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Kommentar

Kolumne zum 1. FC Köln
Mit Überschall zum Saisonziel

Ein Kommentar von
Lesezeit 6 Minuten
Steffen Baumgart reist nach den jüngsten Resultaten seiner Mannschaft entspannt zum Spiel nach Sinsheim.

Steffen Baumgart reist nach den jüngsten Resultaten seiner Mannschaft entspannt zum Spiel nach Sinsheim.

Die jüngste Bilanz des 1. FC Köln bei der TSG Hoffenheim ist ein Desaster. Dennoch gibt es in Sinsheim viel zu erleben.

Obwohl es landläufig starke Gegenmeinungen gibt, ist Sinsheim selbstverständlich eine Reise wert. Denn wenn man vom örtlichen S-Bahnhof zum Stadion geht, kommt man am Technik-Museum vorbei, auf dessen Dach eine Concorde und eine Tupolew Tu-144 geparkt stehen, die ich als Grundschüler selbstverständlich beide in meinem Lieblingsquartett hatte. Und so faszinierend ich die Concorde fand, was wohl auch am charmant-eleganten Namen lag, fand ich die Tupolew doch stets erheblich beeindruckender.

Als Kind der Achtziger war mein Bild der Sowjetunion geprägt durch James Bond, Rocky IV. und Rambo III., allerdings eben auch von der Tu-144, die mich die Sowjets absolut ernst nehmen ließ. Wer ein Passagierflugzeug konstruiert, das doppelte Schallgeschwindigkeit schafft und dabei noch dermaßen böse aussieht, muss noch zu ganz anderen Dingen in der Lage sein. Wobei die Tu-144 letztlich kein Erfolg war. Und Ivan Drago unterlag Rocky Balboa schließlich auch in der 15. Runde durch K.o., obwohl Drago erheblich böser aussah als der US-Boxer.

Ich glaube jedenfalls nicht, dass es einen weiteren Ort auf der Welt gibt, an dem eine Tu-144 neben einer Concorde steht. Darum kann es Sinsheim aus meiner Sicht mit vielen Städten dieser Welt aufnehmen. Wäre ich einer von 35.000 Sinsheimern und müsste es mit jemandem aus New York, Rio, Tokio oder Köln aufnehmen – ich würde sehr früh die Frage aufwerfen, ob es dort denn irgendwo eine Tu-144 und eine Concorde auf ein und demselben Häuserdach gebe.

Wenn wir zehntausend dahaben, freuen wir uns. Wir gehen davon aus, dass uns eine ganze Menge Fans begleiten werden
FC-Trainer Steffen Baumgart

Den örtlichen Fußballklub namens TSG Hoffenheim dagegen würde ich nicht erwähnen. Der trägt neben besagtem Museum seine Heimspiele aus und gilt praktisch jedem als Ärgernis, der nicht aus der unmittelbaren Umgebung stammt oder direkt oder indirekt etwas von dem Geld abbekommt, das Dietmar Hopp seit Jahrzehnten auf den Verein regnen lässt. Wobei zu sagen ist: Was Hopp in all den Jahren für sein Projekt „mein Dorfklub in der Bundesliga“ ausgegeben hat, wäre zwar an anderer Stelle wahrscheinlich nachhaltiger ausgegeben gewesen. Aber wenn man sich ansieht, was zuletzt bei Hertha BSC los war, wurde in Sinsheim ja beinahe mit Augenmaß gewirtschaftet.

Die Spieler des 1. FC Köln haben von allem, was Sinsheim ausmacht, selbstverständlich nichts: Weder bekommen sie etwas von Dietmar Hopps Millionen ab. Noch spazieren sie von der S-Bahn an der Flugzeugausstellung vorbei. Im Gegenteil reist der 1. FC Köln in der Regel nach Hoffenheim, um böse verprügelt zu werden. Ich will gar nicht daran denken, wie viele Kölner Gegentore ich bereits in Hoffenheim erlebt habe. Es gab zwar einmal dieses völlig verrückte 4:3 des FC in Hoffenheim, allerdings weiß ich, dass ich dieses Spiel selbstverständlich zu Hause im Wohnzimmer gesehen habe, während ich bei den Niederlagen zuverlässig im Stadion war. Damals stand es schon zur Halbzeit 3:3, nachdem der FC bereits 3:1 geführt hatte. Der unvergessene Pawel Olkowski traf in der 83. Minute zum Sieg.

Zwei lebendig gefangene Überschall-Passagierflugzeuge im Technik-Museum Sinsheim

Zwei lebendig gefangene Überschall-Passagierflugzeuge im Technik-Museum Sinsheim

Die jüngsten fünf Spiele bei der TSG jedenfalls liefen aus Kölner Sicht gewohnt ernüchternd: 0:5, 0:3, 1:3, 0:5, 0:4. Eine derartige Bilanz kann man wohl nur in einem Stadion haben, neben dem zwei Überschall-Passagierflugzeuge auf einem Hallendach an der A6 stehen. Grundsätzlich kommt es nicht weiter überraschend, dass der teure und herausragend besetzte Hoffenheimer Kader derartige Resultate produziert. Allerdings schafft es nur der 1. FC Köln derart nachhaltig, die TSG wie eine Weltklassemannschaft aussehen zu lassen. „Hoffenheim hat über Jahre eine enorme Qualität im Kader, hat es über Jahre aber nicht so abgerufen, wie sie es könnten. Leider kriegen sie es oft auf den Rasen, wenn wir kommen“, sagt Baumgart.

Das Sinsheimer Stadion ist zwar nicht besonders groß, obgleich es 85 Prozent der örtlichen Bevölkerung fasst, was andernorts eher weniger vorstellbar wäre. Dennoch gibt es stets ausreichend freie Plätze für Fans der Gastmannschaft. Steffen Baumgart hat neulich erlebt, wie es sich anfühlt, wenn mehr Auswärts- als Heimpublikum anwesend ist. Vor zwei Wochen beobachtete er den Gegner, „da waren die Schalker da“, berichtete Baumgart. Es hieß, 15.000 Gelsenkirchener seien im Stadion gewesen, allerdings konnten sich die Hoffenheimer anschließend ganz gut rausreden, schließlich tragen auch ihre Fans Blau und Weiß. Am Samstag wird das drastischer aussehen. „Wenn wir zehntausend dahaben, freuen wir uns. Wir gehen davon aus, dass uns eine ganze Menge Fans begleiten werden“, sagte Baumgart: „Wir wissen, dass wir uns auf unsere Fans verlassen können. Dann wollen wir gucken, dass wir nicht nur einen schönen Rahmen haben.“

Die Rettung vor Augen, mindestens

Der FC reist nach fünf Punkten aus den jüngsten drei Spielen in beinahe komfortabler Situation an. Die Rettung ist nah, womöglich ist sie faktisch sogar schon vollendet. Doch Steffen Baumgart hat nicht vor, diesen Umstand in seine Kabinenansprache einzubauen. Mit 35 Punkten wäre seine Mannschaft wohl durch, das sportliche Ziel für diese Saison erreicht. Doch die Bedeutung dieses Nachmittags über die Partie hinaus will der Trainer nicht betonen. „Es geht um dieses Spiel, um nichts anderes. Wenn ich darauf hingewiesen habe, was danach ist, hat das nie geklappt. Nicht nur in Köln nicht“, gestand Baumgart am Donnerstag.

Insgesamt sind Baumgart und der 1. FC Köln gut gefahren mit diesem Ansatz, das zeigt sich auch daran, dass die Kölner seit dem Tag, an dem die Strafe der Fifa wegen des Transfers des slowenischen Jugend-Nationalspielers Jaka Cuber Potocnik bekannt wurde, kein Spiel mehr verloren haben. Steffen Baumgart scheint eine Gabe zu haben, die Aufmerksamkeit seiner Leute auf den Fußball zu lenken, während es an anderen Stellen im Klub nicht ganz so gut läuft. Ich hatte schon zuvor aus diversen Ecken gehört, dass der „SPIEGEL“ an einer Geschichte zum Thema Potocnik recherchierte. Dass es der FC dann vergangene Woche als „Lachnummer“ auf die Titelseite schaffte, hat mich dann trotzdem ein wenig überrascht. Und bedeutete für den Verein einen gewissen Tiefpunkt, wenngleich ich persönlich die Geschichte anders überschrieben hätte. Denn zum Lachen ist ja wenig daran.

Es hieß anschließend zwar, in der „SPIEGEL“-Geschichte habe nicht mehr viel Neues gestanden, was ja stimmt. Doch darf man Reichweite und Wucht einer solchen Veröffentlichung nicht unterschätzen. Das hat dem Verein nicht gutgetan, und wie so oft gibt es auch für dieses Unglück viele Verantwortliche, die jedoch vorerst weiter Verstecken spielen. Man hat ja Steffen Baumgart und die Mannschaft, hinter der man weiterhin gut abtauchen kann.

Ellyes Skhiri wird am Samstag nach seiner Sperre in die Startelf zurückkehren, was eine gute Nachricht ist. Denn „Flaco“, wie Skhiri im Mannschaftskreis wegen seiner schmalen Gestalt genannt wird, mag zwar nicht unbedingt ein Fall für das Technikmuseum sein. Hat aber gewaltigen Anteil am Funktionieren seiner Mannschaft. Skhiri ist übrigens nicht der einzige schlanke Sportler, den man „Flaco“ ruft. Der berühmteste Spitznamensvetter ist César Luis Menotti, der Argentinien als Nationaltrainer zum WM-Sieg 1978 führte. Leider wird der 1. FC Köln nach dieser Saison wohl ohne Skhiri auskommen müssen, der sich einen Verein mit höheren Zielen sucht.

Vor einer Woche beim 1:1 daheim gegen Mainz überzeugten allerdings Eric Martel und Dejan Ljubicic vor der Abwehrkette. Beide zeigten sich zuletzt derart formstark, dass sie kaum aus der Mannschaft rotieren dürften. Ein Luxusproblem also für Steffen Baumgart. Da soll nochmal jemand behaupten, der Kölner Kader gebe nichts her.