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ZukunftsforscherNach der Corona-Krise leben wir in einer besseren Gesellschaft

Lesezeit 6 Minuten
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Schichtwechsel in einem Mailänder Krankenhaus: Die enormen Anstrengungen in Zeiten der Corona-Pandemie bringen Ärzte und Pflegekräfte an ihre Grenzen.

  1. Die Corona-Krise wird uns auch die kommenden Tage und Wochen beschäftigen.
  2. Es gibt aber auch schon Menschen, die sich die Post-Corona-Zeit ausmalen.
  3. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat nun ein ungemein optimistisches Szenario entworfen.

Noch sind wir mittendrin in der Krise. Und noch wissen wir nicht, wie es weiter geht in den kommenden Tagen mit uns und dem Coronavirus, mit unserer Angst und unserer Gelassenheit, mit unseren Liebsten und uns selbst. Die Zukunft ist für uns in diesen Tagen zumeist immer nur ein paar Stunden entfernt. Denn was wir im Moment als Gegenwart erleben, kann ein paar Stunden später schon längst vergangene Vergangenheit sein.

Nicht nur, dass wir uns gerade noch fit fühlen können, um in ein paar Stunden schon ein Verdachtsfall zu sein. Nein, auch die Politik, Verbände und Unternehmen waren und sind immer wieder innerhalb kürzester Zeit gezwungen, auf neue Lagen und Prognosen zu reagieren. So gab die Deutsche Fußball-Liga (DFL) zunächst bekannt, am vergangenen Wochenende noch spielen zu wollen, um diese Entscheidung nur Stunden später wieder einzukassieren.

Es gibt aber auch Menschen, die bereits eine Zukunft im Blick haben, welche mehr als ein paar Stunden oder Tage entfernt ist. Sie fragen sich, wie es in der Post-Corona-Zeit weitergehen könnte mit dem Menschen und der Menschheit. Der berühmteste aller deutschen Zukunftsforscher, Matthias Horx, hat nun beim Mediendienst “Kress” aufgeschrieben, wie er die Welt nach der Krise sieht.

Matthias Horx blickt aus dem Herbst 2020 zurück auf heute

Horx wendet dabei ein Verfahren an, das er Re-Gnose nennt. Das klingt komplizierter und abgehobener, als es ist. Anders als bei der Pro-Gnose, bei der wir in die Zukunft schauen und versuchen, etwas vorherzusagen, ist es bei der Re-Gnose genau anders herum: Wir schauen aus einer vorgestellten Zukunft zurück aufs Heute.

Und so blickt Matthias Horx aus dem Herbst 2020 zurück auf heute. Er sitzt im kommenden September, also in genau einem halben Jahr, in einem Straßencafé, die Straßen sind wieder voller Menschen. “Schmeckt der Wein, der Cocktail, der Kaffee, wieder wie früher? Wie damals vor Corona? Oder sogar besser? Worüber werden wir uns rückblickend wundern?”, so lauten die Ausgangsfragen von Horx’ imaginierter Rück-Sicht.

Und was Horx da rückblickend sieht, ist enorm positiv oder aus heutiger Sicht gesprochen optimistisch. Der Mann im Herbst 2020 sieht eine Gesellschaft, die seit dem Coronavirus (das in Horx’ Welt nicht verschwunden sein wird, sondern mit dem wir werden leben müssen) in eine bessere Zukunft gegangen ist. So “werden wir uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung führte”, schreibt Horx vom Platz in der Sonne im Herbst 2020. “Paradoxerweise erzeugte die körperliche Distanz, die das Virus erzwang, gleichzeitig neue Nähe. Wir haben Menschen kennengelernt, die wir sonst nie kennengelernt hätten. Wir haben alte Freunde wieder häufiger kontaktiert, Bindungen verstärkt, die lose und locker geworden waren. Familien, Nachbarn, Freunde, sind näher gerückt und haben bisweilen sogar verborgene Konflikte gelöst.”

Die Gesellschaft, so Horx weiter, wird im kommenden Herbst höflicher geworden sein. Die Wutpöbeleien in Stadien werden abgenommen, die digitale Zukunft werden wir angenommen haben. Wir werden zur Ruhe gekommen sein, wir werden wieder Bücher lesen. Reality-Shows, Zynismus, Political-Correctness-Streitigkeiten, all das ist in Horx’ schöner neuer Welt entweder schon Vergangenheit, oder es verschwindet gerade. Wir werden erkennen, dass die Menschheit und die Menschlichkeit der viel gepriesenen künstlichen Intelligenz überlegen ist. Wir werden sehen, dass weder die Weltwirtschaft noch unser Leben – anders als immer wieder in Vor-Corona-Zeiten prognostiziert – nicht zusammenbrechen, nur weil Konjunktur und Börse eingebrochen sind.

Horx kommt nach diesen und weiteren Beispielen zum fast schon utopischen Fazit: “Wir werden uns wundern, dass sogar die Vermögensverluste durch den Börseneinbruch nicht so schmerzen, wie es sich am Anfang anfühlte. In der neuen Welt spielt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten.” Und er stellt eine wirklich spannende Frage: “Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte?”

Die erzwungene Lage zeigt uns, dass eine andere Welt möglich ist

Denn in diesem Punkt kann man Horx ohne Zweifel Recht geben: Das Unbehagen am Kapitalismus, die Debatte um Klimaschutz und weltweites Wirtschaftswachstum, die Hoffnung, dass wir jenseits des Konsums wieder zu Glück, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Zufriedenheit gelangen könnten – all das rumorte ja in Deutschland wie auch in anderen Ländern schon länger. Doch dieses “Man müsste eigentlich”-Gefühl hatte es noch nicht geschafft, sich gegen das “Das können wir doch nicht machen”-Gefühl durchzusetzen. Jetzt zeigt uns die erzwungene neue Lage, dass eine andere Welt doch möglich ist. Denn auch wenn die Maschinen weitgehend runtergefahren sind und unser Motorschiff namens Gesellschaft momentan nur noch ohne viel Antrieb auf dem Meer von Wind und Wellen durchgeschaukelt wird, leben wir. Wir leben einfach weiter. Wir essen, trinken, arbeiten, schlafen – und haben dazu Unmengen von Klopapier im Keller.

Alles, was Horx schreibt, klingt wunderbar. Die meisten Deutschen – so ist anzunehmen – würden eine solche neue Welt, ohne lange zu überlegen, unterschreiben. Doch lässt sich nicht leugnen, dass auch eine Re-Gnose nichts anderes ist als ein Pro-Gnose. Auch wenn man es umgekehrt aufschreibt. Denn noch wissen wir nicht, wie wir aus dieser Krise herauskommen, welche Rückschlüsse wir ziehen und vor allem, wie nachhaltig sich unser jetziges Leben etwa mit weniger Konsum konservieren lässt. Wer eine Woche aus erzwungenen Gründen nur weiße Bohnen aus der Dose essen kann, wird sich vielleicht sagen: Eigentlich brauche ich es nicht, jeden Abend fein essen zu gehen. Doch wird er das auch denken, wenn die weißbohnige Krisenzeit vorbei ist? Wenn er wieder die Möglichkeit hat, den Italiener seiner Wahl aufzusuchen?

Und man kann auf die heutigen Tage ja auch pessimistischer schauen: Nationen schotten sich ab, die europäische Idee ist in dem Moment, in dem man sie wirklich sehr gut hätte gebrauchen können, am Praxistest gescheitert. Das Grundvertrauen in die globale Gesundheit der Menschheit und den medizinischen Fortschritt ist zumindest angekratzt. Wir beherrschen halt doch nicht alles.

Wir haben die Zukunft jetzt in unserer Hand

Der Zukunftsforscher Daniel Dettling entwirft in einem Beitrag für das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), der in den kommenden Tagen erscheinen wird, neben einem positiven Szenario der Post-Corona-Zeit auch eine negative Variante. “Gesundheitsdaten werden zur Staatsangelegenheit, der Datenschutz aus Gründen des Virenschutzes abgeschafft. Individuelle Bewegungsprofile erlauben ein ständiges Tracking und Verfolgen von infizierten Personen und ihre Isolierung in dafür vorgesehenen Regionen”, ist nur ein Punkt seiner düsteren Vision. Oder: “Auf nationaler Ebene führt die De-Globalisierung zu einer De-Urbanisierung und zu einer neuen Stadtflucht. Die Städte werden zu den nervösesten Plätzen der Welt. Der Trend zum Single-Leben und zu immer kleineren Wohnungen hat die Stadtbevölkerung unselbstständig gemacht. Wer kann, zieht raus aufs Land und versorgt sich selbst.”

Das soll zeigen: Es ist nicht ausgemacht, welchen Weg wir in Zukunft gehen. Momentan sind wir sowieso noch genügend damit beschäftigt, die Gegenwart zu meistern.

In jeder Krise liegt eine Chance. Dieser Kalenderspruch gilt natürlich auch in diesen Tagen. Ob die Welt im kommenden Herbst oder einer anderen ferneren Zukunft so schön sein wird, wie Matthias Horx es pro-, nein, re-gnostiziert, wissen wir nicht. Das Schöne aber ist die Erkenntnis, dass wir mit der Erfahrung von heute mehr als selten zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg die Gelegenheit haben, eine neue Gesellschaft zu schaffen. Wir haben es selbst in der Hand. (RND)