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Wie „Mucki“ zum Mythos wurdeVor 30 Jahren starb FC-Köln-Hoffnung Maurice Banach

Lesezeit 10 Minuten
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Enttäuschung nach dem verlorenen Pokalfinale 1991 im Berliner Olympiastadion

Nicht weit entfernt von dem Wall, der die Autobahn 1 bei Wermelskirchen vom Grün des Bergischen Landes trennt, steht ein Bauernhof. Claudia Banach hat sich die Stelle wieder und wieder angesehen, damals, vor nun 30 Jahren. Eine Kette war dort gefunden worden. Sie hatte Claudia Banachs Mann gehört, dem FC-Profi Maurice „Mucki“ Banach, der am 17. November 1991, einem trüben Sonntagmorgen, auf dem Weg nach Köln in seinem Opel Omega erst in die Leitplanke und dann in eine Brücke eingeschlagen war.

Das Auto war in Flammen aufgegangen; keine Chance, da lebendig rauszukommen. Doch Claudia Banach beschloss für sich, ihr Mann habe überlebt. Womöglich ein Trauma erlitten beim Unfall. Sei den Wall hinaufgekrochen. Habe im Hof Unterschlupf gefunden. Er komme jeden Moment zur Tür herein, glaubte die Witwe in den Tagen und Wochen nach dem Unfall. Aber Maurice Banach war tot. Ein 24 Jahre alter Mittelstürmer, elegant, gutaussehend – und extrem torgefährlich.

Banach war Zweitliga-Torschützenkönig

Als Zweitliga-Torschützenkönig war er aus Wattenscheid zum FC gewechselt, für 1,6 Millionen Mark Ablöse. In seinem ersten Jahr hatte der FC den siebten Rang und das DFB-Pokalfinale erreicht, heutzutage würde man angesichts dieser Ausbeute wohl den Rathausbalkon reservieren. Doch damals war man nicht ganz zufrieden. Nach zwei Vizemeisterschaften war der siebte Platz ein wenig dürr.

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Erich Rutemöller trainierte Banach beim 1. FC Köln. 

Banach dagegen hatte ein gutes erstes Jahr in Köln erlebt. 13 Tore in der Liga, vier im Pokal. Dieser Spieler hatte eine Perspektive. Auch privat. Nach Danny, drei Jahre alt, war Zico zur Welt gekommen. Banach war zweifacher Vater, verheiratet mit seiner Jugendliebe Claudia. Aufgewachsen in schwierigen Verhältnissen. Zum eigenen Vater hatte er keinen Kontakt. Seine Söhne, sagte Banach nicht lange vor seinem Tod, sollten es einmal besser haben als er. Es sah gut aus für die Familie Banach in diesen Tagen im Herbst 1991.

Alle Träume endeten am 17. November auf der A1

Auch der Start in seine zweite Kölner Saison war für Banach besser als für den FC: Erst am 14. Spieltag gelang Köln unter Trainer Jörg Berger der erste Sieg. Bis zum 18. Spieltag, seinem letzten Spiel, waren Maurice Banach aber schon wieder zehn Bundesligatore gelungen. Nicht lange, und Banach werde sich verabschieden, „nach Italien, da gingen damals alle Spitzenspieler hin“, sagt Andreas Gielchen, Banachs Mitspieler beim FC und sein bester Freund. Doch alle Träume endeten am 17. November auf der A1.

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Weltmeister Bodo Illgner (l.) mit Ex-FC-Stürmer Uwe Fuchs an Banachs Grab

Maurice Banach kam nicht mehr zur Tür herein. Nicht nach Tagen. Nicht nach Wochen. Und irgendwann fasste Claudia Banach einen neuen Entschluss: Ihr Mann hatte sie und die Söhne verlassen. Er habe den Unfall genutzt, um von vorn anzufangen. Mit einer anderen Frau, redete sich Claudia Banach ein. „Das war meine Art, das Ganze zu verarbeiten. Ich habe mich für Jahre in eine Fantasiewelt geflüchtet“, sagt sie 30 Jahre später im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: Sie habe versucht, eine Wut auf ihren Mann zu entwickeln, um den Verlust ertragen zu können.

Den Schmerz begrub Claudia Banach tief in sich

Sie zog mit den Söhnen zurück in die Wohnung ihrer Eltern nach Münster. Den Schmerz begrub sie tief in sich, sie musste ja weitermachen, schon wegen der Kinder. Für eine Therapie sei damals keine Zeit gewesen. Sie arbeitete in der Taxizentrale, fünf Mark die Stunde. Nebenher ging sie putzen. Erst nach zwei überstandenen Krebserkrankungen fasste Claudia Banach den Entschluss, sich psychologische Hilfe zu holen. „Ich hatte nie die Zeit, die Geschichte innerlich aufzuarbeiten. Ich habe es einfach verdrängt.“

Benefizspiel und Buch

Das Gedenkspiel für Maurice Banach soll im kommenden Jahr stattfinden. Der 1. FC Köln wollte abwarten, bis wieder 50 000 Zuschauer im Stadion zugelassen sind. „In der Vergangenheit ist in der Öffentlichkeit oft und sehr kontrovers über den Umgang des FC mit der Familie Banach nach dem Tod von Mucki diskutiert worden. Diese offene Wunde möchten wir nun endgültig schließen und die Zeit der Vorwürfe beenden. Gemeinsam mit seiner Familie, alten Weggefährten und den FC-Fans wollen wir positiv nach vorne schauen und Mucki Banach in einem würdigen Rahmen ein besonderes Gedenken bereiten. Wir möchten mit dem Benefizspiel ein deutliches Zeichen setzen, dass die FC-Familie Mucki nicht vergessen hat und an der Seite seiner Familie steht. Alle Aktionen, die im Gedenken an Mucki dazu beitragen, einen der talentiertesten Stürmer der FC-Historie in schöner Erinnerung zu behalten, helfen uns dabei, das Unfassbare auch 30 Jahre später weiter zu verarbeiten. Maurice Banach wird unvergessen bleiben“, sagt FC-Präsident Werner Wolf.

Die Autoren Ralf Friedrichs und Thomas Reinscheid haben zum 30. Todestag des Stürmers ein Buch herausgebracht, das das viel zu kurze Leben des Fußballerst dokumentiert.

Ralf Friedrichs, Thomas Reinscheid: Maurice Banach – Sie nannten ihn Mucki. Edition Steffan, 180 Seiten, 24,90 Euro.

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Das Buch von Ralf Friedrichs und Thomas Reinscheid

Am Nachmittag vor diesem 17. November hatte der 1. FC Köln noch vor 61 000 Zuschauern auf Schalke gespielt und 0:3 verloren, Banach hatte 90 Minuten auf dem Platz gestanden. Nach dem Spiel in Gelsenkirchen holte sich der gebürtige Münsteraner die Erlaubnis, nicht mit der Mannschaft zurück nach Köln fahren zu müssen. Stattdessen wollte er den Abend mit seiner Frau in Münster verbringen. Sie gingen tanzen, er 24, sie 25 Jahre alt, für solche Abende als Paar war wenig Zeit – die Kinder, der Beruf. Eigentlich habe ihr Mann nach Niederlagen nie ausgehen wollen, außerdem war am nächsten Morgen Training. Doch diesmal machte er eine Ausnahme, die Gelegenheit war zu kostbar, um sie verstreichen zu lassen.

Ein letztes Gespräch auf der Tanzfläche

Auf der Tanzfläche fragte er seine Frau: „Was würdest du machen, wenn ich nicht mehr da wäre?“ Claudia Banach hat die Frage nie vergessen, noch heute erinnert sie sich, wie sie ihrem Mann den finsteren Gedanken ausredete. Ob sie sich wieder verlieben, ob sie einen neuen Mann suchen und eine Familie ohne ihn gründen werde, wollte er wissen. Claudia Banach wollte nichts davon hören. Nicht an einem solchen Abend zu zweit, von dem sie nicht wusste, dass es der letzte sein würde.

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Maurice Banach in einem U-20-Länderspiel gegen Chile 

Die Banachs hatten sich kennengelernt, da waren sie noch Teenager. Zunächst spielte Maurice in der Jugend von Preußen Münster, mit 15 wechselte er zu Borussia Dortmund. Der Sohn eines US-Soldaten und einer Deutschen träumte von der Profikarriere, und tatsächlich: Mit 17 unterschrieb er seinen ersten Vertrag. Kleines Geld, aber es war ein Schritt, der den Traum immer realer werden ließ. Einmal posierte er in diesen Zeiten für Claudia auf einem Findling vor dem feinen Hotel Krautkrämer in Münster-Hiltrup: Vier Sterne, Schwimmbad, Sauna, Blick auf den See: Eines Tages, rief er, eines Tages werde er in diesem Hotel übernachten.

Gewaltiges Spiel im Olympiastadion

Der Traum erfüllt sich: Vor dem Finale um den DFB-Pokal residierten die FC-Profis im Krautkrämer. 73 000 Zuschauer im Olympiastadion, ein gewaltiges Spiel, und selbstverständlich traf Banach. Den Titel holte dann trotzdem Werder. Es war die vorerst letzte Finalteilnahme der Kölner. Der 1. FC Köln, dreimaliger Deutscher Meister, vierfacher Pokalsieger, Gründungsmitglied der Bundesliga und noch nie abgestiegen, verlor am 17. November 1991 zunächst seine große Stürmerverheißung. Und dann das Glück. Dem Abstieg im Frühjahr 1998 folgten viele weitere Tiefpunkte. Und während der 1. FC Köln immer kleiner wurde, wuchs die Verehrung des Mittelstürmers Maurice Banach.

Die Wucht und Größe eines Fußballvereins speist sich nicht allein aus den Titeln, Toren und Triumphen auf dem Spielfeld. Er lebt von den Mythen und Helden. Von bitteren Niederlagen und gemeinsamen Schmerzen.

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Claudia Banach mit Maurice und den gemeinsamen Söhnen Danny und Zico.

Die Frage, wie es wohl weitergegangen wäre mit Banach und dem 1. FC Köln, ist tief verwurzelt im Erbgut des Vereins. Bis in die Gegenwart sprechen die Fans über den Spieler, der nach Beschreibung von Weltmeister Pierre Littbarski „eine Mischung aus Thomas Müller und Robert Lewandowski“ war. Banach ist eine FC-Legende - und das mit gerade mal 63 Spielen und 29 Toren für Köln. Die Fans reden in stiller Verehrung über „Mucki“, ihren geliebten Helden. Banach ist auch eine Chiffre geworden für ein verlorenes Paradies.

Claudia Banach dagegen hatte ganz andere Gedanken. „Ich habe mir ausgemalt, wie es mit uns als Familie weitergelaufen wäre. Die Karriere des Fußballers Maurice Banach hat für mich eher keine große Rolle gespielt. Für mich zählte meine Familie“, sagt sie.

„Muckis Stellenwert war mir gar nicht bewusst“

Dass ihr Mann in den folgenden Jahren zum Mythos wurde, erreichte die Witwe nicht. „Dieser Mythos, Muckis Stellenwert über all diese Jahre hinweg – das war mir gar nicht bewusst“, sagt sie. Soziale Medien gab es nicht. Und der Kontakt nach Köln riss bald ab. Udo Lattek besuchte die Familie noch einmal in der Weihnachtszeit. Doch schon wenig später herrschte nur noch Stille zwischen Claudia Banach und dem FC.

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Witwe Claudia Weigl-Banach und der frühere Mitspieler und Freund Andreas Gielchen am Grab von Maurice Banach in Münster

Und Kälte. Der 1. FC Köln hatte den Spieler versichert, doch von der Prämie zahlte der Verein nur einen kleinen Teil an die Witwe aus. „Ich müsse mir ja keinen neuen Mann kaufen, der FC aber einen neuen Spieler“, habe FC-Geschäftsführer Wolfgang Schänzler ihr damals gesagt, erinnert sich Banach.

Der FC wünschte „weiterhin alles Gute“

Auch die Hoffnung auf eine andere Geldquelle erfüllte sich nicht: Am Ende der Saison hatte sich der FC noch einmal für den Uefa-Pokal qualifiziert. Frank Ordenewitz, Banachs Kollege im Kölner Angriff, wies Claudia Banach darauf hin, dass ihr noch die Prämie zustand. Maurice Banach hatte schließlich 18 Spiele lang seinen Beitrag zur Qualifikation geleistet.

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Maurice Banach in einem Spiel gegen die Stuttgarter Kickers im August 1991

Aber statt die Prämie zu überweisen, schickte der FC eine Kostenaufstellung: Für seine Unterschrift beim 1. FC Köln hatte Banach ein Handgeld erhalten – keine Millionensumme wie heute üblich. Sondern einen Einkaufsgutschein fürs Möbelhaus, um einen Haushalt zu gründen. Von den 45.500 Mark Prämie zog der Klub deshalb drei Jahre später 40.336 Mark und 60 Pfennig ab, für die Möbel und acht Monatsmieten für das Haus in Dansweiler. Nach Steuern blieben Claudia Banach 3.203,30 Mark, „über diesen Betrag haben wir einen Verrechnungsscheck beigefügt. Außerdem übersenden wir Ihnen die Lohnsteuerkarte 1992“, schrieb Wolfgang Schänzler, der Claudia Banach „weiterhin alles Gute“ wünschte und mit freundlichen Grüßen verblieb.

Rücklagen gab es keine, die Karriere hatte ja gerade erst begonnen. 1987 hatte das Paar geheiratet, Geld war in der Beziehung immer knapp gewesen. „Ich kann mich noch erinnern, wie Mucki in Dortmund bei einer älteren Dame für fünf Mark die Stunde den Rasen gemäht hat, um etwas dazu zu verdienen“, sagt Claudia Banach.

Gebrochenes Schweigen 18 Jahre danach

Erst 18 Jahre nach dem Unfall brach Claudia Banach ihr Schweigen. Beim „FC-Stammtisch“ des Moderators Ralf Friedrichs machte sie öffentlich, wie sich der 1. FC Köln nach dem Tod des Stürmers verhalten hatte. Kein Geld, keine Hilfe, kein tröstendes Wort. Michael Meier, damals FC-Geschäftsführer, setzte sich daraufhin für Claudia Banach ein, verschaffte ihr eine bessere Anstellung.

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Andreas Gielchen und Maurice Banach (v.r.) spielten gemeinsam für den 1. FC Köln. 

Mehr geschah jedoch nicht, und es dauerte viele weitere Jahre, ehe Andreas Gielchen am 9. Oktober 2020 an Maurice Banachs 53. Geburtstag bei Facebook eine Anklage veröffentlichte, die viral ging. Diesmal reagierte der Verein. Die Geschäftsführer Horst Heldt und Alexander Wehrle setzten sich mit Gielchen und Banachs Familie zusammen. Im vergangenen März veröffentlichte der 1. FC Köln dann eine Mitteilung: Der Vorstand bitte um Vergebung. Im kommenden Jahr soll es ein Gedenkspiel in Müngersdorf geben.

Claudia Banach gibt dem FC die Gelegenheit, die Wunde zu schließen, sie hat ihren Frieden gemacht. „Dass der 1. FC Köln ihm zu Ehren ein Spiel austrägt, ist eine ganz besondere Geste, über die wir uns als Familie sehr freuen“, sagt Claudia Banach: „Der FC ist eine Familie, in der wir uns gut aufgehoben fühlen.“

Die Kette, die neben der Unfallstelle im Gras gefunden war, schenkte Claudia Banach bald nach dem Unfall ihrem ältesten Sohn Danny. Er trägt sie bis heute.