Beim 1. FC Köln beginnt die Zeit der großen Abschiede, doch nach vier Jahren Erstklassigkeit steigt die Hoffnung auf die Zukunft.
Kolumne zum FC-HeimspielFreiburg als Beispiel und Mahnung für Köln
Diese Saison ist aus Sicht vieler FC-Fans schon länger gelaufen, aber das muss ja nicht schlecht sein. Zwar gebe ich zu, dass ich es für möglich gehalten hätte, dass Steffen Baumgart und seine Mannschaft noch einmal Platz sieben angreifen, vor allem nach dem herausragenden Jahresstart mit dem 7:1 gegen Werder Bremen und dem folgenden Remis beim FC Bayern. Doch die Delle in der Fastenzeit mit sechs Spielen ohne Sieg hat die Ambitionen gebremst.
Dass es nicht zu mehr gereicht hat, lag nicht an fehlender Einsatzbereitschaft der Mannschaft. Die Leistungen stimmten eigentlich immer, abgesehen vielleicht vom in jeder Hinsicht missglückten Auftritt beim 1:6 in Dortmund. Wie sich der FC aber zuletzt befreite und mit acht Punkten aus vier Spielen zurückschlug, war aller Ehren wert. Baumgart und seinen Leuten hat das Abenteuer Europa bei aller Plackerei gefallen, die Wochen im Ausnahmezustand haben die Mannschaft gefordert, aber auch wachsen lassen. Man hätte es wohl gern wieder versucht. Zumal die Einnahmen gute Beiträge zur Konsolidierung geleistet haben.
Europa in dieser Saison kein Ziel für den 1. FC Köln
Doch das Ziel Europa geriet außer Reichweite, bevor es jemand ernsthaft hatte ins Auge fassen können. Dennoch bleibt der FC ein Verein mit Ambitionen. Und sogar diese Saison könnte für Köln noch mit einem finalen Auftritt auf der ganz großen Bühne enden.
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Wer Spaß hat am großen Kino, kommt nicht umhin, sich für den letzten Spieltag ein gewaltiges Szenario auszumalen: Es ist durchaus möglich, dass der FC Bayern im Saisonfinale in Müngersdorf einen letzten Sieg braucht, um die Meisterschaft zu sichern. Für Steffen Baumgart wäre es die Gelegenheit, seinen ersten Sieg überhaupt als Trainer über die Bayern zu verzeichnen. Und für FC-Kapitän Jonas Hector hieße eine solche Konstellation, sein letztes Spiel als Fußballprofi nach seinen Wünschen zu begehen: Es würde um den Sport gehen, um die Integrität des Wettbewerbs und um die größte Herausforderung, die die Bundesliga zu bieten hat. Und eben nicht um Jonas Hector, den 43-maligen Nationalspieler, dessen Karriere mit diesem 34. Spieltag – an seinem 33. Geburtstag – ihr Ende finden wird.
Besser könnte es für Jonas Hector nicht kommen, der nie im Mittelpunkt stehen wollte. Ich war in Bordeaux dabei, als er im Elfmeterschießen Italien aus der Europameisterschaft beförderte und hinterher hoffnungslos überfordert wirkte mit seinem Ruhm. Es war sein erster Elfmeter auf diesem Niveau, meines Wissens ist nur einer hinzugekommen: Fünf Jahre nach der Nacht von Bordeaux hat er noch einmal einen Elfmeter geschossen, beim 6:0 im Pokal vor 300 Zuschauern in Müngersdorf gegen den Regionalligisten VSG Altglienicke. Ich gehöre also zu den ganz, ganz wenigen Menschen, die beide Elfmeter live gesehen haben, die Hector in seiner Profikarriere geschossen haben. Immerhin. Warum er es nur zweimal versucht hat, ist eines der großen Mysterien des Fußballspielers Jonas Hector.
Und ja, als Jonas Hector im Herbst 2017 im Emirates seine schwere Verletzung erlitt, war ich auch dabei. Und beim rätselhaften Nackenschlag in Bielefeld. Doch die großen Momente überwiegen in der Rückschau. Etwa sein Tor des Jahres in Wolfsburg, als er steil in den Strafraum geschickt wurde, den Ball mit einer Zidane-Pirouette mitnahm und per Lupfer versenkte. Es war ein 1:4 im letzten Saisonspiel, als der Abstieg längst feststand.
Doch bei aller Tragik dieser Saison war es ein Augenblick, in dem alle Schönheit des Fußballs zu erleben war, losgelöst von Tabellenständen und dem großen Geschäft. Dafür stand Jonas Hector, der stets ein Meister der kleinen Dinge war. Sein Repertoire auf dem Fußballplatz war umfassend, deswegen war es so besonders, seine Karriere zu verfolgen. Hector ist ein kluger, reflektierter Mensch, und es ist schade, dass er in den vergangenen Jahren nicht mehr in der Lage war, seine Sicht auf den Sport zu erklären. Vielen großen Spielern fehlen abseits des Platzes die Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Hector könnte es, doch er will nicht. Vielleicht gibt es eines Tages eine Biografie des Nationalspielers Jonas Hector, der im Alter von 33 Jahren in der Form seines Lebens mit dem Fußball aufhörte. Ich würde sie lesen.
Noch ist es allerdings ein paar Wochen zu früh für den letzten Blick zurück, denn der 1. FC Köln hat noch Ziele. Der FC möchte nicht nur den Bayern ein würdiger Gegner sein und der Liga einen Meister präsentieren, der sich den Titel bis ins letzte Spiel verdient hat. Sondern möglicherweise selbst noch die Möglichkeit nutzen, in der Tabelle einen Platz gutzumachen, der im Rennen um die Medienerlöse viel Geld bedeuten könnte. Denn auch diese Saison könnte Köln vor Borussia Mönchengladbach beenden. Diese Gelegenheit wird die Mannschaft wahrnehmen wollen.
Kein Abschiedsspiel, wenn es für die Bayern um die Meisterschaft geht
Der 34. Spieltag wird bei aller Dramatik ein Tag des Abschieds sein. Neben Kapitän Jonas Hector geht auch dessen Vize Timo Horn, der nach 21 Jahren im Verein eine neue Herausforderung sucht und hoffentlich finden wird. Sollte es allerdings tatsächlich sportlich noch um etwas gehen, wird Horn nicht im Tor stehen. „Das ist nicht geplant, da bin ich relativ deutlich“, sagte Steffen Baumgart am Donnerstag und erklärte, warum: „Wir sind nicht in der Situation, sportlich einfach etwas verändern zu können. Es geht für uns noch um viele Punkte und darum, in der Tabelle weiter zu klettern. Das muss das Ziel sein.“
Am Samstag schaut der SC Freiburg in Müngersdorf vorbei, der Verein ist wirtschaftlich, organisatorisch und sportlich an einem Punkt, von dem der 1. FC Köln ebenfalls träumt. Beziehungsweise: nur träumen kann. Es wäre zu einfach, sich die Breisgauer als Vorbild zu erklären. Eher sollte Freiburg eine Mahnung sein für die Kölner, die sich fragen müssen, warum sie so weit entfernt sind vom aktuellen Tabellen-Vierten.
Allerdings gibt eine Geschichte wie die der Freiburger auch Hoffnung. Denn die Bundesliga bietet die Möglichkeit für große Aufstiegsgeschichten. Der FC wird nun erstmals seit 25 Jahren eine fünfte Saison nacheinander in der Bundesliga verbringen. Das wird dem Verein zu weiterer Substanz verhelfen, und wer weiß: Womöglich ist die Ära des Fahrstuhlfahrens ja tatsächlich vorüber.
Christian Löer (47) ist Leiter der Sportredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und berichtet seit der Saison 1999/2000 über den 1. FC Köln.