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Kommentar

Sind Hausaufgaben sinnvoll?
Wer zu Hause selbständig übt, betreibt Autobahnbau im Gehirn

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Lesezeit 4 Minuten
Für den Schulstart muss ein Schreibtisch nicht riesig sein: Ein kleinerer Schreibtisch hilft, Ordnung zu halten und fördert die Konzentration.

Noch mehr als Grundschüler profitieren einer Metastudie zufolge Jugendliche vom täglichen Training zu Hause.

Sind Hausaufgaben Teenagerquälerei oder nützliches Mittel zur Entwicklung des Geistes? Ein Pro und Contra.

Das Schuljahr hat begonnen und bald heißt es wieder: Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht? Ist die Übung zu Hause noch zeitgemäß? Unsere Autorin Alexandra Ringendahl hält sie für Kinder- und Familienquälerei. Claudia Lehnen hält dagegen. Schließlich hilft Training beim Verdrahten des Gehirns.

Es gab da diese interessanten Probleme und Diskurse von Arabellas Gästen. „Sein kleiner Freund, wie groß muss er sein?“, „Mutter mit 13“, oder „Dein Partner ist das Letzte – sieh es endlich ein!“. Im Battle um die attraktivste Nachmittagsgestaltung sahen Aufgaben wie die Charakterisierung von beispielsweise Gustav Aschenbach, der Thomas Manns „Tod in Venedig“-Fantasie folgend im venezianischen Bäderhotel einem schönen Knaben nachstellte, meist alt aus. Und die Kurvendiskussion von Seite 48 aus dem Analysis-Buch erst Recht. Also machten meine Schwester und ich uns nach der Schule ein Käsebrot mit Ketchup und hängten uns vor den Fernseher zu Arabella Kiesbauer. Wunderbar war das.

Aber wenn man ehrlich ist, hatte man nach einem Stündchen dann meist auch genug von Diskussionen zu Themen wie „Ich bin ein Egoist – na und?“. Und wandte sich dann doch den Grammatikübungen zu. Oft habe ich das zum Niveauausgleich tatsächlich auch gern gemacht. Ich war stolz, wenn mir was Gutes einfiel, wenn ich eine Lösung für ein Problem fand, erst recht, wenn die Seiten gefüllt und die Aufgaben abgehakt waren. Irgendwie beruhigte das meinen Geist. Gerade wenn es ums Üben ging von Dingen, die man schon konnte. Es hat sich angefühlt, als würde man Schubladen im Gehirn ölen. Da war schon was drin, aber nach den Hausaufgaben hatte ich dann auch das gute Gefühl, dass ich das Wissen im Zweifel auch schnell finden kann, weil kein Scharnier mehr klemmte.

Hausaufgaben bringen nichts? So einfach ist es nicht

Und die Freizeit? Wartete ja noch. Freunde treffen und Sport oder mit dem Fahrrad durch die Gegend düsen. Vielleicht ist das wahnsinnig spießig, aber irgendwie hat das ganze Abhängen doppelt so viel Spaß gemacht, wenn das Heft vorher vollgeschrieben und das Gewissen rein war.

Die Forschung ist keineswegs eindeutig. Einige Studien wollen zwar herausgefunden haben, dass Hausaufgaben nichts bringen, viele von ihnen beruhen aber nur auf intuitiven Umfragen unter Schülern, Eltern und Lehrern und sind damit wissenschaftlich wenig haltbar. Zudem sind auch einige Forscher der Meinung, dass Hausaufgaben sich gerade bei Jugendlichen durchaus sehr positiv auf das Gehirn auswirken. Eine Auswertung von 50.000 Studien mit mehr als 80 Millionen Schülerinnen und Schülern des neuseeländischen Pädagogen John Hattie hat beispielsweise ergeben, dass sich der positive Einfluss der Hausaufgaben auf den schulischen Erfolg bei Grundschülern zwar in Grenzen hält, bei Kindern in der Unter- und Mittelstufe aber schon doppelt, bei Oberstufenschülern sogar viermal so hoch ist. Forscher der Universität Tübingen haben herausgefunden, dass Hausaufgaben vor allem dann etwas bringen, wenn Schüler einen Sinn dahinter erkennen. Und der lässt sich von Lehrern und Eltern relativ stringent argumentieren.

Erstmal ist da der Übungsaspekt, der dafür sorgt, dass sich Wissen im Gehirn festsetzt. Wer einmal Gelerntes trainiert, betreibt damit so etwas wie Autobahnbau im Gehirn: Der Weg von der Frage zum Ergebnis ist durch die häufige Nutzung ausgebaut, im besten Fall muss man also nicht immer wieder neu nachdenken, um auf eine Lösung zu kommen, sondern nutzt automatisch die Abkürzung. Die gewonnene Zeit lässt sich dann übrigens hervorragend in kritisches Weiterdenken und kreative Forschung an neuen Problemen stecken. Nur so ist es möglich, dass wir nicht lebenslang auf der Stelle treten. Wer hat schon Lust, auch als Erwachsener noch am Grundschuleinmaleins rumzugrübeln, statt sich interessanteren Sujets zuzuwenden.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Überdies übt die regelmäßige Hausaufgabenstunde die Konzentrationsfähigkeit. Und das ist heute vielleicht so wichtig wie noch nie. Auch ein künftiger Arbeitgeber wünscht sich Mitarbeiter, die Aufgaben selbständig priorisieren und in einer vorgegebenen Zeit erledigen können. Nicht zuletzt stärken Hausaufgaben auch das Verantwortungsgefühl. Schon Kinder lernen dabei, dass sie es selbst in der Hand haben, eine Aufgabe rechtzeitig und mit der nötigen Präzision zu erledigen. Und natürlich geht es um Selbstermächtigung. Ich kann etwas. Ohne Eltern. Ohne Lehrer. Das motiviert ja wohl.

Wer für die Abschaffung der Hausaufgaben plädiert, der tut das heute oft mit dem Verweis auf ChatGPT. Was da am nächsten Tag abgegeben wird, sei ohnehin nur unreflektiert von den Vorschlägen der KI gespeist. Das mag stimmen, ist aber keinesfalls ein neues Phänomen. Früher hat man bei Faulheitsanflügen eben im Bus abgeschrieben, was die Fleißigen fabriziert hatten. Die Aufgabe für Lehrer und Eltern bleibt damals wie heute dieselbe. Menschen, gerade Heranwachsenden, muss klar gemacht werden, dass Anstrengung nie das Ziel hat, dem Lehrer oder später der Chefin zu gefallen. Sondern uns als Individuum weiterzuentwickeln und spannende Entdeckungen zu machen. Von dieser großartigen Möglichkeit des menschlichen Gehirns sollten uns doch hoffentlich kein noch so großer Faulheitsanfall, keine Trashsendung und auch kein stundenlanges Youtube-Reel-Glotzen abhalten können.