Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat exklusiv mit Ex-Bundestrainer Joachim Löw über das Karriereende von Jonas Hector gesprochen.
Das Beste aus 2023Joachim Löw verabschiedet Jonas Hector mit emotionalen Worten
Noch ist ungewiss, was die Fußballgötter für diesen Samstag vorgesehen haben. Wird dem FC Bayern ein Sieg beim 1. FC Köln (15.30 Uhr, Rhein-Energie-Stadion) nicht helfen, weil der BVB keine 100 Kilometer entfernt die Pflicht gegen Mainz erfüllt und den Vorsprung von zwei Punkten ins Ziel bringt? Oder zeigt Dortmund noch Nerven und spielt vor eigenem Publikum nur unentschieden?
Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 27. Mai veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.
Aus Kölner Sicht wäre das die Variante, die das größte Spektakel verspräche. Dann nämlich würde der Rekordmeister auf dem Rasen Müngersdorfs um die Deutsche Meisterschaft spielen. Idealerweise wäre in Dortmund dann Schluss. Und im Fernsehen fiele der Satz: „In Köln wird noch gespielt.“ Der Rest wäre eines Tages womöglich Fußballgeschichte.
Grundsätzlich ist Steffen Baumgarts Mannschaft längst am Ziel, der Klassenerhalt steht seit Wochen fest. Die Zuschauer können sich also ganz auf den letzten Kampf dieser Saison konzentrieren: Den mit den Tränen. Denn es wird auch unabhängig vom Meisterkampf emotional werden im ausverkauften Stadion. Am Samstag wird Köln Timo Horn verabschieden, den Rekordspieler des FC, der 21 Jahre lang das Trikot mit dem Geißbock trug und damit länger als jeder FC-Profi vor ihm. Der gebürtige Kölner wird seine Karriere im Alter von 30 Jahren an einem Ort neu starten, an dem er auf bessere Aussichten auf einen Stammplatz hofft. Auch Ellyes Skhiri wird den FC verlassen.
Jonas Hector hat nie so gut gespielt wie in diesen Tagen
Und dann geht der Kapitän von Bord. Jonas Hector (33) war in den vergangenen Jahren Kölns bester Fußballer und der wichtigste Profi am Geißbockheim. Der spröde Saarländer wird seine Karriere beenden, weil er sich dem Druck der Branche nicht mehr aussetzen mag. Womöglich hat Jonas Hector nie so gut gespielt wie in diesen Tagen. Zwar wird er auf eine große Karriere zurückblicken. Doch steht außer Zweifel, dass er noch einige gute Jahre in sich gehabt hätte. Das ist ein Jammer, er wird dem 1. FC Köln und dem Fußball an sich fürchterlich fehlen. 346 Pflichtspiele hat Hector für die FC-Profis absolviert, hinzu kommen 43 Länderspiele – alle unter Joachim Löw, der Hector am 14. November 2014 in Nürnberg gegen Gibraltar zum Debüt verhalf, ohne dass Hector jemals in einer Jugend-Nationalmannschaft gespielt hatte
. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ blickt der ehemalige Bundestrainer zurück. „Als Jonas das erste Mal zu uns kam, waren mein Trainerstab und ich nicht so ganz sicher, ob er, obwohl wir ihn einige Male beobachtet hatten, den Sprung zum Nationalspieler schaffen würden. Nach einigen Tagen im Training waren wir uns allerdings sicher, dass er es packt“, sagt Löw.
Als Bundestrainer erlebte Löw die Besonderheiten des Fußballspielers Jonas Hector aus nächster Nähe. „Jonas hat eine große Gabe: Er lernt unheimlich schnell, er hat eine unglaubliche Auffassungsgabe. All die Dinge, die wir ihm auf den Weg gegeben haben, konnte er von Anfang an immer sehr schnell umsetzen. Und zwar so, als ob er schon lange bei uns wäre. Im Laufe der Monate wurde er unersetzlich auf unserer linken Seite: defensiv zuverlässig, dazu offensiv enorm wichtig für unser Positionsspiel und unsere Lösungen nach vorne, technisch prädestiniert für unser Philosophie, taktisch genial. Über seine Seite haben wir in dieser Zeit viele Tore über Kombinationen vorbereitet.“
Hector dürfte in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen als ein Spieler, über den kein Kollege oder Trainer jemals schlecht geredet hat. Löws Aussagen im „Stadt-Anzeiger“ unterstützen das: „Jonas ist als Mensch ein Vorbild an Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Empathie, Toleranz. Er hatte einen hohen Stellenwert innerhalb der Mannschaft. Dass er dem 1. FC Köln die ganzen Jahre die Treue gehalten hat, ist außergewöhnlich. Jonas hat mir gegenüber nie den Eindruck gemacht ,dass er nicht glücklich ist. Er war ja immer auch etwas zurückhaltend und eher ruhig. Er war bei uns aber sehr gut integriert und beliebt in der Mannschaft.“
Größter Moment im EM-Viertelfinale 2016
Seinen größten Moment im Nationalteam hatte Hector 2016, als er im EM-Viertelfinale gegen Italien im Elfmeterschießen von Bordeaux den letzten Versuch versenkte. Hector trat als neunter deutscher Schütze an und überwand Italiens Legende Gigi Buffon mit einem für Hectors Verhältnisse eher wackligen Linksschuss. Ein glücklicher Moment, doch Löw sah nicht die Mächte des Zufalls am Werk. „Vielleicht hat er sich 2016 beim Elfmeter fast in die Hose gemacht. Ich dagegen hatte ein gutes Gefühl. Ich wusste, dass er diesen Krimi jetzt für uns entscheidet. Man verdient sich dann auch das notwendige Glück in der Karriere oder im Leben, wenn man so arbeitet und sich so verhält, wie er es immer getan hat.“
Über die Qualität der Entscheidung, nun die Karriere zu beenden, möchte der ehemalige Bundestrainer nicht urteilen. Er vertraut dem Spieler, mit dem er 2017 den Confed-Cup gewann. „Jonas steht mit beiden Beinen auf dem Boden, deshalb wird er die richtigen Entscheidungen für seine Zukunft treffen. Wir alle, die bei der Nationalmannschaft in der Verantwortung standen, haben Jonas sehr geschätzt – und zwar als Spieler und vor allem als Mensch.“