„Jeder weiß, er ist ein Lügner”Das TV-Duell zwischen Biden und Trump im Faktencheck
Berlin – Nie zuvor in der US-amerikanischen Geschichte nahm die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge so großen Raum in der politischen Debatte ein wie seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump. Die „Washington Post“ zählt nach eigenen Angaben pro Tag mindestens 35 Falschbehauptungen Trumps, manchmal auch mehr als 100. Doch während der TV-Debatte zwischen Trump und seinem Herausforderer Joe Biden war es mitunter unmöglich, gesicherte Fakten von „alternativen Fakten“ zu unterscheiden.
Aufgabe des Moderators ist es nicht, die Aussagen der Kandidaten auf inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Das hatte vorab Frank Fahrenkopf Jr. klargestellt, Vorsitzender der „Presidential Debate Commission“. Moderator Chris Wallace, angestellt beim rechten TV-Sender Fox News, beschrieb seinen Part so: „Einer von beiden wird der nächste US-Präsident sein und mein Job ist es da, so unsichtbar wie möglich zu sein.“
TV-Debatte: Die streitbarsten Behauptungen
Dieser Plan hat nicht funktioniert. Trumps ständige Unterbrechungen machten es dem Moderator unmöglich, im Hintergrund dieser streckenweise chaotischen Debatte zu bleiben. Doch Wallace verzichtete selbst bei offenkundig falschen Behauptungen auf kritisches Nachfragen.
Den Job der „Fact Checker“ übernahmen während und nach der Debatte Journalisten in zahlreichen US-Medien. Im nicht ganz widerspruchsfreien Bemühen um Eile und Sorgfalt gehen sie den Behauptungen von US-Präsident Donald Trump und seines Herausforderers Joe Biden auf den Grund.
Eine Übersicht über die streitbarsten Behauptungen der Kandidaten – und deren Wahrheitsgehalt:
Trump: „Ich habe Millionen von Dollar bezahlt. Millionen von Dollar.“
Falsch: Zwar hat Trump in zurückliegenden Jahren diverse Steuern gezahlt, etwa auf die Gehälter seiner Angestellten. An den Staatsfiskus aber überwies er sehr wenig, wie die „New York Times“ vor wenigen Tagen enthüllte. So zahlte Trump im Jahr 2017 lediglich 750 Dollar an Einkommenssteuer.
Trump: „Einige ihrer größten Unterstützer sind sehr liberale Leute.“
Teils richtig: Trump wirbt für seine Kandidatin für die Nachfolge der verstorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg, indem er liberale Fürsprecher der konservativen Amy Coney Barrett erwähnt. Mindestens ein bekannter Liberaler, der Harvard-Professor Noah Feldman, hat sich bisher für Barrett ausgesprochen.
Biden: „Sie hält den Affordable Care Act für verfassungswidrig.”
Übertrieben: Der US-Demokrat wirft Trumps Kandidatin für den freien Sitz im Supreme Court vor, gegen seine Pläne für ein sozialeres Gesundheitssystem zu sein. Die Richterin Amy Coney Barrett hat in der Vergangenheit zwar Vorbehalte gegen einen Ausbau des Gesetzes geäußert. Zur Frage, ob es verfassungsgemäß ist oder nicht, hat sie sich aber nicht geäußert.
Trump: „Sie wollen die Kühe wegnehmen.”
Falsch: Während der Debatte über Klimaschutz wettert Trump gegen den „Green New Deal” einiger US-Demokraten aus dem linken Parteispektrum und wirft Biden vor, diesen zu unterstützen. Biden weist dies zurück. Der „Green New Deal” fordert eine Wende in der Landwirtschaft, auch zum Zweck der Minderung klimaschädlicher Methan-Emissionen in der Milchviehwirtschaft. Über eine Abschaffung von Kühen ist darin aber nichts zu lesen.
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Biden: „Wir haben ein höheres Handelsdefizit gegenüber China als wir es zuvor hatten.”
Falsch: In der Amtszeit Trumps ging das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China zurück; die Lücke zwischen US-Exporten und Importen nach und aus China wurde kleiner. Der Grund dafür sind neue, hohe US-Einfuhrzölle. Zugleich aber nahmen die US-Importe aus anderen Staaten zu, sodass das US-Handelsbilanzdefizit insgesamt derzeit wieder wächst.
Biden: „Wir hinterließen ihm eine boomende Wirtschaft – und er verursachte die Rezession.”
Falsch: Als US-Präsident Obama und Vizepräsident Biden Anfang 2017 aus dem Amt schieden, war die US-Wirtschaft stabil – von einem „Boom” kann jedoch bei einem Wirtschaftswachstum von unter zwei Prozent nicht die Rede sein. Zudem ist die Behauptung, Trump habe die - pandemiebedingte - Rezession verursacht, nicht richtig.
Biden: „Einer von 1000 Afroamerikanern ist tot wegen des Coronavirus.”
Richtig: Die unabhängige Wissenschaftsplattform APM Research Lab dokumentiert, dass bis Mitte September einer von 1020 Schwarzen Amerikanern an Covid-19 starb. Keine andere ethnische Gruppe weist eine so hohe Opferrate auf.
Trump: „Bei mir tauchen 25.000, 30.000 Leute in Flughäfen auf. Wir nutzen Flughäfen.”
Falsch: Trumps Neigung, die Zahl seiner Anhänger bei Veranstaltungen zu überschätzen, tritt seit dem Tag seiner Amtseinführung immer wieder hervor. Als der Schlagabtausch mit Biden vom Umgang mit dem Coronavirus handelt, behauptet Trump, seine Wahlkampfveranstaltungen in Flughafenhallen abzuhalten. Dort aber passen nicht so viele Menschen hinein. Zu Trumps jüngsten Wahlveranstaltungen kamen denn auch deutlich weniger Leute. Etwa 3000 waren es am vergangenen Freitag in Virginia.
Biden: „Würden wir von jetzt an bis Januar Masken tragen und Abstand halten, könnten wir wahrscheinlich bis zu 100.000 Leben retten.”
Richtig: Zu dieser Berechnung kommen Forscher der Universität Washington in ihren Modellberechnungen. Sollten allerdings die gegenwärtigen Bestimmungen bestehen bleiben, können am 1. Januar 2021 mehr als 370.000 US-Amerikaner tot sein – rund 165.000 mehr als heute.
Trump: „Nur Wochen trennen uns von einem Impfstoff.”
Ohne Belege: Nach Angaben US-amerikanischer Gesundheitsbehörden wird frühestens im Sommer nächsten Jahres ein Impfstoff allgemein verfügbar sein. Der für die Entwicklung des Impfstoffes zuständige Behördenleiter Moncef Slaoui Moncef Slaoui hält die Entwicklung eines Impfstoffs bis Oktober oder November für „sehr unwahrscheinlich”.
Biden: „Wir stellen fünf - vier Prozent - der Weltbevölkerung, und 20 Prozent der Verstorbenen."
Richtig: Auf der Erde leben etwa 7,8 Milliarden Menschen – davon rund 330 Millionen in den USA. Macht vier Prozent der Weltbevölkerung. Rund 205.000 US-Amerikaner sind bereits am Coronavirus gestorben – ein Fünftel aller weltweit verzeichneten Opfer.
Trump: „Deine Partei will sozialistisch werden.”
Übertrieben: Immer wieder wirft Trump Biden vor, eine sozialistische Agenda zu verfolgen – vor allem in der Gesundheitspolitik. Linke Demokraten wie der selbsterklärte Sozialist Bernie Sanders werben für eine staatliche Krankenversicherung – „Medicare for All”. Biden aber macht sich diese Forderung nicht zueigen. Er tritt für die Ausweitung des „Affordable Care Act” ein – ein Modell zum staatlich geförderten Ausbau privater Krankenversicherungen zugunsten armer Bevölkerungsschichten, die sich keine private Versicherung leisten können.
Trump: „Portland: Der Sheriff sagte heute: ,Ich unterstütze Präsident Trump.”
Falsch: Der Präsident präsentiert sich als Ombudsmann für Polizei und Militär im Land. Trump und will dies belegen, indem er Fürsprecher auflistet. Dabei erwähnt er den Sheriff in Portland. Der aber widerspricht prompt. Mike Reese postet noch während der Debatte auf Twitter: „Ich habe Donald Trump nie unterstützt und werde es nie tun.”
Trump: „Ich habe auch nichts gegen Elektroautos. Ich bin total für Elektroautos. Ich habe dafür große Förderungen gegeben.”
Falsch: Trump will mit dieser Aussage seine Unterstützung für klimaschonende Politik bekunden. Aber seine Beschlüsse weisen auf das Gegenteil hin. Nach Angaben der “New York Times” wollte er im vergangenen Jahr staatliche Zuschüsse für den Kauf von E-Autos streichen. Dem Autobauer General Motors drohte er mit dem Ende von Subventionen für den Bau von E-Autos, sollte dieser Arbeitsplätze streichen. (rnd)