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FC-Chef Wehrle im Interview„Vielleicht tut ein neuer Impuls mir und dem FC gut“

Lesezeit 8 Minuten
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Alexander Wehrle wird den 1. FC Köln bald verlassen. 

Köln – Spätestens im April wird Alexander Wehrle den 1. FC Köln nach neun Jahren als Geschäftsführer verlassen, um Vorstandsvorsitzender beim VfB Stuttgart zu werden. Im Interview spricht der 46-Jährige über seine Zeit in Köln, die Corona-Lage und die Umstände seines Abschieds.

Herr Wehrle, im Heimspiel gegen den FC Bayern am Samstag sind 750 Zuschauer zugelassen. Was bedeuten die Quasi-Geisterspiele für den Klub?

Alexander Wehrle: Wir müssen erneut eine große wirtschaftliche Herausforderung meistern. Bei 750 Zuschauern haben wir 1,7 Millionen Euro pro Heimspiel weniger in der Kasse. Trotzdem verfügen wir weiterhin über Möglichkeiten, um die Eigenkapital-Situation positiv zu beeinflussen. Die Ausgabe von Genussrechten ist beispielsweise ein Mittel. Uns hilft ein wenig, dass wir bisher bei den Zuschauern-Einnahmen über Plan liegen, da wir sehr konservativ für die Hinrunde geplant hatten. Doch wir wissen nicht, wie lange die Verordnung mit den 750 Zuschauern gilt. Spätestens im März sollte wieder eine vernünftige Teilauslastung möglich sein.

Wie beurteilen Sie die Zulassung von 750 Zuschauern?

Als völlig unverhältnismäßig. Man konnte in den vergangenen Monaten mit Fakten belegen, dass bei Veranstaltungen unter freiem Himmel kein substanzielles Infektionsgeschehen oder sogar Corona-Hotspots entstanden sind. Wir haben ein schlüssiges, seit Monaten bewährtes Hygienekonzept. Dann möchte ich mal rational erklärt bekommen, warum es nicht möglich sein soll, mindestens 15000 Zuschauer zuzulassen. Das muss doch möglich sein. Vor allem vor dem Hintergrund, dass uns noch vor wenigen Monaten von der Politik als entscheidender Faktor die Hospitalisierungsrate genannt worden ist. Und die lag in NRW in den vergangenen acht bis zehn Wochen trotz zuletzt steigender Infektionszahlen immer zwischen 2,5 und drei. Die Stabilität des Gesundheitssystems steht über allem, dennoch ist das bei diesen Fakten reine Symbolpolitik zulasten des kompletten Profisports in Deutschland. Die Politik soll sich bitteschön an Fakten halten.

Ist das noch Symbolpolitik oder nicht viel mehr ein unangemessenes politisches Handeln?

Ich hoffe und wünsche mir, dass die Politik weiß, was sie tut und warum. Doch wenn man die Fakten und den einstigen Maßstab der Politik zur Hand nimmt, ist das aktuelle Agieren unverhältnismäßig.

Fordern Sie eine Entschädigung für den entstandenen finanziellen Schaden?

Es wird Aufgabe der gesamten deutschen Profiligen sein, in dieser Frage Lösungen von der Politik einzufordern. Ein wichtiger Teil unseres Geschäftsmodells sind eben die Zuschauereinnahmen. Wenn die Verhältnismäßigkeit nicht mehr stimmt, muss man sich idealerweise gemeinschaftlich überlegen, welche Forderungen Sinn ergeben. Ein anderer Aspekt ist mir auch noch wichtig: Betroffen sind auch die Kinder und Jugendlichen, die während der Pandemie ohnehin schon sehr zu leiden haben und lange Zeit nicht mal selbst Sport ausüben konnten. Sie können seit fast zwei Jahren mit Ausnahme einer kurzen Phase keine Spiele im Stadion erleben und ihren Vorbildern zujubeln. Wir laufen Gefahr, eine ganze Generation zu verlieren.

Zur Person

Alexander Wehrle (46) ist seit Januar 2013 Geschäftsführer des 1. FC Köln. Nach seinem Studium zum Diplom-Verwaltungswissenschaftler und Master of Public Policy and Management war er unter anderem als Referent des Vorstands beim VfB Stuttgart (2003 bis 2013) tätig. Seit August 2019 gehört der in Bietigheim-Bissingen geborene Schwabe zudem dem Präsidium der Deutschen Fußball Liga (DFL) an. Spätestens im April wird Wehrle den 1. FC Köln verlassen und zum VfB Stuttgart zurückkehren, wo er Vorsitzender des Vorstands werden wird.

Hat der 1. FC Köln durch Corona seine Zukunft verpfändet?

Bis heute reden wir insgesamt von rund 85 Millionen Euro Umsatzverlust. Der wird steigen, wenn wir die ganze Rückrunde weiter Geisterspiele haben. Wir müssen bereits jetzt eine Landesbürgschaft zurückführen, haben erhebliches Fremdkapital angesammelt und mussten künftige Sponsoring-Einnahmen vorziehen. Die nächsten Jahre müssen wir den Gürtel enger schnallen. Das wird nicht einfach.

Ist der FC deshalb gezwungen, Spieler zu verkaufen?

Momentan nicht, es gibt keine Notverkäufe. Wir sind handlungs- und wettbewerbsfähig. Was man jetzt schon sieht: Der Transfermarkt, die Ablösen und Gehaltsstrukturen werden sich insgesamt verändern. Auch die Neuverträge werden leistungsorientierter abgeschlossen. Wir können den Spielern beim FC dennoch eine gute Perspektive bieten – das spiegelt sich derzeit auch in unserer sportlichen Entwicklung wider.

Zur Zukunft des FC zählt auch Cheftrainer Steffen Baumgart. Der hat im Interview mit dieser Zeitung angekündigt, dass er sofort seinen 2023 auslaufenden Vertrag beim FC verlängern würde – sofern der Vorstand das will. Der möchte das allerdings erst im April entscheiden, wenn der neue Geschäftsführer Sport Christian Keller beginnt. Was würden Sie empfehlen?

Der Vorstand hat sich klar dazu geäußert und das mit Steffen besprochen. Grundsätzlich ist es immer positiv für einen Verein, wenn man früh Planungssicherheit hat – gerade in einer solch wichtigen Personalie wie der des Cheftrainers.

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Alexander Wehrle beim Karnevalstraining am 11. November 2021

Sie werden den FC bald in Richtung Stuttgart verlassen. Wie organisieren Sie den Übergang in der Geschäftsführung?

Philipp Türoff ist seit seinem ersten Tag bei allen Terminen dabei, wir führen auch viele Einzelgespräche. Er macht sich gerade ein Bild über die Führungskräfte. Wir haben einen funktionierenden Apparat mit sehr erfahrenen Abteilungsleitern. Es gibt eine große Expertise in den jeweiligen Fachabteilungen, und es herrscht ein guter Teamgeist. Philipp Türoff kann auf einem guten Fundament aufbauen.

Der FC möchte, dass Sie bis zum April bleiben. Bleibt es beim Zeitplan?

Das ist eine Entscheidung des Vorstands. Ich arbeite gut mit Philipp Türoff zusammen, beziehe ihn in alle Prozesse ein und stelle ihm Entscheidungsträger vor. Und dann werden wir uns zusammensetzen und festlegen, wann der richtige Zeitpunkt für meinen Abschied ist.

Ist es denn wirklich realistisch, dass Sie noch bis in den April beim FC bleiben?

Wie gesagt, das muss der Vorstand entscheiden.

Beide Klubs sind Ligakonkurrenten. Entsteht da nicht ein Interessenskonflikt?

Diese Stimmen könnte es geben. Aber meine Aufgabe ist es, beim FC einen sauberen, geordneten Übergang zu ermöglichen. Ich bin professionell genug, diesen Prozess so zu gestalten. Sollten mögliche Interessenskonflikte entstehen, würde ich den Vorstand darüber informieren.

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Sie sind ja mittlerweile Kölner ehrenhalber. Müssen Sie Ihrem Nachfolger auch die Besonderheiten des Kölner Umfelds erläutern?

Das ist aber nett von Ihnen, das werde ich mir merken. Ich dachte, in Köln sagt man zu Leuten wie mir „Immi“.

Immerhin waren Sie lange genug hier, um die Besonderheiten des Vereins zu kennen. Außerdem sind Sie Teil der Stadt-Gesellschaft. Muss man das als Geschäftsführer des 1. FC Köln?

Das weiß ich nicht. Ich kam Anfang 2013 ja auch von außerhalb und musste erst erfahren, was die Stadt und den FC so speziell macht: Der Verein hat solch eine extreme Bedeutung in der Stadt und seinem Umland wie wohl kein anderer Klub in Deutschland. Die Liebe und die fast schon symbiotische Zuneigung – das ist faszinierend. Der Verein hat eine unfassbare Wucht, die Kölner erhalten mit der Geburtsurkunde praktisch schon die FC-Mitgliedschaft. Ich mag diese Art sehr, dieses Herzliche, und habe mich darauf eingelassen. Die Besonderheiten sollte man im Idealfall nicht nur verstehen, sondern sie auch verinnerlichen und leben. Wer einmal am Rosenmontag auf dem Wagen durch das Severinstor fährt, der weiß, was den Karneval in Köln ausmacht und wie er die Menschen bewegt.

Da fragt man sich: Warum verlassen Sie überhaupt den 1. FC Köln und wechseln nach Stuttgart?

Am 17. Januar bin ich neun Jahre hier. Es war eine sehr intensive, lange Zeit mit vielen Höhen und auch Tiefen. Vielleicht tut es dem Verein und auch mir gut, einen neuen Impuls zu bekommen. Zudem war jetzt die Möglichkeit da, bei meinem früheren Verein eine Position zu übernehmen, die mich reizt. Es war keine einfache Entscheidung.

Wenn Sie auf Ihr Herz gehört hätten, wären Sie dann geblieben?

Ich bin ja Schwabe, und nach Stuttgart nach Hause zu gehen, das ist ja auch eine Herzensentscheidung. Aber natürlich bin ich in Köln sehr heimisch geworden und habe viele Freunde dazu gewonnen. Der ICE braucht nur rund zwei Stunden für die Strecke, ich werde weiter häufig zu Besuch in Köln sein.

Was waren die Tiefpunkte Ihrer Amtszeit?

Unter dem Strich bin ich zufrieden. Als ich anfing, waren wir in der 2. Bundesliga auf Platz neun. Jetzt sind wir Sechster der Bundesliga. Der Verein ist stetig gewachsen und hat eine gute Struktur. Ich habe versucht, immer das Beste für den Verein herauszuholen. Und dabei habe ich sicherlich auch Fehler gemacht. Unternehmen kommt aber von etwas unternehmen – Entscheidungen zu treffen. Ich denke, dass jeder Geschäftsführer in der Bundesliga auch mal eine Entscheidung trifft, die er nachher bereut.

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Neun Jahre lang sprach Alexander Wehrle auf den Mitgliederversammlungen des 1. FC Köln. 

Sehen Sie es als Scheitern an, dass sich von Ihnen vorangetriebene Projekte wie der Ausbau des Geißbockheims und des Stadions nicht umsetzen ließen?

Nein. Beim Ausbau des Geißbockheims haben wir den positiven politischen Bescheid im Sommer 2020 erreicht. In einer Demokratie muss man aber immer mit Gegenwind rechnen und damit, dass auch Politiker ihre Meinung ändern.

Sie wurden zwischenzeitlich dafür angefeindet, dass Sie Anthony Modeste aus China zum FC zurückgeholt hatten. Sehen Sie sich jetzt in dieser Entscheidung bestätigt?

So ist der Fußball. Damit muss man umgehen können. Die Verhandlungen in China waren nicht einfach und auch riskant. Aber wir haben Tony letztlich für 28 Millionen Euro verkauft und für null Euro zurückgeholt. Ich glaube, dieser Vorgang ist im deutschen Fußball einmalig. Natürlich hatte Tony nach seiner Rückkehr Schwierigkeiten, da er auch nie verletzungsfrei war. Aber ich habe immer an ihn geglaubt und freue mich für ihn und die Mannschaft sehr, dass es jetzt so super läuft. Und ich würde mich freuen, wenn die Mannschaft und Modeste diese Entwicklung fortsetzen.