Köln – Christian Keller, der neue Geschäftsführer des 1. FC Köln, über die Lage seines neuen Vereins und die Perspektiven für die neue Saison, in der die Kölner trotz der Qualifikation für die Playoffs der Conference League vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen stehen.
Sie sind seit dem 1. April beim 1. FC Köln tätig. Ist Ihnen in dieser Zeit schon die Wucht des Vereins begegnet?
Vieles war mir ja bewusst, aber wenn du das dann vor Ort erlebst, ist das schon beeindruckend – und zwar auf allen Ebenen. Gefühlt lebt die ganze Stadt und das Umland mit dem FC. Selbst nach vielen Tiefpunkten – und von denen gab es ja einige in den vergangenen 30 Jahren – haben sich die Menschen nicht vom FC abgewandt. Im Gegenteil. Es herrschte oft das Motto: Wir rücken das zusammen wieder gerade.
Ist der schlafende Riese jetzt erwacht – auch dauerhaft?
Momentan ist der Riese in vielen Bereichen eher ein Zwerg. Der FC müsste eigentlich ein Riese sein, hat aber leider in den vergangenen Jahrzehnten einiges verpasst.
Was ist aus Ihrer Sicht denn 30 Jahre lang beim FC überwiegend schiefgelaufen?
Ich würde mir nicht anmaßen, Entscheidungen zu beurteilen, die im situativen Kontext und unter bestimmten Rahmenbedingungen getroffen wurden. Ich habe mit der Zukunft genug zu tun. Das ist eine Herkulesaufgabe – da darf man sich von der aktuell guten sportlichen Situation des FC nicht blenden lassen.
Was hat Sie in den ersten Wochen überrascht?
Am positivsten wahrgenommen habe ich, dass der FC auf allen Ebenen sehr viele kompetente, motivierte Mitarbeiter hat, die das tun, was der ganze Standort macht: Sie leben den FC und sind bereit, viel zu investieren.
Viele kompetente Mitarbeiter, die am Geißbockheim viele kleine Büros haben.
Das bestätigt meinen Eindruck noch: Kaum ein Mitarbeiter lamentiert über die Gegebenheiten, die teilweise desaströs sind. Nicht nur, weil Büroknappheit herrscht. Im Nachwuchsleistungszentrum sind die Zustände beschämend, eines Bundesligisten nicht würdig. In diesem Bereich sind wir ein Zwerg. Aber die Frage ist immer, wie man mit solchen Sachen dann umgeht. Ein Credo von mir ist: Es ist, wie es ist. Aber es wird, was man daraus macht.
Ist die finanzielle Situation des Klubs schlechter als auch von Ihnen noch vor einigen Monaten vermutet?
Ich wusste, dass wir beim FC einen klaren Sanierungsauftrag haben. Aber wenn ich etwas aufbauen will und ein brüchiges Fundament habe, muss ich erst gar nicht anfangen, in die Höhe zu bauen. Denn dann würde das Fundament direkt wieder einbrechen. Deshalb werden in den nächsten Jahren eher ein Entwicklungsklub sein. Ein Verein, der überwiegend Spieler holt, die noch nicht zwingend Bundesliganiveau nachgewiesen, die aber das Potenzial dazu haben. Anders können wir nicht gesund werden. Immerhin: Viel kränker können wir auch nicht mehr werden (lacht).
Ist der FC durch die Folgen von Pandemie und Wirtschaftskrise so krank wie alle?
Die Pandemie hat für alle Klubs zu den inhaltlich gleichen Folgen geführt, in absoluten Zahlen bei einem Großverein wie dem FC natürlich zu größeren als anderswo. Aber in guten Zeiten hätte ein großer Klub wie der FC dafür auch bessere Chancen gehabt, sich Speck auf die Rippen zu futtern und Substanz aufzubauen.
Sie hatten dem FC bereits im Herbst zugesagt. Waren Sie über das Ausmaß der finanziellen Schwierigkeiten im Bilde?
Die Eckdaten aus dem Herbst kannte ich. Die März-Unterlagen, die ich zur Einarbeitung bekommen habe, sahen noch mal schlechter aus.
Sie haben betont, der FC müsse zur neuen Saison 20 Prozent des Personalaufwands reduzieren und sei auf Transfererlöse angewiesen – und das trotz der Teilnahme an den Playoffs zur Conference League.
Durch die Teilnahme an den Playoffs gehen noch keine nennenswerten Erlöse ein. Dafür gibt es keine Antrittsprämie, sondern erst ab der Gruppenphase. Wir können mit diesen Einnahmen also noch nicht kalkulieren.
Ob der FC die Gruppenhase erreicht, wissen Sie erst kurz vor Ende der Transferphase. Ist das ein Problem?
Dahinter steckt ja die Frage, ob man den Kader breiter macht oder nicht, sollte man die Gruppenphase erreichen. Das planen wir nicht, und ich bin auch kein Fan von einem zu großen Kader. Wir – und damit meine ich die sportlich Verantwortlichen und das Trainerteam – müssen einen cleveren Weg finden, zu periodisieren. Im Kern, wie man die Trainings- und Spielbelastung steuert. Sollten wir uns für die Gruppenphase qualifizieren, würden wir in der letzten Transfer-Woche sicherlich nicht noch fünf Spieler holen. Schön wäre es, wenn die Mannschaft zum Trainingsauftakt beisammen wäre, das ist allerdings Wunschdenken. Wir werden Spieler verpflichten, die entweder keine oder nur eine rudimentäre Ablöse kosten. Auch was das Gehalt angeht, können wir nur in einem Regal einkaufen, in dem zumindest preislich nicht die Premiumware steht.
Ist Trainer Steffen Baumgart ein zusätzliches Pfund, mit dem sich wuchern lässt?
Ja, aber das ändert nichts an unserer wirtschaftlichen Situation. Wir werden nicht fertige Qualität verpflichten, sondern Potenzial. Spieler wie Linton Maina. Er bringt Eigenschaften mit, die wir nicht so oft im Kader haben. Und er hat das Potenzial, ein guter Bundesligaspieler zu werden. Wir müssen ihn so weiterentwickeln, dass er dazu kommt, seine Leistungen konstant abzurufen. Dafür muss er die Bereitschaft haben, konsequent mit dem Trainerteam zu arbeiten. Ein Trainer sollte in erster Linie ein Spielerentwickler sein, und Steffen sieht sich als solcher und hat die Lust dazu.
Ist es im sportlichen Erfolg jetzt noch wichtiger, nach innen und außen zu kommunizieren, dass der Verein vorerst kleinere Brötchen backen muss?
Wir müssen die richtige Erwartungshaltung schaffen. Nach innen ist es leichter, weil man da transparenter reden kann. Wir müssen auch den Abteilungsleitern und Mitarbeitern erklären, wo wir stehen. Es bringt ja nichts, wenn wir uns hier in die Tasche lügen, und ich erwarte auch nicht, dass jeder Fan das versteht. Aber ich werde es den Menschen zumindest versuchen, zu erklären.
Aber es gibt ein Konzept, das ein positives Ende hat.
Wir müssen unsere sportlichen Mindestziele erreichen und gleichzeitig gesunden. Das ist ein Spagat, und der Boden, auf dem wir diesen Spagat machen, ist sehr dünn. Wir müssen eine Leistungsorientierung schaffen und wegkommen vom reinen Ergebnisdenken. Wenn uns das gelingt, haben wir eine riesige Chance, die Wucht dieses Klubs in absehbarer Zeit zu entfalten. Falls nicht, wird hier in den nächsten 30 Jahren dasselbe passieren wie in den letzten 30: Dann sind wir weiterhin im Fahrstuhl. Konkret heißt das für die nächste Saison: Wir wollen unsere Spielidee verfestigen, und jeden einzelnen Spieler weiterentwickeln – und wenn wir dann am Ende nur Zwölfter werden, kann das für die langfristige Entwicklung trotzdem sehr gut sein.
Noch einmal nachgehakt: Was heißen „nennenswerte Transfereinnahmen“ konkret?
Eine genaue Zahl werde ich nicht nennen. Wir werden sehen, für welche Spieler ein Markt entsteht.
Ist der FC also gezwungen, seine besten Spieler zu verkaufen?
Natürlich wollen wir unsere Leistungsträger nicht abgeben. Trotzdem wird es wahrscheinlich Veränderungen geben.
Ein Blue Chip wäre Salih Özcan, der aus den eigenen Reihen kommt. Bleibt er?
Das kann ich nicht sagen. Ich kann nur sagen, dass wir Gespräche mit ihm geführt haben und Salih weiß, dass wir ihn halten wollen. Er wird primär sportlich entscheiden, ob er den nächsten Schritt jetzt schon machen will oder ob er bei seinem FC bleiben und sich noch weiter stabilisieren will. Das ist eine sportliche Abwägung, die er und sein Umfeld treffen müssen.
Zur Person
Christian Keller, geboren am 26. November 1978 in Donaueschingen, war von Juni 2013 bis Oktober 2021 Geschäftsführer des SSV Jahn Regensburg. Unter Kellers Führung schaffte der Verein den Durchmarsch von der Vierten bis in die Zweite Liga.
2008 promovierte Keller an der Universität Tübingen, das Dissertationsthema lautete „Steuerung von Fußballunternehmen – Finanziellen und sportlichen Erfolg langfristig gestalten“. Vor seiner Aufgabe in Regensburg war Keller unter anderem Professor und Studiendekan für Sportmanagement an der SRH Hochschule Heidelberg tätig.
Seit dem 1. April ist Keller der für den Sport verantwortliche Geschäftsführer des FC. (ksta)
Gibt es für Özcan Anfragen? Dortmund und Leipzig werden gehandelt.
Bisher verhält sich der Transfermarkt noch ruhig. Das kann sich aber sehr schnell ändern. Aber wenn einer dieser genannten Klubs kommen sollte, sind wir wirtschaftlich nicht in der Lage, mitzuhalten.
Salih Özcans Abschied würde enorm schmerzen.
Meine Grundhaltung dazu ist: Die Welt geht nie unter, sie dreht sich immer weiter. Der größte Fehler ist, zu glauben, man sei unersetzlich. Rein beruflich: Wenn einer, der hier am Tisch sitzt, jetzt umfällt und nicht mehr aufsteht, dann ist das schlimm. Aber die Aufgaben übernähmen dann andere. Dann macht eben ein anderer den Geschäftsführer Sport, es hat ja auch vor mir schon genug gegeben. Das übertrage ich auch auf die Spieler: Klar, will ich gute Spieler behalten. Aber wenn ich durch das reine Halten das Gesamtgefüge in Schieflage bringe, müssen wir anders entscheiden und andere Spieler entwickeln. Das ist jetzt gar nicht auf Salih bezogen, ich meine das ganz grundsätzlich.
Die Aufgabe beim FC ist eine extreme Herausforderung. Können Sie sich vorstellen, dass die Arbeit in diesem Verein Sie zu einem anderen Menschen machen wird?
Nein, denn ich definiere mich nicht über meine Tätigkeit. Ich muss nicht Fußball machen – ich muss auch nicht übertrieben viel Geld verdienen. Ich brauche keine Öffentlichkeit, ich brauche auch keine Interviews. Das heißt nicht, dass mir das alles keinen Spaß macht. Aber ich brauche es nicht.
Haben Sie die Monate zwischen ihren Jobs in Regensburg und Köln benötigt, um Energie zu tanken für die Herausforderung Köln?
Mit Jahn Regensburg habe ich mich mit Haut und Haaren verbunden gefühlt. Da haben so viele Erlebnisse, Emotionen und Erinnerungen drangehangen, da konnte ich nicht glaubwürdig sagen, dass ich eine Woche später mit voller Identifikation für einen anderen Klub arbeiten kann. Und in meiner Tätigkeit ist Identifikation brutal wichtig. Ich brauchte die Pause, um mich zu lösen. Klar werde ich Jahn Regensburg weiter im Herzen tragen. Aber im Kopf habe ich nur noch den 1. FC Köln. Das hätte im vergangenen November so noch nicht funktioniert.
Was bedeutet es für Sie, beim 1. FC Köln nun Teil einer doch erheblich größeren Struktur zu sein, nachdem Sie in Regensburg überwiegend allein entscheiden konnten?
Ich wusste, dass es hier anders ist, auch viel größer. Wir treffen hier gemeinsam Entscheidungen. Wir tauschen Meinungen aus und stellen die Entscheidungen so auf eine breitere Basis. Das ist positiv, ich kann aber auch sagen, dass mir bisher noch keiner reingeredet hat. Vielleicht liegt es daran, dass ich ganz gut erklären kann, was ich tue (lacht).
Haben Sie die Gremienstruktur beim 1. FC Köln schon verstanden?
Jaja (lacht). Die ist vielfältig, aber ich wollte ja zu einem Mitglieder-geführten Klub. Wobei das der falsche Ausdruck ist. Der FC ist ein Klub, der die Vereinsdemokratie, die wichtiger Teil unserer Fußballkultur ist, nicht mit Füßen tritt.
Wie weit sind Sie mit Steffen Baumgarts Vertragsverlängerung?
Im Namen aller FC-Verantwortlichen habe ich ihm klar gesagt, dass wir seinen Vertrag gerne verlängern wollen und das aus meiner eigenen Perspektive untermauert. In den letzten sechs Wochen habe ich sehr vieles gesehen, dass ich gut finde. Wie das Trainerteam unter seiner Leitung mit der Mannschaft arbeitet, ist die Basis. Er hat auch klar gesagt, dass er bleiben will. Wir sind so auseinandergegangen, dass wir jetzt die Formalien klären.