Köln – Der gefeierte Mann trug Schiebermütze, gestikulierte wild, gab lautstark Anweisungen und tigerte auch noch in den letzten Spielminuten durch seine Coaching-Zone und darüber hinaus. Zu diesem Zeitpunkt wurde Steffen Baumgart, der neue Cheftrainer des 1. FC Köln, bereits mit Sprechchören gefeiert; an Spieltag eins der neuen Bundesliga-Saison. Die leidgeprüften Kölner Anhänger waren begeistert vom forschen, offensiven Auftritt und den Toren des FC, der Hertha BSC am Sonntag verdient mit 3:1 bezwang.
Und einige rieben sich verwundert die Augen: War das wirklich ihr FC, der in den vergangenen Jahren oft so passiv und mutlos agierte hatte? Ja, er war es. Und dabei baute Baumgart überwiegend auf die Spieler der Vorjahre. Doch er hat den FC mit seiner Spielweise und Art geweckt. Die Emotionen sind zurück.
„Ich bin ja nicht taub"
Obwohl nur 16500 Zuschauer im Rhein-Energie-Stadion waren, sorgten die Fans für eine sagenhafte Kulisse. Die Baumgart-Sprechchöre waren nicht zu überhören, auch nicht für den Gefeierten. „Ich bin ja nicht taub“, entgegnete Baumgart am Tag nach dem Spiel. Überbewerten will er die Rufe nicht. „Weitermachen. Also nicht weiter rufen, sondern weiter arbeiten. Die Rufe waren vielleicht ein bisschen früh, aber grundsätzlich ist das ja nichts Negatives. Ich hänge es aber jetzt nicht allzu hoch.“
Der Saisonauftakt ist dem FC also gelungen. Erstmals seit fünf Jahren starteten die Kölner mit einem Sieg, beim Abstiegskandidaten der letzten beiden Spielzeiten keimen Hoffnungen auf einen guten Saisonstart und eine sorgenfreiere Saison. Zwar muss der FC am kommenden Sonntag (17.30 Uhr) beim FC Bayern antreten, doch danach warten mit dem Heimspiel gegen Aufsteiger Bochum und der Auswärtspartie in Freiburg Gegner, gegen die sich die Kölner erneut etwas ausrechnen.
In München nicht chancenlos
Baumgart sieht allerdings keinen Anlass, vor der vermeintlich nicht zu lösenden Aufgabe in München die Weiße Fahne zu hissen. „Warum sollten wir dort weniger Druck haben? Der nächste Gegner heißt Bayern, und wir wollen da drei Punkte holen“, sagte der Trainer. Dass die Aufgabe schwierig werde, verstehe sich von selbst. „Aber es sollte schon sein, dass man da mit dem Gedanken hinfährt, etwas zu holen.“ Er habe Kommentare gelesen, in denen von der Chancenlosigkeit der Kölner die Rede war. „Das sehe ich ein bisschen anders. Ich glaube, dass wir auch dort ein gutes Spiel machen und eine weitere Entwicklung in der Leistung sehen können. Wenn dann noch ein gutes Ergebnis dabei herauskommt, freut uns das umso mehr. Aber den Druck sehe ich genauso wie gegen jeden anderen Gegner.“
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Baumgart steht für klaren, mutigen Offensivfußball und ist von seiner Spielidee überzeugt. Mit hohem Pressing sollen frühe Ballgewinne provoziert und dann schnell und direkt in Richtung gegnerisches Tor gespielt werden. So zu sehen bei allen drei Kölner Treffern. Aber die Spielweise birgt auch Risiken, denn im Rücken der hoch anlaufenden Spieler entsteht Platz für den Gegner. Es besteht die Gefahr, leicht ausgespielt zu werden. Umso mehr, wenn nicht alle Spieler permanent mitmachen. „Ich bin überzeugt, dass es funktioniert“, konterte Baumgart. Seine Spielidee werde er ohnehin nicht nach nur einem gewonnenen oder verlorenem Spiel „in die Tonne kloppen. Am Ende geht es darum, dass wir Tore erzielen wollen. Ein 3:3 oder 4:4 macht allen mehr Spaß als ein 0:0. Trotzdem möchte ich in der Defensive auch gerne zu Null spielen. Und da sahen wir in der einen oder anderen Standard-Situation nicht so gut aus. Aber die Idee, die bleibt.“ Die sei aber kein „Baumgart-Fußball“, vielmehr hoffe er, dass einst von „Köln-Fußball“ die Rede sein werde.
Ljubicic „ärgert" Boateng
Im ersten Spiel gingen auch seine personelle Umstellungen auf. Kapitän Jonas Hector verteidigte hinten links, dafür konnte Benno Schmitz wieder rechts in der Viererabwehrkette agieren. Ellyes Skhiri, der Mann mit der großen Lunge, kehrte in die Startelf zurück und war im defensiven Mittelfeld der Stabilisator. Und auch die überraschende Hereinnahme von Zugang Dejan Ljubicic auf der Achter-Position zahlte sich aus.
Der Österreicher war von seiner Nominierung selbst überrascht. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich spielen würde“, sagte Ljubicic am Montag. Erst am Spieltag habe er von seinem Einsatz erfahren. „Ich habe mich sehr über mein Debüt und den Sieg gefreut. Ich glaube, ich habe die Aufgabe ganz gut gemeistert. Ich musste Kevin-Prince Boateng ärgern. Und das habe ich die meiste Zeit geschafft“, sagte Ljubicic, der die Kreise des Hertha-Rückkehrers eingrenzte. Besonders angetan zeigte sich der 23-Jährige von der Atmosphäre. „Die Stimmung war unglaublich. Ich dachte, es wären 50 000 im Stadion.“
In München werden die Kölner nicht auf eine derart lautstarke Unterstützung zählen können. Dennoch gab sich auch Ljubicic zuversichtlich: „Wir werden in München kämpfen, ackern – und vielleicht gelingt uns ja eine Überraschung.“ Sollte Steffen Baumgart auch diese Aussage lesen, er dürfte sie mit Wohlwollen aufnehmen.