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Osteuropaexperte im Interview„Putins Russland ist ein Gegner aller Werte“

Lesezeit 3 Minuten
Verhandlungen RU UKR dpa 250422

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) begrüßte die russische (r.) und die ukrainische Delegation in Istanbul (Archivbild)

In den Friedensgesprächen von Istanbul Ende März standen erste diplomatische Wege aus dem Krieg gegen die Ukraine im Raum. Die Unterhändler von Russland und der Ukraine sprachen neben eines Verzichts auf eine Nato-Mitgliedschaft auch über die Zugehörigkeit der Krim und des Donbass. In einem Abkommen könnte ein Zeitraum von 15 Jahren festgelegt werden, in dem die Länder während einer verpflichtenden Waffenruhe über den Status der Landesteile verhandeln. Wie realistisch ist eine solche Lösung?

Theocharis Grigoriadis, Professor für Volkswirtschaftslehre Osteuropas an der Freien Universität Berlin, hat Zweifel an den Verhandlungsmöglichkeiten. Außerdem sei der Donbass für die Ukraine wirtschaftlich kaum zu entbehren.

Herr Griogriadis, angenommen Russland bietet einen militärischen Rückzug im Gegenzug zu Verhandlungen über Donbass und Krim an: Kann die Ukraine dieses Angebot annehmen?

Unter der jetzigen russischen Regierung sehe ich keine mögliche diplomatische Lösung des Krieges. Wir haben es bei der Krim gesehen. Europa hat nach einer diplomatischen Lösung gesucht. Das hat nicht geklappt. Putins Russland ist ein Gegner aller Werte, die wir in Europa vertreten. Den Europäern sind ihre Werte aber wichtiger als ihr Geld. Das muss der russischen Seite klar werden.

Wie macht man das?

Durch Waffenlieferungen. Da macht Deutschland leider keine gute Figur, weil die Bundesregierung viele europäische Initiativen gestoppt hat und weiterhin stoppt. Wenn Deutschland eine Friedensmacht sein will, muss es einen Preis dafür bezahlen. Mit Putins Völkerrechtsbruch gibt es keine Ostpolitik mehr. Deutschland muss das Risiko und die Verantwortung von Waffenlieferungen annehmen.

Wenn es keinen diplomatischen Weg gibt, muss der Krieg dann so lange weitergehen, bis die Ukraine ihre Gebiete zurückerobert hat?

Ja, das würde ich so sagen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Europa und die USA vorstellen können, die Ukraine so langfristig zu unterstützen. Immerhin müssen die Währung stabilisiert, die Militärausgaben gedeckt und der ukrainische Markt gefördert werden.

Manche Beobachterinnen und Beobachter sagen, die Krim und der Donbass seien eigentlich schon verloren. Welche wirtschaftlichen Folgen hätte das für die Ukraine, wenn sich das bestätigt?

Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine solche Ukraine funktionieren könnte. Es wäre de facto ein „failed state“. Ein viel ärmeres Land, dessen Wirtschaft auch ohne den Krieg schon strukturschwach wäre. Die Rohstoffe im Donbass sind ein sehr wichtiger Bestandteil der Staatseinnahmen in der Ukraine, darauf kann sie eigentlich nicht verzichten.

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Immerhin gilt die Ukraine als Kornkammer der Welt.

Es gibt keine reichen Länder, die nur Getreide verkaufen. Es geht um die Industrie und die befindet sich in der Ukraine vor allem im Donbass, in Charkiw und Cherson.

Geht es also Putin vor allem darum, sich die Industrie im Donbass und nicht die gesamte Ukraine unter den Nagel zu reißen?

Russland will natürlich die Ressourcen der Ukraine. Darüber hinaus will Putin aber auch die Staatlichkeit der Ukraine endgültig beenden. Die Besetzung des Donbass ist dabei ein wichtiger Teil seiner Strategie. Das Wohlergehen und die Perspektiven der ukrainischen Wirtschaft hängen von dieser Region ab. Das hat man bereits 2014 mit der Annexion der Krim beobachten können. Seitdem hat die ukrainische Wirtschaft bereits stark gelitten. (rnd)