demontiert.

Es gibt Menschen in der SPD, die Scholz bis heute vorwerfen, dass er Nahles in der schwierigen Phase nicht ausreichend unterstützt habe. Als sie die Brocken hinwarf, hätte es ihn beinahe ebenfalls hinweggefegt. In höchster Not und mit einer wenig glaubwürdigen Begründung erklärte Scholz, den SPD-Vorsitz nicht anzustreben: keine Zeit. Zwei Monate später, als sich die Wogen wieder geglättet hatte, fand er die Zeit dann doch – und stieg an der Seite der Brandenburgerin Klara Geywitz in das Rennen um die Parteispitze ein. Es folgte die bitterste Stunde in der politische Karriere des Olaf Scholz: die Niederlage gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

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Ein zweites Mal wurden die Abgesänge auf Scholz geschrieben, ein zweites Mal blieb er stehen. Kämpfte sich zurück in das Zentrum der Partei, schloss seinen Frieden mit Esken und Walter-Borjans. Die machten ihn schließlich zum Kanzlerkandidaten. Weil sie es selbst nicht konnten – und weil sie niemanden sonst mit seiner Erfahrung und seinen Kompetenzwerten hatten. Die Vorsitzenden haben ihr politisches Schicksal an das von Scholz geknüpft. Scheitert er, scheitern sie.

Die Karriere von drei Politikern jenseits der 60 ist das eine. Auf dem Spiel steht bei dieser Bundestagswahl aber die gesamte Zukunft der SPD. Wie geht es weiter mit der Partei, die seit 160 Jahren da ist, zwei Weltkriege und die Nazi-Herrschaft überdauert hat? Spielt die SPD, die das Land geprägt hat wie keine andere Partei, noch eine Rolle als politische Kraft in diesem Land? Auch darüber wird am 26. September mitentschieden. Das ist das Verrückte an diesem Wahljahr. Die SPD könnte untergehen. Oder sie stellt den nächsten Bundeskanzler. Theoretisch ist beides drin.

Immerhin: Scholz hat eine Machtperspektive – auch jenseits von Rot-Rot-Grün, einem Bündnis, dem er selbst wenig abgewinnen kann. Eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP wäre denkbar. Daran klammern sie sich in Scholz’ Umfeld – auch wenn FDP-Chef Christian Lindner keine Lust auf ein solches Bündnis hat. Und die inhaltlichen Unterschiede in der Finanz-, Wirtschafts- und Klimapolitik zur FDP gigantisch sind.

Schlagzeilen, die Scholz brauchen kann wie Fußpilz

Scholz’ Problem: Saskia Esken plaudert öffentlich immer mal wieder über ihre Lieblingsoption Rot-Rot-Grün. Jüngst gab die SPD-Chefin sogar zu Protokoll, dass sie eine Beteiligung der SPD an einer grün-geführten Regierung für ein realistisches Szenario hält. „SPD-Chefin gibt Wahl verloren“ schrieb die Bild-Zeitung. Es sind Schlagzeilen, die Scholz brauchen kann wie Fußpilz.

Esken ist – trotz aller nach außen getragenen Harmonie – ein Wahlkampfrisiko für den Kandidaten. Es kann immer wieder passieren, dass sie Debatten vom Zaun bricht, die er nicht braucht. Absichtlich oder unabsichtlich. Hält sie an ihren Äußerungen zu einer möglichen Regierungsbeteiligung unter den Grünen fest? „Ich fokussiere meine Arbeit darauf, dass Olaf Scholz Bundeskanzler wird“, sagt sie. Scholz kann nur hoffen, dass das stimmt.

An diesem Wochenende nun soll ein Ruck durch die Partei gehen. Mit Blick auf den Parteitag am Sonntag fällt immer wieder das Wort vom Startschuss. „Das Schattenboxen ist vorbei“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Es gebe viele Konservative in Deutschland die Laschet nicht für ein überzeugendes Angebot hielten und auch viele Menschen, die keine grüne Kanzlerin wollten.

Ist ein echtes Aufbruchssignal überhaupt möglich?

Doch ist in einer solch verfahrenen Situation ein echtes Aufbruchssignal überhaupt möglich – und das auch noch durch einen Parteitag, bei dem wegen der Corona-Pandemie die 600 Delegierten nur digital zugeschaltet werden können? Mit einem Kandidaten, der schon aus sich rausgeht, wenn er mal „Moin, moin“ sagt? In der SPD wissen sie jedenfalls, dass sie die Kampagne schnell in Gang bekommen müssen.

Das Problem ist: Scholz bleibt immer der gleiche nüchterne Scholz – egal, wie die Lage gerade ist. Klar ist aber auch: Wenn die Umfragewerte nicht bald steigen, droht der Satz „Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“ für Scholz bald ähnlich unangenehm zu werden wie für Martin Schulz in der Endphase des Wahlkampfs 2017.

Olaf Scholz ist 62 Jahre alt. Wenn er jetzt scheitert, werden in der SPD Jüngere nach vorn drängen. Manuela Schwesig ist nach ihrer Krebserkrankung wieder fit. Lars Klingbeil wäre schon bei der letzten Parteivorsitzenden-Wahl gern im Duo mit ihr angetreten. Kämpft Arbeitsminister Hubertus Heil um seine politische Zukunft? Und: Wagt Kevin Kühnert den Sprung nach ganz vorn?

Saskia Esken gibt Olaf Scholz bei ihrer Bewerbungsrede um die Nominierung im Wahlkreis übrigens alles Lob zurück. Das Land brauche „einen Kanzler, dessen Integrität und dessen Kompetenz unbestritten sind“. Er müsse mutig sein, führen und Orientierung geben können. „Man muss ihm etwas zutrauen und man muss ihm vertrauen können“, sagt Esken. „Olaf Scholz ist der Kanzler, den Deutschland jetzt braucht.“

Olaf Scholz, Supermann. Die Nominierung als Wahlkreiskandidatin hat Esken mit dieser Botschaft gewonnen.