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Türkei, Tansania, StammheimWohin es die prominenten „Querdenker“ verschlagen hat

Lesezeit 3 Minuten
Attila Hildmann, Autor veganer Kochbücher, 2020 bei einer Demonstration vor dem Reichstag.

Attila Hildmann, Autor veganer Kochbücher, 2020 bei einer Demonstration vor dem Reichstag.

Viele „Querdenker“ hat es ins Ausland verschlagen. Attila Hildmann fühlt sich in der Türkei sicher, Michael Ballweg bekommt in der Untersuchungshaft Zuspruch von unerwarteter Seite. Ein Überblick.

Attila Hildmann fühlt sich sicher im türkischen Exil. Der frühere Vegankoch, gegen den die deutsche Justiz wegen Volksverhetzung und Beleidigung in mehr als 1000 Fällen ermittelt, muss seine Auslieferung zurzeit nicht fürchten. Obwohl ein Interpol-Haftbefehl gegen Hildmann vorliegt, nehmen ihn die türkischen Behörden nicht fest. „Auslieferungsersuche können erst gestellt werden, wenn eine Festnahme erfolgt ist oder ein Staat mitgeteilt hat, dass eine solche Festnahme unmittelbar beabsichtigt ist“, teilt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf RND-Anfrage mit. „Keine dieser beiden Konstellationen ist derzeit gegeben.“

So kann Hildmann weiter auf Telegram über den „bolschewistischen BRD-Gulag“ hetzen und seine neue Heimat loben: „Türkiye ist ein freies Land. Deutschland ist das Irrenhaus, wo ich wegen hate speech Interpol kriege.“ Nur seine Reichweite ist deutlich gesunken.

Mehrere prominente „Querdenker“ und Corona-Maßnahmen-Kritiker stehen wie Hildmann vor der Wahl: Bleiben sie im Exil oder stellen sie sich einem Prozess in Deutschland?

Bodo Schiffmann, Schwindelarzt aus Sinsheim in Baden-Württemberg, hält sich zurzeit in Tansania auf. In der Nähe des Kilimandscharo wirbt er um deutsche Touristen für ein nach ihm benanntes Hotel, in den sozialen Netzwerken sinniert er, hinterlegt von Vogelgezwitscher und Grillenzirpen, von „Wahrheitskriegen“ und einem „großen Plan der Eliten“.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Volksverhetzung

Gegen Schiffmann ermittelte die Staatsanwaltschaft Heidelberg wegen falscher Maskenatteste und Volksverhetzung, ein Prozess könnte im Frühjahr starten. Im vergangenen Jahr hatte Schiffmann über seinen Anwalt erklären lassen, er werde sich dem Prozess stellen.

Seine Berufskollegin Carola Javid-Kistel aus dem niedersächsischen Duderstadt hingegen sagt in einer Videobotschaft aus ihrem „Zwangsexil“ in Mexiko, sie werde sich der deutschen Justiz weiterhin entziehen. Eine Rückkehr sei „erst möglich, wenn eine Generalamnestie für Ärzte im Widerstand erlassen wird“, sagt sie. „Ich habe wirklich keine Lust, ins Gefängnis zu gehen.“ Auch ihr wird das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse und Volksverhetzung vorgeworfen. Während Schiffmann Impfärzte mit dem NS-Kriegsverbrecher Josef Mengele verglichen haben soll, wird Javid-Kistel vorgeworfen, sie habe gesagt, was zurzeit in Deutschland ablaufe, sei „schlimmer als der Holocaust“.

Michael Ballwegs Anwälte ziehen vors Bundesverfassungsgericht

Der prominenteste „Querdenker“ Michael Ballweg wiederum sitzt seit Ende Juni in Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft. Seine Anwälte dementieren, dass der Gründer von „Querdenken-711″ vor seiner Festnahme konkret geplant habe, sich ins Ausland abzusetzen, von Costa Rica war die Rede.

Die Ermittlungen wegen des Vorwurfs des gewerbsmäßigen Betrugs und der Geldwäsche gestalten sich kompliziert. Ballweg hatte zur Hochphase der „Querdenken“-Demonstrationen immer wieder um Schenkungen für die Bewegung geworben und diese vereinnahmt. Er gibt aber an, weit mehr Geld in die Organisation der Großdemonstrationen gesteckt zu haben. Zwischen lokalen „Querdenken“-Organisatoren und Ballweg gab es immer wieder Streit um die Finanzen.

Zuletzt reichten Ballwegs Anwälte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, da er über die Frist eines halben Jahres hinaus in Untersuchungshaft bleiben muss. Das hat das Oberlandesgericht Stuttgart Anfang Januar entschieden. Auch das Amtsgericht Stuttgart hat vor Kurzem erneut die Entlassung des 48-Jährigen aus dem Gefängnis abgelehnt.

Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hatte sich auf die Seite Ballwegs gestellt. „Dieser Fall muss alle deutschen Dissidenten in Alarmbereitschaft versetzen“, schrieb der rechtsextreme Politiker. Die AfD müsse „für politisch Verfolgte“ wie Ballweg „das Wort ergreifen“.