Das Beste aus 202375 Jahre FC: Wie der 1. FC Köln immer wieder im Chaos versank
Am 12. Mai 2018 stieg der Hamburger SV, der oft zitierte Bundesliga-Dino, erstmals aus dem Fußball-Oberhaus ab. Es war der Tiefpunkt einer Entwicklung, die seit Jahren anhielt. Doch wer dachte, der Traditionsklub würde diesen vermeintlichen Unfall sofort reparieren können, der sah sich gewaltig getäuscht. Denn im Februar 2023 steckt der HSV immer noch in der 2. Bundesliga fest. Er hat als Tabellenzweiter zwar gute Aufstiegschancen, doch geschafft ist die Rückkehr noch längst nicht, die ein einziger Kraftakt ist. Natürlich auch für Vereine wie den 1.FC Köln, dem nach seinen insgesamt sechs Bundesliga-Abstiegen immerhin dreimal die direkte Rückkehr ins Oberhaus gelungen war.
Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 8. Februar veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.
Wer jemals die These vertreten hat, der Abstieg könne einem Verein guttun; wer auch nur ansatzweise glaubt, in einem Gang in die Zweitklassigkeit könne grundsätzlich etwas anderes zu finden sein als das reine Desaster – der hat weder die erste Zweitliga-Saison des 1. FC Köln erlebt noch ein Empfinden dafür, was den Kölnern im folgenden Jahrzehnt widerfuhr. Denn was den 1. FC Köln der Gegenwart davon trennt, eine Spitzenmannschaft zu sein, sind die Jahre zwischen 1998 und 2008.
Nach dem Drama des Abstiegs im Frühsommer 1998 hatte die Stadt eine interessante Reaktion gezeigt. Man schien auf einen Neubeginn zu hoffen. Es kamen viele Spieler aus unterklassigen Ligen zum FC. Die Zeit der vermeintlichen Superstars schien überstanden, mit den Transfers schienen die Verantwortlichen den Kader stärken zu wollen und nicht ihr Ego. Einzig auf der Trainerposition bewies man den gewohnten Willen zu maximaler Größe: Bernd Schuster hatte sich bei Fortuna Köln bewährt, jetzt sollte er den FC zurück in die Bundesliga führen. 38 Jahre alt war das ehemalige Mittelfeldgenie damals, und von seinen Stationen in Barcelona und Madrid hatte er ein ordentliches Selbstbewusstsein mitgebracht. „Die Truppe steigt auf“, sagte er zu Saisonbeginn, „die Liga ist schwach“.
Dramatisch verlorene Derbys
Der 1. FC Köln hatte sich nach dem Abstieg für ein paar Wochen das Büßergewand übergezogen. Doch am Ende einer Sommerpause voller Testspielsiege waren Verein und Fans wieder bester Dinge und bereit, die Zweite Liga im Sturm zu erobern und anschließend nach dem Vorbild des 1. FC Kaiserslautern am besten gleich die Meisterschaft zu feiern. Doch alles kam anders. Im ersten Zweitligaspiel der Klubgeschichte lieferten sich der 1. FC Köln und der FC Gütersloh ein Duell auf Augenhöhe, Karsten Hutwelker gelang in der 75. Minute vor 12 000 Zuschauern der Treffer zum 1:0-Sieg. Es folgte eine Serie schwacher Auftritte, und als der FC am sechsten Spieltag daheim nach 45 Minuten 1:4 gegen den FC St. Pauli zurücklag, ging Bernd Schuster nicht einmal mehr zur Pausenansprache in die Kabine.
Der FC war Vorletzter in der Zweiten Liga, und es blieb trist. Beide Derbys gegen die Fortuna gingen in Müngersdorf dramatisch verloren. Die Saison endete im Debakel – im Südstadion: Weil die Rolling Stones in Müngersdorf ihre Bühne aufbauen ließen und sich für den FC ohnehin kaum noch jemand interessierte, hatte die Stadt das Spiel verlegt. Der FC verlor 3:5 gegen Bielefeld. Schusters Abschied war da längst besiegelt, am Ende wurde Köln Zehnter. Der Verein hatte sich nach dem Abstieg eingeredet, verstanden zu haben und den Entschluss gefasst, eine neue Ära zu begründen. Doch rasch hatte sich erwiesen, dass ein Abstieg allein gar nichts ändert.
Ewald Lienen übernahm, und der schwierige Trainer trat den Beweis dafür an, dass Akribie und Fleiß gut funktionierende Tugenden im Fußball sind – solange man es nicht übertreibt. Christian Timm, Pascal Ojigwe und Matthias Scherz erwiesen sich als Top-Zugänge, und vom zehnten Spieltag an blieben die Kölner bis zum Saison-Ende Tabellenführer. Der erste Aufstieg, besiegelt mit dem legendären 5:3 in Hannover, sollte das Ende der Krisenzeiten markieren. Die Euphorie war riesig. Doch was wie die Wende zum Guten aussah, war nur der Beginn der Kölner Fahrstuhljahre. Dem Aufstieg 2000 folgte der Abstieg 2002, dem Aufstieg 2003 der Abstieg 2004 – als Tabellen-Letzter mit sagenhaften 23 Punkten.
Lukas Podolski taucht auf
Immerhin war ein Spieler aufgetaucht, der eine Ära prägen sollte und eine ganze Generation heutiger FC-Fans davon abhielt, anderen Vereinen das Herz zu schenken: Lukas Podolski, in Polen geboren und in Bergheim aufgewachsen, wurde der größte Kölner Spieler seit den 1990er-Weltmeistern. Nach zehn Treffern in 19 Partien der Abstiegssaison gelangen Podolski im Aufstiegsjahr 2005 satte 24 Zweitligatore.
Wolfgang Overath hatte nach vielen Jahren als oberster Kritiker des Vereins endlich Verantwortung übernommen. Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Juni 2004 verkündete er unter dem Jubel der Mitglieder erst die Entlassung von Trainer Marcel Koller und im gleichen Atemzug die Verpflichtung des Niederländers Huub Stevens, der die Kölner nach vollendetem Aufstieg jedoch gleich wieder verließ.
In der Saison 2005/2006 versank der FC wieder im Chaos. Uwe Rapolder war ein folgenschwerer Fehlgriff auf der Trainerbank, Geschäftsführer Andreas Rettig erklärte nach dem letzten Hinrundenspiel und dem Absturz auf Rang 16 noch auf der Tribüne der Bielefelder Alm seinen Rücktritt. Rapolder musste kurz darauf gehen. Michael Meier als Manager und Hanspeter Latour als Trainer übernahmen die sportlichen Geschicke. Der FC war bestens aufgestellt für Jahre des Wahnsinns.
Das Stadion war mittlerweile von der weitläufigen Betonschüssel in einen Fußballtempel umgebaut worden. Der Zuschauerzuspruch war enorm, und spätestens seit der Weltmeisterschaft 2006 hatte der Fußball einen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Die Liga boomte, das Geld floss in immer größeren Strömen. Und der FC stürzte wieder einmal in die Zweitklassigkeit.
Lukas Podolski hatte den FC nach der WM in Richtung München verlassen. Overath und Meier irrlichterten, Hanspeter Latour, ein fantastischer Charakter, durfte einkaufen – und war vollends überfordert mit dem Job in der Bundesliga. Nach dem Abschied des Schweizers begannen die wohl interessantesten Zeiten der Vereinsgeschichte: Christoph Daum, der schon seit seiner Entlassung im WM-Sommer 1990 als Messias galt, der mit seiner Rückkehr eines Tages das Ende der Welt und die Erlösung von allem Übel einleiten würde, gab im Foyer des St.-Elisabeth-Krankenhauses in Hohenlind eine legendäre Pressekonferenz, auf der er nach einer Mandel-Operation zwar noch Schwierigkeiten beim Sprechen hatte, jedoch in klaren Worten mitteilte, dem FC nicht zur Verfügung zu stehen.
Am selben Nachmittag, es war der Elfte im Elften, besuchten Meier und Overath Daum in seinem Haus im Hahnwald, um den Trainer doch noch zu überreden. Und siehe da: Daum übernahm. Hielt sein erstes Training vor mehr als 10 000 Zuschauern im Stadion ab, schrieb Autogramme, während seine Spieler im Kreis joggten und ließ sich Kinder reichen, deren Eltern auf den Segen des Meisters hofften. Im Winter setzte sich das Kommen und Gehen fort. Daum verpflichtete Brasilianer, von denen er noch nie gehört hatte, dazu alte Kameraden aus gemeinsamen Erfolgsjahren in der Türkei, die zu nichts mehr in der Lage waren. Köln wurde mit unglaublichem finanziellen Aufwand und auf größtmöglicher Bühne Neunter der Zweiten Liga.
Nichts blieb von Dauer
Am Ende der Saison 2006/07 hatte der Verein seinen Schuldenstand in schwindelerregende Höhen getrieben. Mehr als 40.000 Zuschauer strömten durchschnittlich ins Stadion, die Atmosphäre war fantastisch. Das Sagen am Geißbockheim hatten Weltmeister Wolfgang Overath, Champions-League-Sieger Michael Meier und Meistertrainer Christoph Daum. Was für eine Show. Die zweite Daum-Ära wurde insgesamt nicht gerade zum Triumphzug. Nach mitunter schaurigen fußballerischen Leistungen schaffte die Mannschaft am vorletzten Spieltag mit einem Heimsieg über Mainz den Wiederaufstieg. Doch nichts blieb von Dauer. Zum Ende des sechsten Jahrzehnts seines Bestehens spielte der 1. FC Köln zwar wieder in der Ersten Liga. Doch hatte der Verein seit dem ersten Abstieg derart viel Substanz verloren, dass es nie zum endgültigen Abschied aus der Zweiten Liga kommen konnte – bis in die Gegenwart.