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Zwischen Flirt und BelästigungWas am Arbeitsplatz erlaubt ist – und was nicht

Lesezeit 6 Minuten
Büro Sexismus

Was ist erlaubt, was ist diskriminierend in der Beziehung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz? (Symbolbild)

Berlin – Ein Witz, ein anzüglicher Spruch, ein Zwinkern, eine Gemeinheit. Alles keine sonderlich schweren Vergehen. Einfach nur Arbeitsalltag für Millionen Frauen. Oft meinen es die sprücheklopfenden, zwinkernden Männer nicht einmal böse, sind einfach nur unbedacht. Genauso oft aber sind die Kolleginnen offener Diskriminierung ausgesetzt. Die ungeniert, vor Zeugen, herausposaunt wird.

Szenen aus dem Arbeitsleben, alle belegt: Sie könne doch mal „ein bisschen lieblicher“ sein, sagt ein Kollege seiner Schreibtischnachbarin. Charmanter eben, nicht so konfrontativ. An der Hotelzimmertür könne sie dann immer noch Nein sagen. Die Männer in der Runde lachen. Haha. Die Frau kontert: „Du Dreckschwein.“ Seither nennt man sie „Zicke“. Der Kollege gehört übrigens eigentlich zu den nettesten. Er hat es gar nicht so gemeint.

Oder: Der Abteilungsleiter schiebt der Auszubildenden einen Zettel zu: „Wenn Sie mit mir schlafen wollen, sagen Sie jetzt nichts, sondern lächeln Sie nur.“ Das unvermeidbare Verlegenheitslächeln der jungen Frau wird mit einem „Juhu“ kommentiert. Das spielte sich, zugegeben, vor der #MeToo-Debatte ab. Seither sind Männer vorsichtiger.

Wann werden Grenzen überschritten?

Und noch ein Beispiel, das für viele Frauen nach sexueller Belästigung wohl am schwersten wiegt, weil es ihre Arbeitsleistung infrage stellt: Eine junge Kollegin möchte sich mit Frauendiskriminierung am Arbeitsplatz beschäftigen. Eine erfahrene, leitende Mitarbeiterin unterstützt das gegen den Widerstand von vielen Männern in der Planungsrunde. Einer quittiert das so: „Endlich mal ein Thema, für das sie sich interessiert.“ Als ihm Konsequenzen drohen, will es kein Mann gehört haben. Nur die Kollegin sagt: „Ich habe es gehört.“ Nur deshalb muss sich der Mann entschuldigen. Er ist eigentlich einer der klügsten und kollegialsten. Eigentlich.

Was ist erlaubt in deutschen Büros, Werkshallen, Supermärkten – und wann werden die Grenzen nicht nur des Geschmacks, sondern auch des Zulässigen in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen am Arbeitsplatz überschritten?

Zuneigung oder Nötigung?

Zuerst: Es gibt kein Liebesverbot in deutschen Unternehmen. Wer am Arbeitsplatz eine Beziehung eingeht, macht sich nicht strafbar. Auch Komplimente sind erlaubt, ein Flirt ist legal. „Wir sind da in Europa längst nicht so prüde wie in den USA, wo Vorgesetzte nicht einmal in ihrer Freizeit eine Liebelei mit Untergebenen anfangen dürfen“, sagt Volker Rieble, Professor für Arbeitsrecht an der Universität München. Liebe und Sex seien Privatsache, das gehe den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an.

Aber alles hat seine Grenzen. „Problematisch wird es immer dann, wenn es Gegenleistungen gibt.“ Wenn „beruflicher Vorteil gegen geschlechtliche Hingabe“ versprochen werde, werde es rechtlich relevant.

Bestechung, Korruption, Vorteilnahme, Erpressung, Beförderung, Austauschgeschäfte, all diese Faktoren könnten dabei eine Rolle spielen. Wenn ein Vorgesetzter einer Mitarbeiterin andeute, dass sie die Probezeit nur übersteht, wenn sie ihm zu Willen ist, sei das Erpressung und Nötigung. Wenn eine Angestellte mit ihrem Chef schlafe, um weiter aufzusteigen, erfülle das auch den Tatbestand der Bestechung. „Die Schwierigkeit besteht meist darin“, sagt Rieble, „im Nachhinein zu beweisen, wie es abgelaufen ist.“ Spätestens da kommt die Führungsebene ins Spiel.

Auch eine Frage der Führung

Das Problem fängt in der Regel ganz oben an, meint Teresa Bücker, Journalistin und Feministin der jüngeren Generation. „Für Sexismus in den eigenen Reihen muss sich kein Unternehmen schämen. Das ist nur ein Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt sie. „Aber: Es kommt auf den Umgang damit an.“ Die Unternehmensspitze müsse klarmachen: „Wir dulden so etwas nicht.“ Das sei elementarer Baustein der Prävention. Genau das aber hat sie im Fall des „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt beim Axel-Springer-Konzern vermisst. „Das ist unprofessionell. Es gehört zur Führungsstärke, nichts schön- oder kleinzureden.“ Denn es gehe „oft gar nicht um Sex, sondern schlicht um Machtmissbrauch“.

teresa bücker

Teresa Bücker, Journalistin und Feministin

Gewiss, die Kultur in der Arbeitswelt wandele sich, in Deutschland habe sich aber noch nicht so wahnsinnig viel verändert. Das liege vor allem daran, dass es immer noch viel zu wenig Frauen in Chefetagen gebe. „Ein Kennzeichen, dass sich Kultur weiterentwickelt ist die Vielfalt in Entscheidungsgremien. Im Ausland staunen sie oft, dass in Deutschland so wenig Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte in Führungspositionen sind.“

Geschlechterspezifische Sichtweisen

Nach Ansicht des Berliner Anwalts für Arbeitsrecht, Ole Behder, hat die Frage von Belästigung und Übergriffigkeit immer auch etwas mit subjektiver Wahrnehmung zu tun. Komplimente seien erlaubt, aber es werde immer dann kritisch, wenn eine der beteiligten Personen das Gefühl habe, dass eine Grenze überschritten wird.

Da gebe es bei „bestimmten Handlungen“ immer noch geschlechterspezifische Sichtweisen. Was von einem Mitarbeiter als „kein Problem“ gesehen werde, könne eine Kollegin als Kränkung empfinden. Behder sieht jedoch vieles, was sich in der Unternehmenskultur „nach vorn bewegt“, das finde auch seinen Niederschlag in Betriebsvereinbarungen oder betrieblichen Regelungen.

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Arbeitsrechtsprofessor Volker Rieble

Dem pflichtet Arbeitsrechtsprofessor Rieble bei: „Ein Arbeitgeber kann Sex im Büro verbieten, nicht aber die Tändelei in der Mittagspause.“ Es sei immer die Frage, ob es um „sexualoffensive Bemerkungen“ geht, also eine Wortwahl, die die Frau oder auch den Mann zum Sexualobjekt degradiert.

Uwe Heymann, Richter am Leipziger Arbeitsgericht, ergänzt: „Der Arbeitgeber kann vieles festschreiben, etwa dass Unterwäsche getragen werden muss und durchsichtige Blusen verboten sind.“ Aber die Frage „Wie war das Wochenende?“ oder der Satz „Sie haben aber einen tollen Rock an!“ könne vom Arbeitgeber nicht verhindert werden.

Im Zweifel gilt „Nicht anfassen!“

Etwas anderes seien Berührungen. Wenn ein Vorgesetzter einer Kollegin anerkennend auf den Rücken klopft, sei das etwas anderes, als wenn er den Arm um ihre Hüfte schlingt. „Das kann dann schnell als sexuelle Annäherung gewertet werden“, sagt Heymann. Im Zweifel gelte: „Nicht anfassen!“Auch da hat sich nach Riebles Einschätzung in den letzten Jahren viel verändert.

Während es vor 20 Jahren in manchen Kneipen noch üblich war, dass der Gast der Bedienung hinterherpfeift oder ihr gar einen Klaps auf das Gesäß gab, sei das heute undenkbar. Und wenn es dazu käme, müsste der Arbeitgeber eingreifen und den Kunden an die frische Luft setzen. Allerdings schlage inzwischen das Pendel zuweilen auch schon in die andere Richtung aus. So würden eher harmlose Bemerkungen manchmal sehr hochgehängt. Es müsse nicht alles vor Gericht landen.

Es geht um Macht

Das geschieht auch nicht unbedingt. So haben zumindest Richter Heymann und Anwalt Behder keine auffällige Zunahme von Arbeitsrechtsfällen mit sexuellem Hintergrund registriert. Behder warnt aber: Oft schämten sich die Opfer und schreckten deshalb vor einer Anzeige zurück. Auch Heymann hält es für möglich, dass die Dunkelziffer höher ist als die Zahl der tatsächlichen Verfahren.

Elke Hannack, Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sieht ein weiteres gravierendes Problem: „Viel zu oft wird weggeschaut. Das Thema wird immer noch als Tabuthema betrachtet – trotz der #MeToo-Debatte. Das ist so, weil es hier um Machtfragen geht, die verknüpft sind mit der Sorge um Nachteile am Arbeitsplatz.“

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Das liege oft auch an der Unwissenheit über Ansprechpartner und Handlungsoptionen. Dabei sind die Unternehmen gesetzlich verpflichtet, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen. Führungskräften komme hier eine besondere Bedeutung zu. Sie müssten vorbeugende Maßnahmen treffen, ihre Beschäftigten schulen und eine Beschwerdestelle einrichten, an die sich jede und jeder vertrauensvoll wenden kann. Betriebsvereinbarungen würden zudem helfen, klare Regeln und Sanktionen transparent festzulegen. Harnack weiß nur: „Kaum ein Unternehmen tut dies.“