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Streit um NobelpreisWer hat die mRNA-Vakzine wirklich erfunden?

Lesezeit 6 Minuten
Forscher Impfstoff dpa

Ein Forscher arbeitet an der Entwicklung eines Impfstoffes. 

Berlin – Die Gelassenheit, die Robert Malone bei diesem Videointerview an einem Junivormittag amerikanischer Ostküstenzeit ausstrahlt: Sie ist ganz sicher trügerisch. Mit seinem grauen, dichten Vollbart, den schmalen Augen und der festen Stimme wirkt der 61-Jährige wie jemand, der nur durch wenig zu erschüttern ist. Doch die Geschichte, die er dann in seinem Haus in Madison, Virginia, erzählt, handelt von Schmerz und Enttäuschung. „Es fühlt sich an“, sagt er, „wie eine Vergewaltigung.“Was Malone meint, ist das Gefühl, etwas entdeckt und beschrieben zu haben, vielleicht als Erster oder jedenfalls als einer der Ersten – und dann zu sehen, wie andere, die später kamen und darauf aufbauten, gefeiert und gerühmt werden. „Und das ist schon schmerzhaft.“

Der Beweis der Machbarkeit

Die Geschichte, um die es ihm geht, liegt mehr als 30 Jahre zurück. Ende der Achtzigerjahre ist Malone ein junger, brennend ehrgeiziger Wissenschaftler am Salk Institute in Kalifornien. Wie viele Forscher dieser Zeit ist er beseelt vom Glauben an die Möglichkeit, mittels Eingriffen in das Erbgut die großen Krankheiten der Menschheit zu besiegen. Im Jahr 1989 ist er treibende Kraft eines wissenschaftlichen Artikels, in dem beschrieben wird, wie in Fettkügelchen verpackte Boten-RNA kultivierte Zellen dazu bringt, bestimmte Proteine herzustellen.

Es ist die erste wissenschaftliche Beschreibung der Grundzüge jener Technik, die heute dabei ist, unzählige Leben zu retten und der Menschheit einen Ausweg aus der Pandemie zu weisen: der mRNA-Impfstoffe.

„Robert Malone hat als Erster dieses Prinzip und damit die Basis für die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe beschrieben“, sagt der Immunologe Jan Dörrie, Spezialist für RNA-basierte Immuntherapie am Universitätsklinikum Erlangen.

Und doch ist Robert Malone außerhalb der wissenschaftlichen Spezialistenwelt kaum jemandem bekannt. Kann das gerecht sein? Und wem gebührt der Ruhm für diese Technik?

Der Durchbruch einer Frau

Knapp eineinhalb Jahre nach dem Beginn der Pandemie ist der Kampf um den Ruhm jedenfalls in vollem Gange. Klar scheint im Juni 2021, dass es speziell die mRNA-Impfstoffe sind, die den größten Beitrag dazu leisten, dem Coronavirus seinen Schrecken zu nehmen. Sie alle beruhen auf demselben Prinzip: Sie enthalten eine Boten-RNA, also den Bauplan für bestimmte Virusfragmente, gegen die der Körper dann Antikörper bildet. Diese Mittel sind allen Studien zufolge hochwirksam, rasch in großen Mengen herzustellen und obendrein leicht auf neue Mutanten anpassbar – lauter Vorteile, die vor der Verkündung im Oktober auch das Nobelpreiskomitee beschäftigen dürften.

Nur: Wer hat den großen Preis verdient?

In den USA gibt es darauf bereits eine Antwort. Dort gilt Katalin Karikó als „Mutter der mRNA-Vakzine“. Die Ungarin siedelte 1985 mit ihrer Familie in die USA über, forschte seit den frühen Neunzigerjahren an mRNA – und beschrieb 2008 mit ihrem Kollegen Drew Weissman eine Modifikation, dank der die mRNA die Immunabwehr der Zellen unterläuft und nicht so rasch zerstört wird.

Karikó forscht an der University of Pennsylvania. Die Mainzer Firma Biontech hat sich ihre Dienste gesichert, dort hat sie eine Stelle als Vizepräsidentin inne. Bei der Nobelpreisvergabe kann sie auf wichtige Fürsprecher zählen. Wenn man ihn irgendwann frage, erklärte Derek Rossi, Mitgründer des Pharmakonzerns Moderna, „würde ich sie ganz nach vorne in die Mitte stellen“.

Dorthin, in die erste Reihe, gehört sie nach Meinung vieler Forscherkolleginnen und -kollegen auch. Nur eben nicht allein. Das sieht sie auch selbst so. „Ich habe“, schreibt sie Anfang Juni in einer Mail an Robert Malone, „viele Reporter zu dir, zu Ingmar (Hoerr, Mitgründer von Curevac), zu Ugur Sahin (Mitgründer von Biontech), Stephane Bancel (Moderna) und all den anderen Wissenschaftlern auf diesem Gebiet geschickt.“

Hoerr, den Karikó hier erwähnt, zählt bereits selbst zu den Nobelpreiskandidaten.

„Der Mann, der das Impfen neu erfand“ lautet der eher unbescheidene Titel einer Biografie über ihn, die gerade im Aufbau-Verlag erschienen ist. Erzählt wird darin die durchaus auch tragische Geschichte Hoerrs: Im März 2020, zu Beginn der Pandemie, erlitt er einen Gehirnschlag. Anschließend musste er sich regelrecht ins Leben zurückkämpfen – und später miterleben, wie Curevac das Rennen um den ersten Impfstoff weit abgeschlagen verlor. Bis heute hat das Tübinger Unternehmen noch keine Zulassung.

Hoerrs wissenschaftliche Leistungen sind über jeden Zweifel erhaben. Er hat die mRNA, deren rascher Zerfall bis dahin als das Hauptproblem galt, stabilisieren können, die ersten Menschen mit mRNA geimpft und die Grundlagen für die Massenproduktion gelegt. Der Ausgangspunkt war für ihn Ende der Neunzigerjahre eine zentrale Erkenntnis: dass sich in Mäusen mittels mRNA eine Immunreaktion erzeugen lässt, ursprünglich ein Zufallsfund. „Da wurde mir klar, dass ich ein grundlegendes Prinzip entdeckt hatte: Man kann mit mRNA impfen“, sagte Hoerr im Mai der „Zeit“.

Doch auf dem Weg dahin waren zuvor auch schon andere weit gekommen – die Franzosen Pierre Meulien und Frédéric Martinon etwa, aber auch Peter Liljeström. 1994 beschrieb der Wissenschaftler vom Karolinska-Institut in Stockholm, wie er Mäuse auf diese Art gegen Influenza impfte und eine starke, anhaltende Immunreaktion beobachtete – bereits 1988.

Von Bitternis scheint Liljeström dennoch frei. „Ich freue mich sehr, dass die mRNA-Impfstoffe heute so erfolgreich im Einsatz sind“, sagt er. „Und dass wir einen Beitrag dazu leisten konnten.“ Auch er habe damals versucht, diese Technik weiterzuentwickeln, doch er fand keine Geldgeber: „mRNA galt als zu riskant.“ Zu instabil, zu unzuverlässig, nichts für die Zukunft. Ein historischer Irrtum.

Die Frage, wer der oder die Erste war, sei kaum mehr zu klären. „Damals forschten eine Menge Leute parallel an dem Thema, uns haben die gleichen Fragen umgetrieben“, sagt Liljeström. „Aber wir waren wohl einfach zu früh.“

Doch wem gebührt nun die Anerkennung für diese Impfstoffe? Denjenigen, die die ursprüngliche Idee hatten? Oder denen, die diese Idee gegen alle Widerstände bis zum Ende weiterverfolgten?

Andreas Radbruch, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheumaforschungszentrums Berlin, zählt die Arbeiten Hoerrs, Karikós sowie des Biontech-Gründers Sahin zu den entscheidenden Schritten – und die von Liljeström: „Fairerweise müsste er dabei sein.“

„Auf keinen Fall wäre es angemessen, die Entwicklung von jenen zu trennen, die die ursprünglichen Anstöße gegeben haben“, sagt auch der Erlanger Immunologe Dörrie.

„35 Jahre, Hunderte von Wissenschaftlern, unzählige Firmen, und Milliarden von Dollar haben zu der heutigen mRNA-Impfung geführt“, sagt Philip Felgner, Direktor des Impfstoffzentrums an der University of California Irvine. „Der Dank kann großräumig verteilt werden.“ Wobei er den Ursprung der Forschung im Jahr 1984 ausmacht – dem Jahr, als an seinem Labor im Syntex-Institut in Palo Alto jene Nanopartikel entdeckt wurden, in denen Gene in Zellen eingeschleust werden können. Eine Technik, die auch die heutigen Impfstoffe nutzen.

Kein Nobelpreis für alle

Es ist, als würde, wer nach den Ursprüngen der Impfstoffe fragt, kaum je an ein Ende kommen. Zu den Regeln des Nobelpreises zählt es, dass höchstens drei Wissenschaftler pro Kategorie ausgezeichnet werden dürfen. Das könnte vielleicht auch ein Hindernis bei dem Versuch, den Preis überhaupt für diese Entdeckung zu vergeben, sein.

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Robert Malone, der Autor des ersten Artikels, hat später nie wieder zu dem Thema gearbeitet. Geblieben ist aber seine Empfindlichkeit, falls jemandes Beitrag zu diesen Impfstoffen unterschlagen wird. Auch seine Forschungen seien nur dank anderer Vorläufer möglich gewesen, betont er. „Wir stehen alle auf den Schultern von Giganten“, sagt er, in Abwandlung eines alten Newton-Zitats. Im Fall der mRNA-Impfstoffe scheint das besonders zu gelten.