Peter Neururer war Trainer beim 1. FC Köln und beim VfL Bochum. Im großen Interview spricht der 68-Jährige über das Duell seiner Ex-Klubs am Samstag (18.30 Uhr) in Bochum, die Situation beider Vereine, über seine Verbindung zum FC, Steffen Baumgart und was er über Thomas Tuchel denkt.
Trainer-Legende Peter Neururer„Ich war einer der größten Fans des 1. FC Köln“
Herr Neururer,…
Peter Neururer: Ja, ich weiß schon, warum Sie anrufen…
Aber sie wissen ja noch nicht…
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Doch, doch, ist weiß schon, was Sie fragen wollen. Aber bevor wir zum Spiel meiner Ex-Klubs kommen: Kennen Sie eigentlich bei mir die Geschichte hinter der Geschichte: Dass ich früher mal einer der größten Fans des 1. FC Köln war…?
Nur in Ansätzen. Erzählen Sie doch mal, bitte…
Ich kenne fast keinen, der ein größerer Fan des 1. FC Köln war als ich. Seitdem sechsten oder siebten Lebensjahr. Dabei ordnet mich jeder als Schalker oder Bochumer ein. Aber als ich als kleiner Junge damals den FC in seinen weißen, schicken Trikots und dann Spieler wie Hans Schäfer, Kalli Thielen, Leo Wilden, Bulle Weber oder den ganz jungen Wolfgang Overath gesehen hatte, da war es um mich geschehen. Und dann kam der ganze Mythos um Klubchef Franz Kremer dazu! Ich komme aus Marl, da waren eigentlich alle Schalker. Aber mein Bruder Günter, ein Kumpel und ich, wir haben dem FC die Daumen gedrückt. Und uns so manches anhören muss. War uns aber egal. Ich habe dann zehn Jahre in Köln zum Studium der Sportwissenschaft gelebt. Mit Christoph Daum spielte ich zusammen in der Studentenmannschaft. Das waren super Zeiten an der Spoho und im Kwartier Latäng. Abends habe ich in Gilbert's Pinte an der Zülpicher gekellnert. Auch, um mir Tickets für Müngersdorf und Auswärtsfahrten mit dem FC leisten zu können. Ich weiß noch genau, wie ich es damals mit meinem Studienkumpel Peter Stützer (der später Leiter der Sportredaktion des Kölner Stadt-Anzeiger wurde, d. Red.) geschafft hatte, beim alles entscheidenden Spiel um die Meisterschaft 1978 in Hamburg gegen Pauli quasi neben der Kölner Bank zu sitzen und das Double zu feiern. Ich war auch mit dem FC auf Europapokal-Reisen. Das sind Ereignisse, die vergisst du nie.
Der FC-Fan wurde 1996 dann tatsächlich Cheftrainer der FC-Profis. Wie war das für Sie?
Da hatte sich natürlich ein großer Traum erfüllt. Aber mit dem Fansein war es damit vorbei. Das geht ja auch nicht, du musst als Bundesliga-Trainer eine gewisse Autorität haben und kannst nicht wie ein Fan reagieren. Ansonsten verlierst du deine Glaubwürdigkeit.
Am Samstag sind Sie als Fan beider Vereine dann im Stadion?
Nein, nein, das würde ich nicht aushalten. Im Stadion würde ich von allen Seiten permanent angesprochen. Ich kenne ja auch in Bochum weiterhin so viele Leute. VfL-Kapitän Anthony Losilla war noch mein Spieler zu meiner letzten Bochumer Trainerzeit. Ich habe praktisch noch zum ganzen Stab, vielen Verantwortlichen und Mitarbeiter des VfL Kontakt. Ich schaue das Spiel lieber mit meiner Frau Antje zu Hause vor dem Fernseher, die hält mir dann auch die Hand. Ein Stadionbesuch würde mir das Herz zerreißen.
Wie sehen Sie die Ausgangslage in diesem Keller-Duell, wer hat mehr Druck?
Für mich haben die Bochumer zwei Vorteile: Sie sind mit der Situation im Keller vertraut, sie kennen den Abstiegskampf. Seit dem Wiederaufstieg 2021 geht es einzig darum. Dazu kommt dann die Atmosphäre im Ruhrstadion. Die Fans werden den VfL nach vorne peitschen, die Stimmung wird die Mannschaft tragen – auch wenn die mitgereisten Fans aus Köln natürlich dagegenhalten werden. Für den FC ist der Druck groß. Jeder erwartet vom FC, dass er nach den Enttäuschungen zuletzt zumindest in Bochum gewinnt. Aber das ist alles andere als einfach. Die Kölner sind nach zwei erfolgreichen Jahren plötzlich mit der Situation konfrontiert, dass es ebenfalls nur gegen den Abstieg geht. Echter Überlebenskampf. Steffen Baumgart wird da schon die richtigen Worte finden, aber die Spieler müssen sie auch verinnerlichen.
Überrascht Sie der letzte Tabellenplatz des FC?
Der FC hat im Vergleich von vor anderthalb Jahren mit Jonas Hector, Ellyes Skhiri, Anthony Modeste und Salih Özcan gleich vier Leistungsträger verloren und sie nicht adäquat ersetzen können. Natürlich ist die Mannschaft qualitativ schlechter geworden. Die Kölner Spielweise hat sich aber nicht verändert. Sie schlagen immer noch die meisten Flanken in der Liga, diese sind aber unpräziser und vor allem finden sie keine Abnehmer mehr. Und dann kommen bei ausbleibenden Erfolgserlebnissen auch die Versagensängste dazu. Der 1. FC Köln ist ein großer Traditionsklub, das alleine sorgt schon für Druck. Was die Emotionen angeht, spielt der FC in einer Liga wie Bayern oder von mir aus auch wie der Verein aus Lüdenscheid Nord (Borussia Dortmund, d. Red.).
Muss Steffen Baumgart etwas verändern?
Ich kenne Steffen aus einigen Gesprächen. Ich schätze ihn und seine Arbeit sehr. Er ist ein Mann mit Erfahrung, der weiß, was er tut. Ich kann es nur allgemein aus Trainer-Sicht sagen: Wenn irgendwann etwas nicht mehr läuft, nicht mehr laufen will, dann muss man irgendetwas innerhalb der Mannschaft und vielleicht auch an der Spielidee verändern. Aber ich habe da beim FC nur die Außensicht, Steffen kann das besser einschätzen als ich. Und ich bin sicher, dass er auch die richtigen Schlüsse ziehen wird. Man sieht ja, dass er die Spieler erreicht, dass zwischen Trainerteam und Mannschaft eine Symbiose besteht. Und eigentlich hat die Mannschaft auch mehr Potenzial als Platz 18. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell sich Dinge im Fußball verändern können. Wir hatten 2003/2004 in Bochum mit einem Mini-Etat die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte gespielt. Wir hatten in der nächsten Saison dann Festtage im Europapokal. Doch in der Liga stürzten wir ab. Dabei hatte ich meiner Meinung nach einer meiner Arbeitsweise rein gar nichts verändert, wir hatten richtig hart gearbeitet. Und stiegen am Ende doch ab.
Sie waren seinerzeit das Gesicht des VfL Bochum, Steffen Baumgart ist das des 1. FC Köln.
Und das ist auch ein Problem meiner Meinung nach. Denn für was steht der jetzige FC? Wer ist das Gesicht des FC? Das ist Steffen Baumgart. Und kein Spieler und kein Verantwortlicher.
Baumgart sagt selbst, dass es rund um den Klub noch ruhig zugehe. Das kennen auch Sie anders, oder?
Ja, es ist verdammt ruhig am Geißbockheim. Das war früher sicher anders. Aber man darf sich als Verein auch nicht nur auf die Fähigkeiten des Trainers verlassen nach dem Motto: Der Steffen wird es schon richten. Steffen hat mit dem FC in den vergangenen beiden Spielzeiten sehr viel erreicht. Wenn man dann Leistungsträger nicht adäquat ersetzt oder ersetzen kann, dann muss man trotzdem zu dem Trainer halten. Ich mag das Wort nicht gerne: Aber welches Spielermaterial hat er denn zur Verfügung? Steffens Arbeit jetzt in einer Art blinden Aktionismus infrage zu stellen, das wäre für mich ein absolutes No-Go. Wie ich es schon sagte: Steffen muss selbst überlegen, ob er etwas verändern muss. Der FC hat im Gegensatz zu uns damals aber noch einen Vorteil: Er steckt bereits jetzt mit dem Rücken zur Wand und ist Letzter, wir sind damals mehr oder weniger in diese Situation hereingerutscht. Der FC kann sich zudem ganz auf die Bundesliga konzentrieren und hat noch Zeit, Korrekturen vorzunehmen.
Was erwarten Sie für ein Spiel?
Der FC wird seiner Spielweise sicherlich treu bleiben, früh pressen, viel laufen. Wenn die Bochumer früh und vorne attackiert werden, könnten da Räume für sie entstehen, die sie mit Pässen in die Tiefe ausnutzen könnten. Ich erwarte bei dieser Konstellation und in diesem Hexenkessel kein Spiel, das Unentschieden ausgeht, aber ein enges. Beide Mannschaften werden genügend Chancen zulassen. Dann kommt es auf die Durchschlagskraft und die Psyche an. Da sehe ich einen größeren Druck beim FC.
Herr Neururer, Sie sind jetzt 68 Jahre alt. Ihr letzter Trainerjob liegt schon länger zurück. Haben Sie noch Ambitionen im Profifußball?
Auf jeden Fall. Einen Job als Sportdirektor oder als Berater kann ich mir auf jeden Fall vorstellen. Als Cheftrainer sehe ich mich nicht mehr. Ich arbeite seit sechs Jahren für die VDV als Trainer der vertragslosen Fußballer, das ist ein Job, der mir sehr viel Freude bereitet.
Vor nicht allzu langer Zeit sagten Sie, dass Sie – wenn überhaupt – nur noch mal bei Schalke oder dem FC das Traineramt übernehmen würden.
Das stimmt – aber nur in einer absoluten Notlage der Klubs. Ich möchte mich eigentlich nicht mehr mit gewissen Sachen rumschlagen und selbst vor den Sportchefs rechtfertigen müssen. Aber ich hätte große Lust, selbst als Sportchef den Trainern den Rückhalt zu geben, den sie für eine erfolgreiche Arbeit benötigen.
Zu einem Running-Gag hat sich entwickelt, dass sobald ein Trainer-Stuhl in der Liga frei wird, sie auf irgendwelchen Memes in den sozialen Netzwerken zu sehen sind, auf denen Sie mit Ihrem Porsche Panamera vor der Klub-Geschäftsstelle vorfahren. Und eine gewisse „Petra Neururer“ solle doch die deutsche Frauen-Nationalmannschaft übernehmen.
Ja, ich registriere alles, da sind Lachnummern, aber die tun ja keinem weh. Manchmal frage ich mich: Warum gibt es solche Dinge nicht auch bei anderen Trainern? Aber ich stehe darüber. Bei mir kommen auch heute immer noch Anfragen von Klubs ein, vor kurzem gab es Interesse aus Moskau. Ich habe das abgelehnt. Und exotische Sachen mache ich sowieso nicht mehr.
Seit Jahren sind als Experte für den Sender Sport1 tätig. Wie empfindet der Trainer und TV-Experte Peter Neururer den Umgang von Bayern-Trainer Thomas Tuchel zuletzt mit Lothar Matthäus und Dietmar Hamann?
Der war unanständig. Am Anfang fand ich es noch überragend, wie Thomas gekontert hat, dass sich auch Lothar und Diddi nicht weiterentwickelt hätten. Da habe ich gelacht. Doch dabei hätte er es belassen sollen, müssen. Lothar und Diddi haben als Experten das Recht und es ist auch ihre Aufgabe, gewisse Dinge zu hinterfragen, zu analysieren und auch zu kritisieren. Und das haben sie auf eine vernünftige Art und Weise getan. Mir geht es weniger um die großen Verdienste von Lothar um den deutschen Fußball, sondern einfach um Anstand. Und den hat Thomas Tuchel vermissen lassen. Sich nicht nur einmal, sondern mehrfach in dieser despektierlichen Art zu verhalten und zu äußern, das war eine Frechheit.