Nizza – Gegen zwei Uhr am Freitagmorgen war der FC-Tross per Charterflug aus Nizza zurückgekehrt, gut sechs Stunden später traf Steffen Baumgart wieder am Geißbockheim ein, doch die Eindrücke aus Frankreich verfolgten den Trainer noch immer. „Ich konnte es noch nicht verarbeiten. Wir wollten Fußballfeste erleben, aber das war etwas völlig anderes als ein Fußballfest“, sagte der 50-Jährige am Tag nach dem 1:1 des 1. FC Köln bei OGC Nizza, das überschattet war von Ausschreitungen im Stadion.
„Was ich erlebt habe, war nackte Gewalt“
Was im Stade Allianz Riviera geschah, war mehr als pubertäres Gehampel, mehr als die üblichen Posen junger Männer, die im Fußballkontext die Grenzen des Erlaubten erkunden. „Was ich erlebt habe, war nackte Gewalt. Da ging es nur darum, Leuten zu schaden. Das war beängstigend“, sagte Baumgart, der wegen seiner Sperre aus dem Spiel gegen Fehérvár das Geschehen aus einer Loge auf der Westtribüne verfolgte und damit aus unmittelbarer Nähe. Er habe noch versucht, auf die Gewalttäter einzuwirken. „Da war aber nichts möglich. Die Jungs haben durch mich durchgeguckt“, sagte der Coach, dessen Frau und Tochter in dem Bereich des Stadions saßen, durch den die Hooligans stürmten und in den die Polizei später Tränengaskanister feuerte.
Er halte sich „nicht für den ängstlichsten Menschen“, beschrieb Baumgart, „aber das wird mich eine Weile begleiten. Ich bin Anfang der Neunziger genau wegen solcher Dinge aus der Bereitschaftspolizei ausgeschieden. Für mich ist es nicht einfach, damit umzugehen.“
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Ein zentraler Teil der Aufarbeitung wird sein, die Ursachen zu erforschen. Am Ende wird es abseits der Scham über die Beteiligung Kölner Extremisten auch um die Frage gehen, wie welcher Verein bestraft wird. Baumgart warf dem OGC Nizza unzureichenden Sicherheitsdienst vor. „Ich frage mich, wie so eine Situation entstehen kann, warum die Sektoren nicht getrennt waren. Wir als Verein und auch die Uefa haben Nizza ganz klar gesagt, dass die Maßnahmen nicht ausreichen. Es ging ja schon vor dem Stadion los. Ich glaube, dass man es hätte verhindern können“, sagte Baumgart.
1. FC Köln: Christian Keller mit Ansage an die Szene
Der Abend zuvor hatte im Zeichen der Fassungslosigkeit gestanden. Auch ohne Kenntnis aller Details äußerte sich Christian Keller noch in der Nacht eindeutig. „Wir werden jeden aussortieren, den wir identifizieren können, unabhängig von der Schuldfrage. Die werden hier nichts mehr machen“, sagte der Geschäftsführer. Für ihn spiele es zunächst keine Rolle, welche Seite die Gewalt in den Tag getragen habe. „Am Schluss waren alle dabei, unabhängig von der Frage, wer angefangen oder weitergemacht hat“, erklärte Keller und nahm damit die Berichte auf, nach denen kriminelle Anhänger des OGC Nizza bereits außerhalb des Stadions Jagd auf Kölner Fans gemacht hatten, die mit der Straßenbahn an der Arena angekommen waren.
Am Freitagabend veröffentlichte die Uefa eine Liste der Verstöße, wegen derer Ermittlungen aufgenommen werden. So werden sowohl Kölnern als auch Fans des OGC Nizza das Werfen von Gegenständen sowie das Zünden von Feuerwerkskörpern vorgeworfen; außerdem die Beteiligung beider Fangruppen an Ausschreitungen. Seitens des OGC kommen weitere Vorwürfe hinzu: Mangelnde Personenkontrollen etwa sowie fehlende Sektorentrennung. Beiden Klubs drohen zunächst Geldstrafen, den Kölnern zudem das Verbot, Kartenkontingente an Auswärtsfahrer zu geben.
Eine Sperre für Auswärtsfans bei den verbleibenden Gruppenspielen in Belgrad und beim 1. FC Slovácko bedeutete für die reisefreudigen Kölner zwar ein Drama, wäre aber aus Sicht des finanziell klammen Vereins weniger hart als ein Zuschauerausschluss in Müngersdorf. Schon nach den Krawallen rund um den Gruppen-Auftakt vor fünf Jahren beim FC Arsenal in London war der 1. FC Köln zu einer Strafe verurteilt worden, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt worden war und mittlerweile abgelaufen ist. Das bestätigte die Uefa dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Angesprochen auf seine Vergangenheit in der Bundesliga äußerte Nizzas Coach Lucien Favre (64), dass ihn die Vorfälle überrascht hatten. „Absolut nein, niemals“ antwortete der Schweizer auf die Frage eines französischen Reporters, ob ihm derartige Vorfälle in der Bundesliga begegnet seien.
Werner Wolf verurteilt die „abscheulichen Geschehnisse“
Spät am Dienstag meldete sich auch FC-Präsident Werner Wolf zu Wort, der am Mittag noch an der Fontaine du Soleil in Nizzas Zentrum die Nähe der Fans gesucht und Vertreter der aktiven Fanszene begrüßt hatte. Vizepräsident Carsten Wettich war beim Zug in Richtung Stadion kilometerweit an der Spitze mitgegangen, doch das Präsidium musste später einsehen, dass Dialog und Präsenz den kriminellen Teil der Szene nicht von seinem Tun abhalten. „Wir verurteilen die abscheulichen Geschehnisse, die sich im Vorfeld des Spiels in Nizza auf beiden Seiten ereignet haben, auf das Schärfste. Wir werden alle unsere Kraft in die Aufklärung dieser Vorfälle setzen und dabei mit aller Konsequenz gegen die Gewalttäter vorgehen“, wurde Wolf zitiert.
Rekers klare Worte
Auch die Kölner Oberbürgermeisterin meldete sich am Freitag zu Wort. „Tausende von FC-Fans haben keine Mühen gescheut, auch in Südfrankreich ihre Mannschaft zu unterstützen. Die Bilder von der Fanparade quer durch Nizza waren beeindruckend. Leider prägen den gestrigen Tag nun aber die abscheulichen Szenen, die sich im Stadion abgespielt haben – ausgelöst nur von einigen wenigen“, bedauert Henriette Reker. Und: „Wer sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt oder erfreut, ist kein FC-Fan, sondern schadet dem Verein. Ich hoffe, dass es der Polizei gelingen wird, alle Gewalttäter zu identifizieren, damit sie zur Rechenschaft gezogen werden können“, sagte Reker weiter.