Im Interview spricht der Ex-Unioner Torsten Mattuschka über das Endspiel um den Klassenerhalt zwischen dem 1. FC Köln und den „Eisernen“ und über die Situation beider Vereine.
Ex-Unioner vor Endspiel beim FCMattuschka: „Man kann nicht Wasser predigen und Wein saufen “
Vor allem seine Freistoßkünste wurden geliebt oder gefürchtet – je nach Sichtweise. Torsten Mattuschka absolvierte 281 Pflichtspiele für den 1. FC Union Berlin, in denen dem Mittelfeldspieler immerhin 61 Tore und 65 Torvorlagen gelangen. Der Ex-Kapitän der „Eisernen“ erarbeitete sich in dieser Zeit einen gewissen Kultstatus in Köpenick, auch deshalb ist der 43-Jährige heute immer noch als Klub-Botschafter für die Ostberliner tätig. Doch nicht nur bei Union ist Mattuschka allgegenwärtig, auch der Zweitliga-Zuschauer kommt kaum an ihm vorbei, schließlich ist seit einigen Jahren als TV-Experte für Sky im Einsatz, der kein Blatt vor den Mund nimmt.
Am Samstag (15.30 Uhr, Sky) trifft sein Ex-Klub Union nun beim 1. FC Köln an. Es ist das ultimative Endspiel um den Klassenerhalt. Noch mehr für die Kölner, die unbedingt gewinnen müssen, aber auch für Union, das nicht verlieren darf. In dem Fall könnten die Ostberliner, die nach einer sagenhaften Saison 2022/23 noch erstmals in die Champions League eingezogen waren, am 34. Spieltag (gegen Freiburg) sogar noch direkt absteigen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ sprach mit Mattuschka vor dem Keller-Duell über Unions Absturz und den kurzfristigen Trainerwechsel, die schwierige Situation beim FC, seinen langjährigen Freund Steffen Baumgart und die 2. Bundesliga.
Herr Mattuschka, der 1. FC Köln muss am Samstag gewinnen, Ihr Ex-Klub Union Berlin darf nicht verlieren. Was erwarten Sie für ein Spiel? Und können Sie einen Favoriten ausmachen?
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Torsten Mattuschka: Ich erwarte von den beiden offensivschwächsten Mannschaften der Liga schon mal gar keinen fußballerischen Leckerbissen (lacht). Einen wirklichen Favoriten sehe ich nicht. Klar, der FC hat einen noch größeren Druck, die Kölner müssen gewinnen und aufgrund des schlechteren Torverhältnisses fast schon mit mindestens zwei Toren Unterschied. Ich denke, Union wird etwas verhaltener beginnen. Auch wenn es abgedroschen klingt: Die Nerven und die Tagesform werden entscheiden. Denn auch für Union wäre eine Niederlage der Worst Case. Die Mainzer machen von den Teams ganz unten noch den stabilsten Eindruck. Ich traue ihnen am Samstag auch gegen die Champions-League-Könige von Borussia Dortmund einiges zu. Alle wollen auch die Relegation vermeiden. Denn die wird gegen Fortuna Düsseldorf, die einen Lauf haben und mit denen ich dort rechne, beileibe kein Selbstgänger.
Beim FC haben viele überhaupt nicht mehr damit gerechnet, dass der die Mannschaft jetzt noch ein weiteres Endspiel erhält. Bei Union sah es dagegen vor einigen Wochen so aus, als ob die Mannschaft bereits aus dem Gröbsten heraus ist. Spielt das eine Rolle?
Union hatte vor sechs Spieltagen nach dem Heimsieg gegen Bremen noch neun Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz. Da hat man sich zu früh in Sicherheit gewähnt, doch mit einem derartigen Negativlauf mit nur noch zwei Punkten aus sechs Partien hätte ich nun auch nicht gerechnet. Fußballerisch hat für mich Union etwas mehr Qualität als der FC. Doch jetzt kommt natürlich die Rübe dazu. Und die Kölner Fans werden ihre Mannschaft nach vorne peitschen. Ich hoffe und wünsche mir, dass bei Union der Trainerwechsel etwas bewirkt hat und auch Leichtigkeit und Freude zurückkommen – die waren zuletzt abhandengekommen. Diesen Wunsch werden Sie mir als Ex-Spieler und Botschafter des Klubs sicherlich nachsehen (lacht). Ich denke auch, dass es bei Union ein paar Veränderungen in der Startelf geben wird. Die Erfahrung und Klasse von Robin Knoche und von Kapitän Christopher Trimmel täte aus meiner Sicht der Mannschaft in der Defensive gut. Wie natürlich am Ende auch ein von mir aus dreckiger 1:0-Sieg in Köln.
Union hat sich nach dem 3:4-Tiefschlag gegen Bochum von Trainer Nenad Bjelica getrennt, U19-Coach Marco Grote hat zusammen mit Sebastian Bönig und Marie-Louise Eta übernommen. War das alternativlos?
Klare Antwort: ja. Ich denke, ich habe gute Kontakte in den Verein rein und zu vielen Fans, die auch meine Fußballkneipe in Köpenick besuchen. Das Gefühl war: Es hat einfach nicht mehr mit diesem Trainer gepasst. Vielleicht hat es sogar von Anfang an schon nicht gepasst – auch wenn Nenad Bjelica die Mannschaft zwischenzeitlich mal stabilisiert hatte. Schon sein Start mit dem Ausraster gegen Bayerns Leroy Sané war daneben. Man kann sich nicht selbst als Disziplinfanatiker bezeichnen, Wasser predigen und dann Wein saufen und sich so benehmen. Da war schon einiges an Kredit verspielt, zumal der Trainer danach auch wenig ehrliche Einsicht gezeigt hatte. Ich weiß, wir sprechen über das harte Profigeschäft: Dennoch sind auch die Profis Menschen – und als solche wollen sie auch behandelt werden. Bjelica hatte die Kabine nicht nur verloren, sondern wahrscheinlich nie für sich gewonnen gehabt. Es kam zudem auch zu wenig Input von ihm, die Einheiten waren einseitig, es wurde kaum Videoanalyse gemacht. Die Trennung war unter dem Strich alternativlos. Wahrscheinlich hätte sie schon etwas früher und zum Beispiel vor dem Bochum-Spiel erfolgen sollen.
Hört sich nach einem klassischen Trainer-Fehlgriff an…?
Ja, nach vielen Top-Entscheidungen des Klubs in den vergangenen Jahren war es ein Fehlgriff. Zugutehalten muss man Bjelica, dass natürlich auch die Fallhöhe bei Union in dieser Saison extrem war. Er trat ein großes Erbe an: Denn für den Verein war es auch dank Trainer Urs Fischer fünf Jahre nur nach oben gegangen. Es war ja vollkommen irre, dass sich Union in der vergangenen Saison erstmals für die Champions League qualifiziert hatte.
Viele rieben sich im vergangenen Sommer fast die Augen: Union verpflichtete so bekannte Spieler wie Bonucci, Gosens, Volland oder Tousart. Was ist dann in der Saison passiert?
Nach solch einer grandiosen Saison bist du automatisch mit einer höheren Erwartungshaltung konfrontiert. In dem Ausmaß war das eine komplett neue Erfahrung für den Verein, Union war zuvor eher der Underdog, der den Klassenerhalt zum Ziel hatte. Die Verantwortlichen wollten dann unbedingt den nächsten Stepp in der Entwicklung machen und haben dabei vielleicht etwas den Kompass verloren. Und dann kam in der Saison eins zum anderen, es gibt da nicht den einzigen Grund für den Absturz. Leider sind einige Transfers nicht so aufgegangen sind, wie man sich das erhofft hatte. Es gab Verletzungen von wichtigen Spielern. Enge Spiele, die man vorher gewonnen hatte, gingen plötzlich verloren. Irgendwann waren Mannschaft und Urs Fischer in einem gewaltigen Abwärtsstrudel drin, aus dem man sich ohne Veränderungen nicht mehr hätte befreien können.
Union hat lange an Fischer festgehalten, nach 13 Niederlagen in 17 Spielen musste er schließlich gehen.
Aber überrascht Sie das, dass man lange an einem Trainer festhält, der beim Klub so viel Erfolg und perfekt zur Mannschaft und zum Verein gepasst hatte? Ich denke, in Köln war es in der Saison 2017/18 mit Peter Stöger doch ganz ähnlich. Man glaubt immer noch, dass man zusammen wieder die Kurve bekommt. Solch einen Trainer setzt man nicht so einfach vor die Tür. Doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, da geht es einfach nicht mehr. Und der war bei Union gekommen.
Der FC hat sich in dieser Saison auch von einem Trainer getrennt, der zwei Jahre großen Erfolg hatte. Sie kennen Steffen Baumgart lange und gut, haben früher selbst mit ihm zusammengespielt. War die Demission von Baumgart eine Niederlage für alle Beteiligten?
Das weiß ich nicht, aber die Trennung war ebenfalls unumgänglich. Steffen hat das sicherlich auch so gesehen. Er hatte vor der Saison mit Jonas Hector und Ellyes Skhiri seine besten Spieler verloren, im Jahr vorher waren es Tony Modeste und Salih Özcan. Ihm wurden auf dem Transfermarkt Versprechungen gemacht, die dann nicht eingehalten wurden. Spieler, die er wollte, kamen am Ende doch nicht. Der Kölner Kader ist deutlich schlechter geworden. Ich weiß, der Verein muss sich sanieren. Aber es wurde offenbar zu viel gespart, denn jeder Abstieg ist für einen Klub wie Köln deutlich teurer als das, was du auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit der Mannschaft zuvor eingespart hast. Ich wünsche diesem tollen Klub und „Schulle“ (Trainer Timo Schultz, d. Red.), den ich gut kenne und sehr schätze, nur das Beste. Sollte der FC absteigen, wird es aber alleine aufgrund der Transfersperre nicht leichter.
Sie gelten als Zweitliga-Experte. Was erwartet den FC oder Union, sollte einer oder sogar beide – dann in der Relegation – absteigen?
Eine geile Liga! Eine Liga voller Tradition, die richtig boomt. Im Schnitt kommen fast 30.000 Zuschauer zu den einzelnen Spielen. Das ist mit Abstand der Bestwert in Europas zweiten Ligen. Es gab Spieltage, da kamen mehr Fans in die Zweitliga- als in die Bundesliga-Stadien. Sportlich ist die Liga aber eine ziemliche Wundertüte. Man muss die Liga von Anfang annehmen, darf nicht mit ihr fremdeln. Sollte der FC absteigen, wäre er in so gut wie jedem Spiel der Favorit. Der große FC, den jeder unbedingt schlagen will. Das haben auch der HSV oder Schalke so leidvoll erfahren müssen. Ich glaube nicht, dass die Kölner direkt zu den Aufstiegsaspiranten zählen würden. Die Mannschaft dürfte sicherlich ein paar wichtige Spieler verlieren und kann keine neuen registrieren. Es kommen ein paar interessante Leihspieler wie Urbig, Lemperle oder Obuz zurück, denen man auch eine Chance geben muss. Die großen Favoriten wären für mich andere: Hertha BSC, wenn der Klub Top-Spieler wie Reese oder Tabakovic halten kann. Oder der HSV, der sicherlich keine Lust hat, dauerhaft jetzt auch der Zweitliga-Dino zu sein. Aber ich würde für den FC auch nicht schwarzsehen. Union hätte sicherlich bessere Voraussetzungen, aber ich rechne ja gar nicht mit dem Abstieg (lacht).
ZUR PERSON
Torsten Mattuschka, geboren am 4. Oktober 1980 in Cottbus, absolvierte von 2005 bis 2014 281 Pflichtspiele (61 Tore, 65 Torvorlagen) für den 1. FC Union Berlin und ist heute Klub-Botschafter der „Eisernen“. Der Mittelfeldspieler lief im Profi-Fußball zudem für Energie Cottbus auf. Seit 2018 ist er Co-Trainer des Regionalligisten VSG Altglienicke. Seit 2019 ist der Familienvater als TV-Experte und Co-Kommentator der 2. Bundesliga für Sky im Einsatz. In Berlin-Köpenick führt er die Fankneipe „Kick & Rush 17“.