Köln – Die Spekulationen begannen gleich nach dem Spiel. Was mochte sich abgespielt haben im Hause Baumgart, während der 1. FC Köln in Abwesenheit des wegen eines positiven Corona-Befunds isolierten Cheftrainers den SC Freiburg 1:0 besiegt hatte. Es gab sogar Sorge ums Mobiliar. „Die allergrößten Chancen haben wir ja in der Schlussphase nicht mehr zugelassen. Darum hoffe ich, dass alles heile geblieben ist“, sagte Timo Hübers, Kölns am Samstag überragender Abwehrchef.
Jörg Jakobs lagen bereits erste Zeugenaussagen vor. Baumgart hatte beim Sieg im Wohnzimmer offenbar einen eher unruhigen Nachmittag verbracht – allerdings mit gutem Ende: „Er hatte eine Zeitverzögerung durch die Übertragung“, berichtete der Sportchef heiter: „Er hatte in den letzten Minuten Funkkontakt zu unseren Leuten, und als der Abpfiff kam, haben wir ihm gesagt, dass er jetzt entspannt zu Ende gucken kann.“
Coaching-Zone vor der Couch
Ein Sieg jenseits von Ort und Zeit also, und während die 10 000 Zuschauer glücklich den Heimweg antraten, beendete Steffen Baumgarts Tochter jede weitere Spekulation darüber, was sich in der Coaching-Zone zwischen Couch und Fernsehgerät abgespielt hatte: Am Abend veröffentlichte sie ein Video, das ihren Vater dabei zeigte, wie er durchs Wohnzimmer tigert und dabei abwechselnd den Fernseher und seinen Videoanalysten anbrüllt. Derartige Bilder eines Trainers hat es in der Bundesligageschichte noch nicht gegeben, allein das machte sie zu einer Sensation. „Sie sollen nach vorne spielen, auch wenn sie drei Stück kriegen“, schrie Baumgart etwa. Es gab weitere faszinierende Details im einminütigen Zusammenschnitt. Zum Beispiel, dass Gattin, Sohn und Tochter seelenruhig auf der Couch liegen, während der Mann des Hauses vollständig aufdreht. Die beste Szene allerdings war, wie Familienhund Jory in aller Ruhe auf die Schultern des tobenden Trainers kletterte und der davon unbeeindruckt einfach weitermachte.
Dass Anfertigung wie Veröffentlichung der Aufnahmen ohne Wissen des 1. FC Köln geschahen, hat als Beleg von Emilia Baumgarts Kühnheit zu gelten, der ein viraler Hit gelang, der es unter anderem bis ins „Sportstudio“ des ZDF schaffte.
Die Videosensation vom Samstagabend lenkte einen Teil der Aufmerksamkeit weg vom Spiel, was einerseits verständlich, andererseits etwas schade war. Denn das Kölner 1:0 über den SC Freiburg war nicht nur Resultat einer bemerkenswerten Mannschaftsleistung. Es hat die Frage, welche Mannschaft denn nun die große Überraschung dieser Saison sein wird, neu gestellt: Bislang waren es die Freiburger mit famosen 33 Punkten aus 21 Saisonspielen, die nach Platz 10 der vergangenen Spielzeit momentan Fünfter sind. Doch die Kölner haben mit nun 32 Zählern nur noch einen Punkt Rückstand. Und kommen aus einem Jahr, in dem sie sich erst am letzten Spieltag in die Relegation retteten.
Pawlak beweist seine Qualität
Verantwortet hatte den Auftritt André Pawlak, der einmal mehr bewies, warum man ihn am Geißbockheim zur Konstante auserkoren hat. Pawlak soll nach Wunsch der Verantwortlichen in allen Trainerteams der kommenden Jahre Verantwortung übernehmen. Das funktionierte bereits herausragend, als er im Frühjahr Friedhelm Funkels Rettungsmission orchestrierte. Danach erleichterte Pawlak auch Steffen Baumgarts Ankunft in Köln.
Am Samstag gelang es dem gebürtigen Gelsenkirchener sogar, seinen Chef zu ersetzen, obwohl das schwer fiel. „In der Halbzeitpause war er schon gut heiser, da musste ich schmunzeln. Offenbar hat er versucht, es dem Steffen Baumgart gleichzumachen“, berichtete Timo Hübers.
Zur Mannschaftsbesprechung im Geißbockheim hatte sich Baumgart noch per Video zuschalten lassen. Im Stadion hatte dann Pawlak übernommen und eine „sehr, sehr gute Ansprache gehalten, auf seine Art“, schilderte Jörg Jakobs. „Es war besonders, aber wir wissen, was wir machen müssen. Wir haben noch viel vor“, befand Anthony Modeste, dem in der 23. Minute mit einem perfekten Direktschuss der Siegtreffer gelungen war – auf Vorarbeit des ebenfalls herausragenden Teenagers Jan Thielmann.
„Die Mannschaft ist total gefestigt“
Pawlak zeigte sich nach der Partie gefasst, seine Analyse fiel sachlich aus. „Die Mannschaft ist total gefestigt. Wir haben Abläufe über Monate trainiert, die sind einfach drin. Daran haben wir erinnert. Natürlich fehlt Steffen, vielleicht auch seine Ansprache, die Emotionalität von draußen. Ich habe aber heute nicht gesehen, dass etwas gefehlt hat. Darauf kann die Mannschaft stolz sein“, sagte der 51-Jährige – und setzte ein Lächeln auf: „So kann man gut wieder abtreten.“
Ob er bis zum Spiel am Freitagabend in Leipzig tatsächlich in die zweite Reihe zurückkehren wird, ist allerdings offen: Steffen Baumgart benötigt einen negativen Corona-Test. Bis dahin findet Fußball für ihn weiter im Wohnzimmer statt.