Der erste Abstieg vor einem Vierteljahrhundert traf die FC-Fans nicht ganz unvorhergesehen, dafür aber mit aller Dramatik und Härte.
Erster Abstieg des 1. FC KölnAls vor 25 Jahren das Unvorstellbare Realität wurde
Als Schiedsrichter Hartmut Strampe die Partie zwischen dem 1. FC Köln und Bayer Leverkusen am 9. Mai 1998 beendete, wurde es seltsam ruhig im Müngersdorfer Stadion. Lediglich die Gäste-Fans ließen ihrer Schadenfreude freien Lauf. Bei vielen FC-Anhängern flossen Tränen. Manche kämpften noch dagegen an. Andere starrten apathisch ins Leere.
Als aus den Stadionlautsprechern der Bläck-Fööss-Evergreen „En unserem Veedel“ ertönte, brachen in der Südkurve endgültig alle Dämme. Gestandene Mannsbilder schluchzten jämmerlich, gepeinigt von einer für sie bislang unvorstellbaren Gewissheit: Der 1. FC Köln ist zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte abgestiegen.
Franz Kremer hatte davor gewarnt
Wovor FC-Gründungspräsident Franz Kremer in weiser Voraussicht gewarnt hatte, ist also nach beinahe einem Jahrzehnt Anlauf eingetreten. Als es zwei Jahre zuvor mit dem 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Frankfurt gleich zwei der verbliebenen vier Gründungsmitglieder der Bundesliga erwischt hatte, konnte der FC dem drohenden Abstieg noch einmal gerade so entgehen.
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Anspruch und Wirklichkeit klaffen spätestens ab Mitte der 1990er beim 1. FC Köln weit auseinander. Stur wurde von der Vereinsführung stets die Qualifikation zur Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb ausgegeben. Dabei war die Mannschaft nach zahlreichen Abgängen sportlich im Niedergang begriffen. Unter anderem hatten die Weltmeister von 1990, Pierre Littbarski (1993) und Bodo Illgner (1996), den Verein verlassen.
Trügerische Hoffnung auf Stabilität
Von Beginn an fand sich der FC in der Saison 1997/98 im unteren Tabellendrittel wieder. Im September 1997 musste Trainer Peter Neururer schließlich gehen, der im Saisonfinale 1996 noch als Retter gefeiert wurde. Aus der vergleichsweise sorgenfreien Spielzeit 1996/97 war am Geißbockheim die trügerische Hoffnung entstanden, die Mannschaft sei sportlich stabilisiert.
Nach einem 0:1 bei Schlusslicht Hertha BSC übernahm dann Lorenz-Günther Köstner die sportliche Leitung. Die Leistungen blieben inkonstant und so überwinterte der FC auf dem letzten Platz. Mit einem 3:2-Sieg im rheinischen Derby gegen Borussia Mönchengladbach begann das neue Jahr vielversprechend.
Es kam sogar noch besser. Am 24. Spieltag gewann der FC überraschend mit 2:0 im Münchener Olympiastadion. Khodadad Azizi und Markus Münch waren die Torschützen beim Coup gegen den FC Bayern. Im März bestritt der FC drei Heimspiele. Das dazwischen vorgesehene Auswärtsspiel beim FC Schalke 04 war ausgefallen.
Fehlentscheidungen kosten wichtige Punkte im Abstiegskampf
Dem 2:0 gegen Hertha BSC folgte ein 0:0 gegen Hansa Rostock. Gegen die Nordostdeutschen wurde dem FC ein korrektes Tor von Toni Polster wegen einer angeblichen Abseitsstellung aberkannt. Eine gravierende Fehlentscheidung – es sollte nicht die letzte bleiben.
Nach einem 1:1 beim VfB Stuttgart – mit zwei umstrittenen Szenen, die durchaus zu einem Strafstoß für den FC hätten führen können – schien das Gröbste überstanden. Platz 13 und fünf Punkte Vorsprung auf Abstiegsrang 16 bedeuteten eine gute Ausgangsposition für den Saison-Endspurt. Und es galt noch das ausgefallene Spiel beim FC Schalke 04 vom 27. Spieltag nachzuholen.
Sieglos im April
Doch das Unheil nahm seinen Lauf. Im April gelang dem FC kein Sieg. Im Gegenteil. Fest eingeplante Punkte aus den Heimspielen gegen Karlsruhe (0:1) und 1860 München (2:3) wurden leichtfertig verspielt. Dazu noch ein deftiges 0:3 in Bremen.
Nun sollte es im Nachholspiel bei Aufsteiger Schalke 04 gerichtet werden. Tatsächlich war kurz vor Schluss ein Sieg bei starken Gastgebern möglich. René Tretschoks guter Versuch aus der Distanz wurde vom Schalker Oliver Held auf Linie mit der Hand abgewehrt.
Oliver Held spielt entscheidende Rolle bei Abstieg des 1. FC Köln
Was folgte, ist ein unauslöschlicher Teil der Tragödie um den ersten Abstieg des 1. FC Köln. So ziemlich jeder im Gelsenkirchener Parkstadion hatte dieses regelwidrige Handspiel gesehen. Außer Schiedsrichter Uwe Kemmling und seinen Assistenten.
Nach dem Abpfiff gab der Unparteiische zu Protokoll: „Ich habe es aus meiner Sicht nicht erkennen können. Ich bin dann zu dem Spieler hin und habe den Spieler Held an seine Ehrlichkeit appeliert und gefragt ob er Hand gespielt hat. Er hat geschworen, er hat den Ball mit dem Kopf ins Aus befördert.“
Zwei Spiele Sperre
Auf Nachfrage eines Reporters, ob der Schiedsrichter ihn nicht danach gefragt habe, antwortete Held: „Nein, hat er nicht.“ Zuvor hatte er erneut abgestritten, den Ball mit der Hand berührt zu haben. Held wurde später für zwei Bundesliga-Spiele gesperrt.
FC-Stürmer Polster war außer sich: „Der Schiedsrichter hat den Oliver Held gefragt, ob es ein Handspiel war und der sagt: Nein. Und dafür soll er sein ganzes Leben kein Glück mehr haben.“ Auch der eigentlich charmante wienerische Akzent Polsters konnte dieser Aussage nicht die Schärfe nehmen, die großer Wut und Enttäuschung entsprang.
Erster Abstieg des 1. FC Köln: Das Ende der Hoffnung
Von diesem Tiefschlag konnte sich die Mannschaft des 1. FC Köln offenbar nicht mehr erholen. Am 33. Spieltag setzte es eine 1:2-Niederlage beim Tabellenletzten Arminia Bielefeld. Dabei war der FC durch Dorinel Munteanu früh in Führung gegangen.
Ausgerechnet der Kölner Uwe Fuchs blies mit seinen beiden Treffern (55. und 74.) den Funken Hoffnung auf den Klassenerhalt mehr oder weniger aus. Beim Treffer zum 1:1 schwören manche FC-Fans bis heute, dass der Ball von der Latte nicht hinter der Torlinie aufkam. Schiedsrichter Winfried Buchhart war anderer Meinung.
Unglücklicher Torschütze
Toni Polster war nach Abpfiff mal wieder fassungslos: „Wir kennen doch den Uwe Fuchs, der hat mit uns trainiert, lange beim FC gespielt. Wir reden fünf Minuten in der Kabine darüber. Wir wissen, er ist kopfballstark. Und dann kommt er rein und macht uns zwei Tore.“ Fuchs selbst war sichtlich bedrückt: „Tut mir leid für Köln. Also, wenn das hier ausgestrahlt wird, ich drücke nächste Woche ganz fest die Daumen.“
Den 9. Mai 1998 würden viele, die dabei gewesen sind, gerne aus ihrer Erinnerung tilgen. Es hatte bereits viele schmerzhafte Momente für den FC-Anhang gegeben, doch der Grausamkeiten war es noch nicht genug.
Die Ausgangslage war recht eindeutig. Dem FC halfen nur Tore, Tore und nochmals Tore. Zwar waren Borussia Mönchengladbach (Platz 17/35 Punkte), der Karlsruher SC (15./38) und der VfL Bochum (14./35) theoretisch noch in Reichweite, doch die Tordifferenz sprach klar gegen den 1. FC Köln.
Der grausame letzte Akt
Zunächst schien es so, dass Köstners Mannschaft ihre Hausaufgabe gegen Bayer Leverkusen zu erledigen schien. Doch stand es trotz zahlreicher guter Möglichkeiten nach Treffern von Munteanu (24.) und Uwe Scherr (61.) nur 2:0. In Südkurve wurde es dennoch mit einem Mal unruhig. Einzel Jubelschreie, ungläubige Blicke, hektische Nachfragen.
Es war das Gerücht in Umlauf gekommen, dass Borussia Mönchengladbach beim VfL Wolfsburg deutlich zurückläge und dem FC nur noch ein paar Tore zum Klassenerhalt fehlen würden. Nach wenigen Momenten hatte die Stadionregie ein Einsehen und blendete die tatsächlichen Zwischenstände ein. Mönchengladbach führte bereits seit der Halbzeit mit 2:0, der VfL Bochum seinerseits mit 1:0. Lediglich Karlsruhe lag zurück.
Ausgleich durch späteren Kapitän
Als ob die FC-Spieler mitbekommen hätten, dass ihr letztes Aufbäumen umsonst gewesen war, riss die bis dahin gute Leistung ab. Dem Anschlusstreffer von Markus Feldhoff (83.) folgte sogar noch der Ausgleich.
Das Schicksal hatte sich noch einmal eine Extraportion Salz auf den Finger gestreut, mit dem es nun in der Wunde zu bohren begann. Ausgerechnet der spätere FC-Kapitän Dirk Lottner traf – man möchte sagen: natürlich – per Freistoß.
„Das war kein schöner Moment für mich. Ich kannte so viele aus der Südkurve und dem Oberrang Nord. Meine Rückkehr nach Müngersdorf hatte ich mir anders vorgestellt“, erinnert sich Lottner. „Dabei war der Freistoß von mir gar nicht so toll, die Mauer stand schlecht, der Torwart tat sein Übriges dazu. Ich war nur dankbar, dass es nicht von meinem Tor abhängig war.“
Heulende Kerle
Unter den trauernden FC-Fans war auch Silvia Krüger. Für sie hatte der Abstieg eigentlich schon nach der Niederlage in Bielefeld festgestanden. „Ich habe noch nie so viele heulende Kerle gesehen“, sagt Krüger. „Mein Vater, meine Schwester und ich haben wochenlang bei mir im Wohnzimmer gesessen, gerechnet, gehofft, gebangt und manchmal auch schon geweint. Mein Vater meinte, es war dann so, als wenn jemand aus der Familie gestorben wäre.“
Das wird mancher FC-Fan sicher nachvollziehen können, wenn er an den 9. Mai 1998 zurückdenkt. Den Tag, an dem das Unvorstellbare für den 1. FC Köln und seine Fans bittere Realität wurde.