Salih Öczan spricht im Interview über das BVB-Titeldrama und den 1. FC Köln.
Ex-Kölner im InterviewSalih Özcan: „Der Titel mit dem BVB bleibt das Ziel und ist möglich“
Mittelfeldspieler Salih Özcan wechselte im vergangenen Sommer nach 16 Jahren beim 1. FC Köln zu Borussia Dortmund. Wir trafen den Ehrenfelder im Köln zum Interview. Der 25-Jährige spricht über das BVB-Meisterdrama und seine Folgen, einen neuen Angriff auf den Titel, sein Verhältnis zu seinem Ex-Klub FC und Steffen Baumgart, die türkische Nationalmannschaft sowie über seine Hochzeitspläne.
Herr Özcan, mit etwas Abstand: Wie lange haben Sie gebraucht, um die am letzten Spieltag verpasste Meisterschaft mit Dortmund zu verarbeiten?
Salih Özcan: Das hat mehrere Tage gedauert. Ich war sauer. Sauer auf uns selbst, brutal enttäuscht und irgendwie leer. Man hat dieses Ende erst nicht so richtig wahrhaben wollen. Die Saison war ja gut, wir waren so nah am Ziel dran, es lag ja nur noch an uns. Ich glaube, dass gefühlt fast ganz Deutschland wollte, dass wir die Schale holen. Doch wenn du das entscheidende Spiel im eigenen Stadion nicht gewinnst, dann hast du es auch nicht verdient. Wir hatten zuvor die Heimspiele dominant gewonnen – und ausgerechnet im alles entscheidenden Spiel klappt so gut wie nichts. Warum das so war, kann ich auch mit Abstand nicht sagen. Mittlerweile habe ich das verarbeitet. Man muss es auch irgendwie abhaken – weil es ja weitergehen muss und man neue Ziele hat.
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Es sind einige Tränen geflossen, auch bei Ihrem Trainer Edin Terzic. Wie emotional sind Sie da?
Ich bin generell nicht so der Typ, der im Sport Tränen vergießt. Ich versuche eher zu verstehen, warum alles so gekommen ist. Bei unserem Trainer weiß sicher ganz Fußball-Deutschland, dass er als früherer Fan des BVB eine ganz besondere, emotionale Beziehung zum Verein hat. Er stand ja einst selbst auf der Süd.
Hat der BVB da eine historische Chance verpasst?
Auf jeden Fall.
Eine Chance, die sich nicht mehr so schnell bieten wird? Die Bayern wurden ja zum elften Mal in Folge Meister. Und dies trotz einer nicht wirklich überzeugenden Saison.
Die Bayern werden wohl ihre Lehren aus der Saison ziehen, aber wir wissen auch, welche große Qualität auch wir haben. Deshalb bleibt die Meisterschaft weiterhin das Ziel, wir wollen endlich den Titel holen. Und das ist möglich.
Mit Jude Bellingham hat der BVB aber einen Superstar verloren, die Bayern wiederum wollen personell aufrüsten und hoffen auf die Zusage von Harry Kane. Droht der Liga nicht vielmehr erneut die Langweile?
Das glaube ich nicht. Natürlich haben wir mit Jude und Raphaël Guerreiro zwei exzellente Spieler verloren, doch ich vertraue bei der Kaderplanung absolut unseren Verantwortlichen. Die Liga ist in der Spitze allgemein enger zusammengerückt. Und auch die Bayern müssen sich erst mal wieder finden. Klar, viele werden jetzt sagen, dass die Bayern ohnehin erneut Meister werden. Doch das muss eher zusätzlicher Ansporn für uns sein.
Der BVB startet in die neue Saison gegen Ihren langjährigen Klub 1. FC Köln.
Schöner hätte es doch gar nicht kommen können! Ich freue mich riesig auf den Auftakt gegen den FC und auf meine früheren Kollegen. Ich habe zu vielen beim FC weiter einen guten Draht. Warum auch nicht, bei meinem Wechsel gab es ja kein böses Blut.
Sie haben in Ihrer Debüt-Saison für Dortmund 36 Pflichtspiele absolviert, davon 27 in der Startelf. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Insgesamt bin ich zufrieden. Am Anfang war ich noch verletzt, das war sicher nicht optimal. Aber dann habe ich mich schnell zurechtgefunden und meine Chance genutzt. Gegen Saisonende habe ich nicht mehr ganz so oft gespielt. Ich war zwischenzeitlich auch krank, zudem hat es Emre (Can, d. Red.) auf meiner Position gut gemacht. Am Ende ging es auch nicht um Einzelschicksale, sondern nur um die Mannschaft, um den Titel. Ich fühle mich in Dortmund pudelwohl. Ich weiß selbst, dass ich noch torgefährlicher werden muss. Aber daran arbeite ich.
Jüngst tauchten Gerüchte auf, dass Ihr früherer Trainer Ole Werner Sie angeblich zu Werder Bremen holen wollte. Was war an diesen Gerüchten dran?
Ich hatte keinen Kontakt zu Werder oder Ole Werner. Ich habe beim BVB einen Vertrag bis 2026. Ich bleibe definitiv in Dortmund und will mit dem BVB wieder angreifen.
War die Umstellung vom FC auf den BVB größer als gedacht?
Ich sehe es eher als Vorteil an, dass ich vorher jahrelang beim FC war. Denn auch in Köln gibt es Druck und hohe Erwartungen. In Dortmund ist alles noch einmal eine Stufe höher, aber ich bin generell eine Person, die so etwas ganz gut ausschalten kann.
Tony Modeste ist ebenfalls in der vergangenen Saison von Köln nach Dortmund gewechselt. Warum wurde er nicht glücklich?
Tony hatte mit einigen Verletzungen zu kämpfen. Der Spielstil des BVB hat sicherlich nicht so gut zu ihm gepasst wie der beim FC. In Köln hatten wir Tony immer wieder gesucht und sehr viele Flanken geschlagen, beim BVB ist das weniger der Fall, wir kommen mehr über Kombinationen oder Eins-gegen-Eins-Aktionen. Und als dann Sébastien Haller nach seiner schweren Erkrankung so toll zurückgekommen ist, war es dann noch schwerer für Tony – auch vom Kopf her.
Hatte Modeste am Ende keine Motivation mehr?
Für einen Spieler ist es allgemein nicht einfach, wenn er nur einen Einjahresvertrag hat. Und dann war Tony in der Situation, wenig zu spielen und nicht zu treffen. Ich glaube nicht, dass Tony nicht mehr motiviert war, aber er hatte sich seine Zeit in Dortmund sicherlich anders vorgestellt.
Sie hatten nach dem Titel-Trauma aber privaten Grund zur Freude. Sie haben sich mit Ihrer Freundin Eda verlobt. Wann läuten die Hochzeitsglocken?
Wir hatten ein wunderschönes, großes Verlobungs-Fest in Köln. Da dachten einige Medien schon, ich hätte geheiratet. Aber das ist nicht schlimm (lacht). Wir wollen im Dezember in Istanbul heiraten – aber dann eher im kleinen Kreis.
Wie beurteilen Sie die Saison Ihres Ex-Klubs?
Es war eine sehr ordentliche, stabile Saison des FC. Es gab nur wenige Phasen, die brenzlig waren. Natürlich war es nicht einfach, als Tony und ich weg waren und Mark Uth im Prinzip die ganze Saison verletzt ausfiel. Ich war glücklich darüber, dass der FC am Ende so souverän den Klassenerhalt geschafft hat und wünsche dem Verein nur das Allerbeste.
Jetzt haben mit Kapitän Jonas Hector und Ellyes Skhiri erneut absolute Leistungsträger und Führungsspieler Köln verlassen. Kann der FC das kompensieren?
Das wird sehr schwierig, Jonas zum Beispiel hat den Verein und die Mannschaft jahrelang geprägt. Aber ich traue Steffen Baumgart absolut zu, dass er das wieder schafft, guten Ersatz findet oder gute Lösungen präsentiert. Auch ohne Jonas und Ellyes hat der FC einen Kern von Spielern beisammen, die gut zusammen passen. Und die bisherigen Neuzugänge geben ja auch Anlass zur Hoffnung. Deshalb rechne ich nicht damit, dass der FC ernsthaft um den Klassenerhalt zittern muss. Der Trainer wird die Jungs wieder nach vorne peitschen.
Sie haben Baumgart auch einiges zu verdanken.
Absolut. Nach meiner Rückkehr aus Kiel hat er mir vertraut, mich gefordert und gefördert und auf mich gesetzt. Mein Draht zu ihm ist weiterhin super. Er ist als Mensch und Trainer super ehrlich und direkt, das gibt es im Fußball nicht so oft. Er verfolgt eine klare Linie, geht unbeirrt seinen Weg und ist impulsiv. Aber ich feiere ihn für seine Art.
16 Jahre waren Sie beim FC. Warum wurden Sie eigentlich nicht offiziell verabschiedet?
Das weiß ich auch nicht so richtig. Das hat mich schon etwas traurig gemacht. Ich hätte mich sehr gerne nach 16 Jahren im Verein von den Fans verabschiedet. Doch mir wurde vom FC mitgeteilt, dass das bei unserem Hinspiel in Köln und auch danach nicht möglich war. Aber ich bin kein nachtragender Mensch.
Vielleicht kehren Sie ja irgendwann auch noch mal zum FC zurück…
Das ist in der Zukunft sicher nicht ausgeschlossen und ein Gedanke, mit dem ich mich anfreunden kann. Allerdings ist das kein Thema für die Gegenwart und kommende Zeit.
Mittlerweile haben Sie elf Länderspiele für die Türkei bestritten. Von der U15 bis zur U21 spielten Sie für den DFB und führten die U21 2021 zum EM-Titel. War es für Sie so wenig reizvoll, weiter für Deutschland zu spielen?
Das war keine Entscheidung gegen Deutschland und den DFB, sondern eine für die Türkei. Es war aber eine klare Entscheidung und eine, die ich genau überdacht und für die ich mir Zeit genommen hatte. Es ging da aber nicht um irgendeine sportliche Perspektive, sondern es war eine Herzensentscheidung. Und die habe ich null bereut. Derzeit läuft es ganz gut für uns, wir sind Tabellenführer, unser klares Ziel ist die Qualifikation für die EM in Deutschland. Und dann hätten wir sicherlich bei jedem Spiel eine Heimspiel-Atmosphäre.
Und was ist mit dem deutschen Fußball los?
Von der individuellen Klasse her ist die A-Mannschaft eigentlich deutlich besser als sie es gezeigt hat. Es ist ein Phänomen. Die Stimmung rund um eine Mannschaft macht mit den Spielern natürlich auch was, irgendwie fehlt da ein positiver Impuls. Viele andere Nationen haben zudem aufgeholt, die Zeiten haben sich geändert. Aber ich würde eine deutsche Mannschaft nie abschreiben.