Berlin – Viele, die sich selbst nicht als Spitzenverdiener sehen, zahlen den Spitzensteuersatz. Jetzt zeigen Zahlen: Auch bei den Sozialabgaben ist die Mittelschicht im Vergleich zu absoluten Spitzenverdienern stark belastet. Wie ließe sich das ändern?
Wie ist der Befund bei den Szozialabgaben?
Die Gruppe derjenigen, die ein zu versteuerndes Einkommen von bis zu 70.000 Euro haben, tragen mehr als 80 Prozent der insgesamt gezahlten Sozialabgaben – und das, obwohl sie nur über knapp zwei Drittel des Gesamteinkommens verfügen. Zum Vergleich: Besserverdiener mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 110.000 Euro zahlen etwas mehr als acht Prozent der gesamten Sozialabgaben. Sie kommen auf annähernd 22 Prozent des Gesamteinkommens.
Wie sieht es aus, wenn man Steuer- und Abgabenlast zusammennimmt?
Auch hier zeigt sich, dass die Mittelschicht vom Staat stark in die Pflicht genommen wird. Unterm Strich kommt ein Alleinstehender ohne Kinder mit einem zu versteuernden Einkommen von 70.000 Euro nahezu auf die gleiche Steuer- und Abgabenquote wie jemand, der auf 200.000 Euro kommt.
Wie lässt sich erklären, dass gerade die Bestverdiener bei der Abgabenlast vergleichsweise gut dastehen?
Ein offensichtlicher Grund liegt im System. Das sieht vor, dass Renten- und Arbeitslosenversicherung nur bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze gezahlt werden müssen. Im Westen liegt die bei einem Einkommen von rund 82.000 Euro im Jahr, im Osten aktuell bei etwa 77.000 Euro. Wer mehr verdient, zahlt die entsprechenden Sozialabgaben nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Prozentual betrachtet werden die Einkommen von denen, die besonders gut verdienen, also weniger mit Sozialabgaben belastet.
Warum streicht man die Beitragsbemessungsgrenze dann nicht einfach?
Die Linke will die Beitragsbemessungsgrenze „in mehreren Schritten drastisch anheben und schließlich aufheben“. Die Forderung: „Wer ein Gehalt von 10.000 Euro und mehr im Monat hat, muss auch für 10.000 Euro und mehr Beiträge zahlen.“ Kritiker einer solchen Lösung weisen stets darauf hin, dass aus höheren Beiträgen auch höhere Rentenansprüche entstünden. Denn im Wesentlichen gilt in der Rentenversicherung das so genannte Äquivalenzprinzip. Das bedeutet: Die Rente hängt von der Höhe der Beiträge ab, es gilt die Idee von Leistung und Gegenleistung. Mit den Plänen der großen Koalition zur Grundrente, die langjährigen Geringverdienern zu Gute kommen soll, gibt es zwar eine Abweichung vom Äquivalenzprinzip. Doch insgesamt bleibt es in der Rentenversicherung dominant.
Würde ein Vorziehen der Abschaffung des Soli für die meisten Steuerzahler, wie die SPD fordert, zu mehr Gerechtigkeit beitragen?
Feststeht schon jetzt: Für rund 90 Prozent der Zahler wird der Soli abgeschafft – laut jetzigem Beschluss zum 1. Januar 2021. Für 6,5 Prozent bleibt der Soli teilweise: Je höher das Einkommen, desto mehr muss entrichtet werden. Die reichsten 3,5 Prozent werden weiter zur Kasse gebeten. Die SPD will die Abschaffung des Soli für den Großteil der Zahler nun um ein halbes Jahr vorziehen, also auf den 1. Juli 2020. Davon würden die mittleren Einkommen zweifellos profitieren. Strukturell ändert das aber wenig, da die skizzierte Teilabschaffung ja ohnehin 2021 kommt.
Was wären Wege zu einem Steuersystem, das die Mittelschicht besser stellt?
Immer mehr Menschen zahlen den Spitzensteuersatz. Er erfasst heute bereits Arbeitnehmer, die das 1,5-fache des Durchschnittslohns verdienen. 1965 musste jemand das 15-fache des Durchschnittslohns verdienen, um den Spitzensteuersatz zu zahlen. Die SPD hat deshalb im vergangenen Bundestagswahlkampf gefordert, dass der Spitzensteuersatz erst später greifen sollte, dafür aber höher ausfallen.
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SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte in der Sendung „Anne Will“ aber auch: „In der Mitte zahlt man so viel wie der Millionär – das ist Unsinn.“ Seine Rechnung: Gezahlt wird der Spitzensteuersatz nicht für das gesamte Einkommen. Entscheidend sei nicht das, was vom nächsten zusätzlichen Euro abgegeben werden müsse, sondern der Durchschnittssteuersatz. (rnd)