Donaueschingen – Am Sonntag ging es Steffen Baumgart dann doch ein wenig zu weit mit dem Mut und dem Selbstvertrauen seiner Leute. Salih Özcan hatte sich knapp 30 Meter vor dem Tor des FC Schaffhausen den Ball zum Freistoß hingelegt und wirkte ziemlich entschlossen. „Du willst den aber jetzt nicht draufschießen, oder?“, rief der Kölner Trainer von der Seitenlinie. Özcan stutzte, blickte in Richtung seines Trainers. Dann überließ er den Ball einem Kollegen – für eine Flanke.
Es war eine nicht ganz unproblematische Situation, Fußballprofis fühlen sich schnell in der Ehre verletzt, wenn man ihnen zu sehr reinredet. Doch nach dem Schlusspfiff sah man Trainer und Spieler auf dem Rasen lachen, Özcan klatschte in die Hände und hielt sich den Bauch, offenbar waren keine schlechten Gefühle geblieben. Er habe ja auch gar nicht wirklich eingegriffen, beteuerte Baumgart später, es sei nur so: „Die Jungs haben viel Fantasie, die mir allerdings noch fehlt. Mir müssen die erstmal beweisen, dass sie an solche Freistöße randürfen.“
Lob von Özcan für Baumgart
Aus Özcans Sicht war die Situation ein Beleg für das gute Verhältnis zwischen Trainer und Spielern. Ja, Baumgart habe das mit dem Freistoß schon richtig interpretiert, „ich wollte da schon was draus machen“, sagte er tags darauf. So groß sei die Torentfernung ja auch wieder nicht gewesen, und schießen kann er ja. Aber das sei schon in Ordnung, sagt Özcan. „Die Mischung passt, das zeichnet den Trainer aus: Das Klare, Geradlinige. Aber auch das Lockere, wenn es möglich ist. Er weiß allerdings auch, mit wem er das machen kann. Mit mir auf jeden Fall.“
Steffen Baumgart hat bei Salih Özcan einen guten Stand, was verständlich ist. Schließlich ist der Trainer der Grund, weshalb Salih Özcan, geboren vor 23 Jahren in Köln und beim FC, seit er neun Jahre alt ist, auch in der neuen Saison noch im FC-Trikot auflaufen wird. Der Vertrag des Mittelfeldspielers wäre in diesem Sommer ausgelaufen, Özcans Berater sondierte schon den Markt, allerdings wollte man die U21-EM abwarten. Keine schlechte Idee: Özcan holte mit der DFB-Auswahl unter Stefan Kuntz den Titel, war Leistungsträger. Als ablösefreier Europameister wäre er leicht zu platzieren gewesen. Doch daraus wurde dann doch nichts, es war knapp.
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Im Kopf war Özcan längst weg aus Köln, doch der neue FC-Trainer wollte mit dem 23-Jährigen planen. Zwar hatte man Baumgart signalisiert, er möge Özcan erst nach dem Ende der U-21-EM anrufen, doch der Coach wollte nicht warten – und meldete sich am Tag des Halbfinals der deutschen Elf gegen die Niederlande. „Wir haben darüber geredet, dass er mich haben möchte. Er hat mir seine Vorstellung vom Fußball erklärt und dass er findet, dass ich da sehr gut reinpasse. Das Gespräch hat mir das Gefühl gegeben, dass ich bleiben muss“, sagt Özcan. Der Anruf am Spieltag habe ihn nicht gestört, „ich bin da klar, mir macht das nichts aus“, sagt Özcan. Und es ging dann ja tatsächlich gut. Man verabredete sich für später, doch Özcan war begeistert vom Interesse seines Heimatvereins, der ihn plötzlich umwarb wie einen Neuzugang – und nicht wie einen, der ohnehin schon da war.
Baumgart erwartet Mut von seinen Spielern
Bereits vor der vergangenen Saison hatte Özcan große Ziele mit dem FC. Als Leihspieler hatte er 28 Spiele für Holstein Kiel in der Zweiten Liga absolviert und dabei fünf Tore erzielt. Horst Heldt und Markus Gisdol planten mit dem Ehrenfelder, doch das Vertrauen in Özcan erwies sich als nicht allzu belastbar. Beim 0:5 in Freiburg verlor er vor dem 0:2 den Ball, als er eine Situation in der eigenen Hälfte spielerisch lösen wollte. Eine Aktion, wie sie ständig vorkommt im Fußball, Steffen Baumgart fordert seine Spieler sogar immer wieder dazu auf, den Mut zu entwickeln, derartige Risiken einzugehen. Ein Ballverlust sei grundsätzlich kein Fehler, sondern Teil des Spiels. Vielmehr seien die Aussichten auf eigene Offensiverfolge größer als die Gefahr, Gegentore zu kassieren, weil eine Befreiung schiefgeht.
Doch Markus Gisdol nahm Özcan nach der Pleite in Freiburg für vier Spiele aus der Startformation. Özcan glaubt, dass eine solche Situation heute ganz andere Folgen hätte. „Steffen Baumgart ist kein Typ, der Spieler bestraft. Er gibt jedem eine Chance. Umgekehrt muss ich dem Trainer aber auch zeigen, dass er auf mich setzen kann. Darum bin ich nicht zu den Olympischen Spielen gefahren, obwohl Steffen Baumgart mir keine Steine in den Weg gelegt hätte. Aber ich wollte mich präsentieren, obwohl ich gern mit der Mannschaft nach der EM noch bei den Spielen dabei gewesen wäre. Es war keine einfache Entscheidung.“
Özcan mag die Verantwortung
Olympia wäre ein schöner Abschluss der Zeit als U-21-Nationalspieler gewesen, zumal auch Salih Özcan die Magie des Trainers Kuntz erlebt hat, der nun mit einem Rumpfkader nach Japan reisen musste. „Er hat eine super Bindung zu den Spielern, und zwar zu allen, nicht nur zu einzelnen. Er vermittelt dieses Gefühl von Familie, dass jeder für jeden da ist. Das war bei der U-21-EM der Schlüssel zu unserem Erfolg. Das spüre ich jetzt auch hier beim FC.“
Zuletzt spielten die Kölner mit nur einem defensiven Mittelfeldspieler vor der Viererkette, Özcan mag die Verantwortung dieser Position, obgleich ihn der Trainer auch auf den Halbpositionen einsetzt. Allerdings hat er ohnehin bereits die Erfahrung gemacht, dass im Kölner Anlauffußball, der auf Ballgewinne in absoluter Nähe des gegnerischen Tores ausgelegt ist, jeder in der Verantwortung steht. „Wenn in unserem System einer eine Pause macht, wird es definitiv ungemütlich“, sagt er.
Dann findet der Trainer deutliche Worte. Laut sei er, aber nie unter der Gürtellinie, beschreibt Baumgart sich selbst. Seine mitunter heftigen Ansagen während der Spiele und Trainingseinheiten wolle er nicht überinterpretiert sehen. Nichts davon sei persönlich gemeint, und eines sei klar, sagt er mit einem Lächeln: „Richtig grimmig haben Sie mich hier noch gar nicht gesehen.“