Kopfverletzungen im FußballKölner Mediziner warnt im Fall Hector vor Leichtfertigkeit
Köln – Die Bilder vom Samstag waren dramatisch. Jonas Hector, Kapitän des 1. FC Köln, blieb nach einem Kopf-Zusammenprall mit dem Bielefelder Alessandro Schöpf blutend am Boden liegen. Nach mehreren Checks in der Kabine, die der Fußball-Profi laut Aussage von Team-Manager Thomas Kessler „bestanden“ hatte, ließ man Hector mit einem Turban weiterspielen. Der Versuch wurde abgebrochen, nachdem Hector über Schwindelgefühle und Orientierungsprobleme klagte.
Am Sonntagabend gab der Klub vorsichtig Entwarnung. Kessler äußerte die vage Hoffnung, dass der Unverzichtbare möglicherweise am kommenden Samstag in Augsburg wieder spielen können werde. Es handele sich offenbar um keine Gehirnerschütterung, man werde aber weitere Untersuchungen veranlassen und beim Thema Kopfverletzungen kein Risiko eingehen.
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Dazu rät ausdrücklich Professor Roland Goldbrunner, einer der führenden Neurochirurgen Deutschlands, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und Direktor der Klinik für Allgemeine Neurochirurgie am Universitätsklinikum Köln widersprach allerdings ersten Einschätzungen des 1. FC Köln, bei Hectors Verletzung habe es sich nicht um eine Gehirnerschütterung gehandelt. Dazu habe ihm die Ansicht der Live-Übertragung im Fernsehen genügt.
„Diese Bilder reichen mir, um sagen zu können: Jonas Hector hatte eine Gehirnerschütterung. Und keine ganz kleine“, sagt Goldbrunner und erklärt zur Begriffsverwirrung: „Der Terminus Gehirnerschütterung ist wissenschaftlich eher weich definiert. Aber der Ablauf, der da zu beobachten war, beschreibt eine Gehirnerschütterung eigentlich genau: Ein harter Schlag, dazu eine klaffende Platzwunde, ein Trauma, danach auftretende Schwindelgefühle und Orientierungsprobleme. All das lag hier vor. Es ist nicht ungewöhnlich, dass diese Probleme schon wenige Tage danach wieder verschwunden sind. Dennoch bleibt das eine Gehirnerschütterung. Und das ist nichts, was sich zu oft wiederholen sollte.“
Goldbrunner fordert wie viele Experten einen noch professionelleren Umgang des Fußballs mit der Thematik als Reaktion auf das sich verändernde Spiel: „Das Problem ist, dass der Fußball immer schneller und athletischer wird. Dadurch kommt es vermehrt zu Kopfverletzungen, wie wir sie aus dem American Football und dem englischen Rugby kennen. Dort haben tragen die Spieler schon seit langem Helme und Kopfschutz. Im Fußball fehlt das noch weitgehend, ich denke aber, es wird auf uns zukommen. Der tschechische Torhüter Peter Cech (FC Chelsea, FC Arsenal, Anm. d. Red.) hat nach seiner Kopfverletzung permanent mit dieser Schutzkappe gespielt. Das kann ich eigentlich nur jedem Fußball-Profi empfehlen.“
Die in Deutschland bereits eingeführten Neuerungen der Verbände und Organisationen gehen dem Neurologen nicht weit genug. Zwar soll das medizinische Personal laut der Deutschen Fußball-Liga (DFL) in diesem Bereich besser geschult werden, die Spielunterbrechungen dürfen in den beiden höchsten Profi-Ligen bei zu erwartenden Kopfverletzungen länger sein und die Möglichkeit zur Verwendung spezieller Geräte am Spielfeldrand wurden erweitert. Auch existiert seit 2019 ein so genanntes „Baseline Screening“, das vor der Saison den Ist-Zustand der Gehirntätigkeit eines jeden Profis dokumentiert, damit man bei Verletzungen einen Abgleich hat.
Sensibilität muss weiter steigen
Aber ein richtiges Protokoll, das vor Ort wie im Football im Einzelfall exakt feststellt, ob eine Gehirnerschütterung vorliegt und ob der Spieler weiterspielen darf, gibt es im Fußball noch nicht. Goldbrunner erklärt, warum die Sensibilität weiter steigen muss, damit zu befürchtende Langzeitfolgen wie Demenzerkrankungen nicht billigend in Kauf genommen werden: „Wenn ich mich an das WM-Finale von 2014 erinnere, als Bastian Schweinsteiger mit einer blutenden Kopfwunde weiterspielte und Christoph Kramer nach einem Zusammenprall nicht mehr wusste, wo er war, glaube ich, dass so etwas aus heutiger Sicht unverantwortlich ist. Es gibt Studien, die einen Zusammenhang mit Kopfverletzungen im Sport und Demenzerkrankungen eindeutig nahelegen, hier wird auch der Fußball seine Spieler mehr schützen müssen.“
Es muss laut Goldbrunner nicht einmal der spektakuläre Crash wie im Falle Hector sein, der böse Folgen haben kann, wenn er nicht richtig auskuriert wird. „Alleine ein ganz normaler Kopfball ist eine erhebliche Erschütterung“, sagt der Experte und führt aus: „Wenn der gegnerische Torwart einen Ball abschlägt und der prallt mit seinem Gewicht von mehr als 400 Gramm mit 80 bis 85 Kilometern pro Stunde auf den Kopf eines Spielers und wird dann auch noch um 90 Grad abgelenkt, dann ist das auch bei guter Kopfballtechnik ein ziemlicher Schlag. Wenn das ein Spieler in einem Spiel ein Dutzend Mal oder öfter macht, dann würde ich das schon mit einem Boxkampf vergleichen.“
Für Kinder sind Kopfbälle noch gefährlicher
Auch die Annahme, diese Thematik beträfe nur erwachsene Profis, entkräftet der Mediziner. „Noch empfindlicher als Erwachsenen sind Kinder und Jugendliche für Kopfbälle sowie Kopfverletzungen und ihre Folgen. Ich würde sagen, das gilt sogar bis zum Alter von 18 bis 20 Jahren. Ich finde es richtig, dass im englischen Fußball Kopfbälle für Kindern ganz verboten sind.“ Soweit wollte der DFB nicht gehen. Aber die Änderung der Spielformen für Kinder bis elf Jahren schließt Kopfbälle nahezu aus.
Und auch danach wolle man, so erklärt die Medizinische Kommission des DFB, der auch Neurochirurgen angehören, „achtsamer mit dem Thema Kopfballspiel“ umgehen. Dazu Professor Goldbrunner: „Die Reduzierung von Kopfbällen aller Art im Nachwuchsbereich halte ich für einen Schritt in die richtige Richtung.“