Nach Gewalt in NizzaFC-Fanszene ist unübersichtlich aber nicht durchweg gewalttätig
Köln – Nach den Ausschreitungen im „Allianz Riviera“-Stadion von Nizza stellt sich eine Frage ganz massiv: Wer genau schreitet dort eigentlich zur Gewalttat und geht mit Fäusten, Stangen, oder Messern aufeinander los? Wild entschlossen, anderen Menschen ernsthaften Schaden zuzufügen. Die Geschichte der Kölner Fanszene ist allerdings eine lange und eine kaum zu überschauende.
Die Gefühlslage der großen Mehrheit der Fans des 1. FC Köln im „Allianz Riviera“-Stadion reichte angesichts der Ausschreitungen von Entsetzen bis Frustration. Einige wenige aus Köln Angereiste nutzten einmal mehr die internationale Bühne, um sich zu prügeln. Offenbar unterstützt durch Anhänger von Paris Saint-Germain, Borussia Dortmund und möglicherweise Rot-Weiss Essen lieferten sich die Kölner eine üble Gewaltorgie mit augenscheinlich Gleichgesinnten aus Nizza.
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Als sich die Schläger in ihre Stadionbereiche zurückgezogen hatten, erlebte vor allem die Kölner Seite eine unerwartete Reaktion. Von den übrigen durch das Erlebte aufgebrachten FC-Fans wurden die Gewalttäter beschimpft und zum Verlassen des Stadions aufgefordert. Viele skandierten: „Wir sind Kölner und ihr nicht.“ Sie wollten nicht mit den Krawallen in Verbindung gebracht werden. Bei derlei Vorkommnissen werden die FC-Fans allzu oft in Sippenhaft genommen, obwohl sich der Großteil friedlich verhält.
In den sozialen Medien waren bei den Reaktionen vor allem zwei Lager auszumachen. Während die einen ihre Abscheu und Frustration über den Gewaltausbruch zum Ausdruck brachten und den 1. FC Köln zu Konsequenzen für die Schläger aufforderten, verteidigten andere das Geschehen. Es wurde verharmlost und relativiert. Besonders gerne wird dabei die angebliche Unkenntnis anderer hervorgehoben und diskreditiert.
Nur wenige Fanclubs in den 1980er Jahren
Tatsächlich ist die Gemengelage innerhalb der Kölner Fanszene mit den Jahren unübersichtlich geworden. Bis in die frühen 1980er Jahre waren Fußball-Fans weitestgehend unorganisiert. Es gab nur eine handvoll Fanclubs wie die „Rangers 82“. Zu dieser Zeit entstand die Hooligan-Gruppierung „Red Army Cologne“, die lange Jahre eine führende Rolle in Köln innehatte. Anfang der 1990er kamen immer mehr Fanclubs hinzu. Dazu wurde 1991 das Fan-Projekt 1. FC Köln gegründet – inzwischen in „Fans 1991“ umbenannt –, deren Mitglieder sich bis heute für die Interessen aller FC-Fans auch gegenüber dem Verein einsetzen.
Ab Mitte der 1990er Jahre gab es in Köln die ersten Ultra-Gruppierungen, deren Szene im neuen Jahrtausend immer kleinteiliger wurde. Die größte Kölner Gruppe ist die 1996 gegründete „Wilde Horde“. Ultras schreiben sich die größtmögliche Unterstützung für ihren Verein auf die Fahne. Grenzüberschreitungen werden dabei allzu oft billigend in Kauf genommen. Mit Hilfe von Vorsängern, den sogenannten „Capos“, versuchen sie die akustische Unterstützung der Fankurve zu orchestrieren. Ein beliebtes Stilmittel ist der verbotene Einsatz von Pyrotechnik.
Gewalt verlagerte sich weg aus den Stadien
Die Gewalt war bereits in den 1990er Jahren fast vollständig aus den Stadien verschwunden. Hooligan-Gruppierungen wie die „Cologne Streetfighters“ waren dazu übergegangen, sich mit Gleichgesinnten anderer Vereine außerhalb der Stadien und losgelöst von Spieltagen zu treffen. Deren Akteure sind überwiegend durchtrainierte Kampfsportler.
Zwischen Ultras und Hooligans gibt es zwar eine gewisse Schnittmenge, aber nicht alle Ultras goutieren Gewalt. Eine klare Abgrenzung wiederum findet nicht statt. Eine Gemeinsamkeit ist, dass die Gruppierungen sich mit Anhängern anderer Vereine zusammenschließen. So gibt es Bündnisse mit Gruppen unter anderem aus Paris, Dortmund und Essen.
Ultras sind einer Minderheit
Bei aller Bestürzung über die Ereignisse sollte man bedenken, dass die Ultras zwar akustisch und optisch sehr präsent sind, doch stellen sie nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz aller FC-Fans dar.
Darüber hinaus gibt es mehrere hundert Fanclubs des 1. FC Köln, deren Mitglieder hauptsächlich friedliche Fußball-Fans sind. Dazu eine nicht zu beziffernde Anzahl unorganisierter Fans. Sie alle sollten sich überlegen, ob sie künftigen Aufrufen zum einheitlichen Erscheinungsbild bei den Spielen des FC folgen möchten. Denn erneut nutzten die Gewalttäter die Deckung in einer farblich einheitlichen Menge, um dort nach ihrem Exzess unterzutauchen.
Zudem macht sich jeder Fan dadurch zur Zielscheibe für daraus resultierende Reaktionen von Polizei und rivalisierenden Fangruppen.