Bislang klafft in Europa eine Lücke im Schutz gegen russische Angriffe. Raketen des Systems Arrow 3 sollen diese nun schließen.
Tausende Kilometer RadiusDeutsches Arrow 3 kann ganz Europa schützen
Im Westen Russlands startet eine Rakete, ihr Ziel: Berlin. Abgeschossen von einem Kampfflugzeug beschleunigt sie auf mehrere Tausend Kilometer pro Stunde, um die rund 2000 Kilometer entfernte Stadt in weniger als zehn Minuten zu erreichen. Doch kurz darauf erkennen europäische Radarsysteme die Gefahr. Im Fliegerhorst Holzdorf, rund 100 Kilometer südlich der deutschen Hauptstadt, startet ebenfalls eine Rakete und rast mit neunfacher Schallgeschwindigkeit Richtung obere Erdatmosphäre.
Nach dem Start berechnet ein System am Boden auf welcher Flugbahn sich die russische Rakete befindet – und lenkt die eigene automatisch auf diese Route um. In rund 100 Kilometern Höhe kommen sich die Flugkörper immer näher bis sie schließlich kollidieren. Treffer versenkt.
Wo „Arrow 3“ stationiert werden sollen
Dieses Szenario ist aus zweierlei Gründen in den vergangenen Monaten realistischer geworden. Zum einen, weil Russlands Präsident Wladimir Putin seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine auch anderen europäischen Staaten droht. Und zum anderen, weil Deutschland auf diese Gefahr reagiert hat. Das Raketenabwehrsystems Arrow 3 soll installiert werden.
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Wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) aus dem Verteidigungsministerium erfahren hat, sind die Pläne bereits soweit fortgeschritten, dass die Standorte der Raketen feststehen. Insgesamt drei sollen es sein: im Großraum München, zwischen Kiel und Flensburg sowie an der Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt im Fliegerhorst Holzdorf. Bei letzterem wird der 1. September 2025 als Startdatum anvisiert, bis zum Ende des Jahres soll sich dann ein Schutzschild über ganz Europa erstrecken.
Zukauf aus Israel statt Eigenentwicklung
Schon seit Jahren gibt es Überlegungen, Europa mit einem Abwehrsystem zu schützen. Die Idee, ein eigenes System zu entwickeln, wurde aber nie umgesetzt. Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine bekam das Thema eine neue Dringlichkeit. Im August 2022, ein halbes Jahr nach Beginn der Angriffe, hielt Bundeskanzler Olaf Scholz in Prag eine Grundsatzrede. Er kündigte an, Deutschland werde in den kommenden Jahren „ganz erheblich“ in die Luftverteidigung investieren. Zugleich werde Deutschland diese zukünftige Luftverteidigung „von Beginn an so ausgestalten, dass sich auch unsere europäischen Nachbarn daran beteiligen können, wenn es gewünscht wird“.
Fündig geworden ist die Bundesregierung in Israel. Dort spannt sich seit 2010 der Iron Dome – die eiserne Kuppel – über das Land. Regelmäßig fängt das System palästinensische Raketen ab. Arrow 3 ist seit 2017 ein Teil des Schutzschirms. An diesem System bedient sich nun auch Deutschland. Israel, wo das das Herstellungsunternehmen Israel Aerospace Industries sitzt, hat den Deal bereits bestätigt.
Kosten von rund 4 Milliarden Euro
Nun haben auch die USA, wo Boeing an der Entwicklung beteiligt ist, dem Verkauf zugestimmt. Damit ist der Weg für den Milliardendeal grundsätzlich frei. Es sei der größte Rüstungsdeal seit der Staatsgründung vor 75 Jahren, hieß es in einer Mitteilung des israelischen Verteidigungsministeriums.
Die US-Billigung galt als letzte größere Hürde für den historischen Vertrag zwischen Deutschland und Israel. Die Vereinbarung solle nun von den Verteidigungsministerien beider Länder und Israel Aerospace Industries unterzeichnet werden, hieß es in der Stellungnahme. Die Kosten für das gesamte System werden auf rund 4 Milliarden Euro geschätzt. Alleine eine einzige der rund sieben Meter langen Arrow-3-Raketen schlägt mit 2 bis 3 Millionen Euro zu Buche.
Arrow 3 könnte auch russische Kinschal Raketen abwehren
Das System gilt als das derzeit leistungsfähigste der Welt. Zu ihm gehören neben den Raketen ein Startkontrollzentrum, ein Radar, die Einheit von der die Raketen abgefeuert werden und Zubehör. Ihre Stärke spielen die Arrow-3-Raketen vor allem in der Luft aus. Zum einen sind sie auch nach Abschuss manövrierfähig. Vom Kontrollzentrum aus können Signale an den Gefechtskopf gesendet werden, der seine Flugbahn dann anpasst.
Das wäre vor allem gegen ebenfalls manövrierfähige Raketen wie die russische Kinschal von Vorteil. Mitglieder des Verteidigungsausschusses mit der Vorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) reisten schon Ende März vorigen Jahres nach Israel, um Arrow 3 zu begutachten. Das Ergebnis hat offenbar überzeugt. Auch Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz hält große Stücke auf das System, sodass Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zur Tat schritt.
Ganz Europa unter dem Schutzschirm
Denn: Das System kann selbst dann wirken, wenn die feindliche Rakete doch nicht exakt getroffen wird. Ein Zünder im Sprengkopf kann ausgelöst werden, wenn sich die feindliche Rakete nähert. Die Splitter, die bei der Explosion abgefeuert werden, besitzen ausreichend Zerstörungskraft. Außerdem kann das gesamte System so programmiert werden, dass innerhalb von 30 Sekunden bis zu fünf Raketen abgefeuert werden. Sollte bereits die erste einen Treffer landen, werden die übrigen auf andere Ziele umgelenkt.
Das in Deutschland stationierte Schutzschild ist so angelegt, dass es den gesamten Kontinent vor Raketeneinschlägen bewahren soll. In der Initiative European Sky Shield haben sich 15 Staaten zusammengeschlossen, die sich gemeinsam wappnen wollen. Die Zusammenarbeit soll mit der gesamten NATO abgestimmt werden.
Europäischer Schutzschild soll aus drei Schichten bestehen
Die Reichweite der Raketen beträgt 2400 Kilometer. Nimmt man diesen Radius ausgehend vom Fliegerhorst Holzdorf an, liegen Portugal, weite Teile der Türkei, die Ukraine, Skandinavien und sogar Island unter dem Schutzschirm. Wegen der Projektion der Weltkarte sieht die Reichweite Richtung Norden größer aus, in der Realität ist dies jedoch nicht der Fall.
Doch das alleine reicht nicht aus für einen effizienten Schutz: Wie beim israelischen Iron Dome soll auch der europäische Schutzschirm aus drei Schichten bestehen. Jede Schicht soll dabei verschiedene Flughöhen und Reichweiten abdecken. Arrow 3 ist die oberste Schicht mit großer Reichweite und einer Höhe über 25 Kilometer. Darunter kommt ab 2024 das System Iris-T zum Einsatz.
Es stammt vom deutschen Unternehmen Diehl Defence und wird auch in der Ukraine verwendet. Vorgesehen ist der Kauf von sechs Feuereinheiten. Iris-T soll Raketen auf kürzerer Distanz und in einer Höhe von rund 20 Kilometer abfangen können. Bereits eingeführt ist das System Patriot für die unterste Schutzschicht. Es ist mobil und kommt vor allem bei geringeren Flughöhen zum Einsatz. (rnd)