Timo Schultz spricht über Karneval, den Abstiegskampf und seinen Verbleib beim Verein. Trotz schwieriger Lage und Transfersperre bleibt er optimistisch.
Trainer Schultz zur Zeit beim 1. FC Köln„Meine Planung beim FC geht über den Sommer hinaus“
Herr Schultz, in der Politik wird die Arbeit eines neuen Amtsinhabers meist nach 100 Tagen erstmals bewertet. Drehen wir das mal um: Wie fällt Ihre Zwischen-Bilanz nach 77 Tagen beim 1. FC Köln aus, und hat Sie irgendetwas überrascht?
Timo Schultz: Überrascht hat mich gar nichts, da die Gespräche im Vorfeld sehr klar waren. Der Verein ist im Inneren sehr gut strukturiert. Wir haben eine ungemein leistungswillige, fleißige und hochmotivierte Mannschaft, die eine echte Einheit ist. Sie lässt ihr Herz auf dem Platz. Ich denke, auch jeder Fan sieht, dass sie alles dafür gibt, den Klassenerhalt zu schaffen. Unser absolutes Minimalziel war es, trotz eines ambitionierten Programms bis zur Länderspielpause am Relegationsplatz dran zu sein. Das sind wir, der Abstand zu einem direkten Nicht-Abstiegsplatz ist ein bisschen größer geworden. Wir hatten uns natürlich erhofft, diesen verkürzen zu können. Wir haben den einen oder anderen Punkt zu wenig geholt, es wäre mehr drin gewesen. Doch da müssen wir uns schon an die eigene Nase fassen.
Hat Sie wirklich nichts überrascht?
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Doch, die Wucht des Karnevals (lacht). Ich wusste natürlich, dass Köln eine Karnevals-Hochburg ist. Aber wenn man das dann im Rosenmontagszug oder bei der FC-Sitzung live erlebt, macht das was mit einem. Und was meine Personalie angeht, hat es mich etwas überrascht, dass von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Verkündung nichts nach draußen gedrungen ist. Ich denke, dass ist untypisch für Köln, spricht aber auch für die Arbeit der Verantwortlichen und einen professionellen Prozess. Beim Kader war und ist klar, wo dessen Stärken und Schwächen liegen. In der ersten Trainingswoche hat es uns leider gleich dreifach schwer erwischt mit den Verletzungen von Uth, Waldschmidt und Selke. Das hat ein Loch in die Offensive gerissen. Ich denke aber, dass wir insgesamt gesehen schon einiges in die richtige Richtung angeschoben haben. Man sieht in vielen Bereichen eine Entwicklung. Leider ist diese bisher zu langsam vorangegangen, da müssen wir nicht drumherum reden. Was die Ergebnisse angeht, müssen wir in den letzten acht Spielen größere und schnellere Schritte machen.
Abschied aus Basel nach nur 89 Tagen
Bei Ihrem Ex-Klub FC Basel mussten Sie Ende September 2023 schon nach 89 Tagen gehen. Hatten Sie das noch im Hinterkopf, als Sie beim FC anfingen, dem Wankelmut und Unruhe ebenfalls nicht fremd sind?
Beim FC Basel war ich zur falschen Zeit am richtigen Ort. Der Verein befand sich in sehr unruhigen Zeiten. Die Fluktuation im Kader mit fast 40 Transfer-Bewegungen zur neuen Saison war riesig. Doch der FC Basel ist ein toller Verein in einer großartigen Stadt, ich sah in der Aufgabe mehr Chance denn Risiko. Die schwierige Zeit dort hat mich dennoch einiges gelehrt: Und zwar was die Herangehensweise, Klarheit, Konsequenz und den Auftritt angeht. Für einen Trainer ist es immer unschön, wenn man entlassen wird, doch das gehört im Trainerjob nun einmal dazu.
Ist auch die Aufgabe beim FC mehr Chance denn Risiko?
Der FC ist eine riesige Chance. Es gibt nicht viele Trainer in Deutschland, die nein zum 1. FC Köln sagen, wenn er ruft. Und unser Kader gibt es absolut her, den Klassenerhalt zu schaffen und darüber hinaus eine Mannschaft zu entwickeln, die für mehr infrage kommt.
Was macht Sie da nach nur 18 Punkten aus 26 Spielen und einer Transfersperre so zuversichtlich?
Wie ich es schon sagte: Wir haben eine junge, lernwillige, fleißige Mannschaft – und es gibt keinen Spieler, der sich nicht mehr entwickeln kann. Dazu haben wir viele Talente, die sich noch entwickeln werden und trotzdem schon nachgewiesen haben, dass sie Leistungsträger sein können. Wir müssen jetzt noch mehr Konstanz reinbringen.
Hatten Sie mal Kontakt zu Ihrem Vorgänger Steffen Baumgart?
Wir hatten Kontakt und kennen uns auch schon länger. Wir haben uns geschrieben und sind uns auch schon in Köln über den Weg gelaufen. Wir hatten aber keinen großen Austausch über den Kader, das Gespräch war eher kollegialer Art.
In Köln kam zuletzt immer mehr Kritik an Baumgarts Arbeit auf, der lange Zeit als Erfolgstrainer und als das Gesicht des Vereins schlechthin gefeiert wurde. Wie sehen Sie das?
Steffen hat beim FC zweieinhalb Jahre hervorragende Arbeit geleistet und ist – wie Sie schon erwähnten – das Gesicht des Vereins gewesen. Er hat mir ein Trainerteam übergeben, dass komplett intakt ist und eine Mannschaft, die absolut fit ist. Das ist Fakt, und das hilft uns jetzt. Ich schätze Steffen als Person und als Trainer sehr. Doch unser Job gibt es nun einmal her, dass es immer einen Nachfolger gibt. Die Verweildauer eines Trainers bei einem Verein liegt heute im Schnitt nur noch bei 1,6 oder 1,7 Jahren. Das ist natürlich viel zu kurz, um dauerhaft etwas aufzubauen. Doch das weiß jeder Trainer, damit muss man sich arrangieren – oder es lassen. Am Ende lief es unter Steffen dann nicht mehr wie gewünscht, und man hat sich gemeinsam geeinigt, die Zusammenarbeit zu beenden. Sein Nachfolger bin ich. Und ich bin anders als Steffen. Ich habe einen anderen Ansatz, wie ich Fußball spielen lassen und mit Menschen umgehen will. Steffen ist auch wieder in Lohn und Brot bei einem anderen Verein (beim Hamburger SV). Ich wünsche ihm alles Gute und viel Glück – es sei denn, wir stehen uns in der Relegation gegenüber (lacht).
Warum ist der FC nach einer erfolgreichen und einer soliden Saison unter Baumgart in dieser Spielzeit so abgestürzt?
Ich möchte nur über die Zeit reden, seitdem ich im Amt bin. Unsere Probleme sind offensichtlich: Wir schießen einfach zu wenige Tore und haben deshalb zu wenige Punkte. Und darum waren die Ausfälle von Selke, Waldschmidt und Uth, die zudem auch unsere erfahrensten Spieler sind, maximal unglücklich. Doch jetzt ist Davie wieder voll dabei, Luca wird weiter integriert, und auch bei Mark habe ich noch die Hoffnung, dass er im Endspurt noch wichtig für uns werden kann. Diese Zeit hat aber zum Beispiel Sargis Adamyan genutzt, um auf sich aufmerksam zu machen.
Aber fehlt es der Mannschaft nicht an Führung?
Das würde ich nicht behaupten. Wir haben eine intakte Mannschaft mit Führungsspielern, manchmal aber eine zu liebe und brave. Das haben wir intern angesprochen. Wir müssen cleverer, galliger und abgezockter werden. Und das kann man als Trainer aktiv beeinflussen.
Und jetzt rettet ein Mini-Trainingslager eine verkorkste Saison?
Wir haben uns bereits Ende Januar, Anfang Februar bewusst für dieses Trainingslager entschieden. Und zwar in dem Wissen, dass für uns jetzt die absolute Crunchtime mit Spielen gegen viele Gegner beginnt, gegen die wir gewinnen müssen. Auch wenn uns hier in Spanien einige Spieler fehlen, nutzen wir die Zeit sehr gut. Wir drücken auf den Reset-Knopf und wollen die Sinne schärfen, um mit Anlauf den Saison-Endspurt einzuläuten. Vom Trainer bis zum Zeugwart weiß jeder, um was es in den nächsten zehn Wochen gehen wird. Manche Themen, im fußballspezifischen, aber auch im privaten Bereich, müssen beiseitegeschoben werden, um den Fokus auf jede Trainingseinheit oder natürlich auf die Spiele zu lenken.
Also fehlte dieser Fokus vorher?
Nein. Trotzdem geht es jetzt nochmal darum, als gesamte Gruppe die Situation so anzunehmen, wie sie ist. Wir stehen nun einmal auf einem Abstiegsplatz, aber wir haben noch alles in der eigenen Hand und können es selbst für uns regeln. Das Restprogramm gibt das her, auch eine Serie ist möglich.
Sie sprachen vom neuen Trainingsschwerpunkt, „dem Spiel mit dem Ball“. Kommt der nicht acht Spieltage vor Saisonende ein bisschen spät?
Die Frage ist berechtigt. Es ist ja nicht so, dass daran vorher nicht gearbeitet wurde. Wir können aber nicht so blauäugig sein und einfach sagen, wir machen alles so weiter wie bisher – und dann wird es schon irgendwie werden. Nein, wir müssen uns verbessern. Und zwar nicht nur die Stürmer, sondern die ganze Mannschaft. Wir brauchen mehr Tore, um Spiele zu gewinnen. Denn Unentschieden helfen uns nicht mehr weiter. Wir müssen mehr ins Risiko gehen. Und das muss in die Köpfe der Spieler.
Timo Schultz kann sich Verbleib beim 1. FC Köln vorstellen
Rechnen Sie mit einem Showdown um den Relegationsplatz am 31. Spieltag bei der Partie in Mainz?
Showdown ist vielleicht übertrieben, aber es hat sicher eine besondere Bedeutung. Aber wer weiß das jetzt schon ganz genau? Theoretisch könnten uns zwei Siege reichen, es kann allerdings auch sein, dass selbst vier oder fünf zu wenige für die Rettung sind.
Und was ist, wenn die Rettung nicht gelingt: Können Sie sich vorstellen, dennoch in Köln zu bleiben?
Ja, klar. Der Verein, die Mannschaft und die ganze Stadt haben eine wahnsinnige Anziehungskraft und Power. Im Grunde wollen alle, dass ihr FC in den Bundesliga bleibt. Und jeder versucht sein Teil dazu beizutragen. Das hat mich beeindruckt. Und auch die Entwicklung, die wir eingeleitet haben, geht in die richtige Richtung. Es gibt nach einem Abstieg immer ein Für und Wider. Aber mit dem Szenario Abstieg will ich mich jetzt nicht auseinandersetzen. Wir wollen die Klasse halten und dann mit der Mannschaft die richtigen Schritte gehen.
Aber ohne Transfers wegen der Fifa-Sperre. Kann das überhaupt funktionieren?
Ja. Wir haben zwar im Sommer nur die Möglichkeit, Leihspieler zurückzuholen. Aber da sind ein paar richtig gute und spannende dabei, die eine gute Rolle spielen können. Wir haben zudem bereits viele talentierte Spieler und Leistungsträger. Die Perspektive stimmt, wir haben eine coole Mannschaft. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich derzeit auch nur ein Spieler damit beschäftigt, wo er nach dem Sommer sein könnte. Die wollen alle hierbleiben und mit dem FC Erfolg haben – genauso wie ich. Mir ist eine Transfersperre lieber als das, was in Basel in den ersten Wochen passiert ist. Man spricht oft von Kontinuität und Entwicklung. Uns ist die Transfersperre auferlegt worden, deshalb lasst uns doch diesen Nachteil zum Vorteil machen.
Aber Ihr Vertrag soll nur für die Bundesliga gültig sein, oder?
Verträge mit ihren ganzen Klauseln sind am Ende allgemein oft nur Schall und Rauch – das gilt für Spieler und für Trainer. Ich habe jedenfalls tierisch Bock auf die Arbeit hier. Meine Planung geht über den Sommer hinaus. Aber ich weiß auch, wie schnelllebig das Geschäft ist. Deshalb tue ich gut daran, meinen Fokus und meine Energie nur auf die nächsten Wochen zu legen.
Gibt es eigentlich Trainer, an denen Sie sich orientieren, die Ihnen besonders gut gefallen?
In meiner aktiven Zeit hatte ich viele tolle Trainer, angefangen von Thomas Schaaf bei Werder Bremen oder Dieter Hecking beim VfB Lübeck. Beim FC St. Pauli hat mich am meisten Holger Stanislawski geprägt, unter dem wir von der 3. bis in die 1. Liga aufgestiegen sind. Wir haben noch heute ein besonderes Verhältnis. Er war auch für kurze Zeit Trainer beim FC. Wir haben uns darüber aber nur oberflächlich ausgetauscht, denn die Zeiten lassen sich nicht mehr miteinander vergleichen.
Was sagen eigentlich Ihre Eltern im beschaulichen Ostfriesland zu Ihrem turbulenten FC-Job in der Millionen-Stadt Köln?
Die freuen sich, sie wissen aber auch um die Besonderheit und Schwere der Aufgabe. Sie unterstützen mich – wie auch viele weitere Verwandte oder Freunde. Und sie kommen regelmäßig zu den Heimspielen. Zehn sind eigentlich immer im da.
Und die ostfriesische Reisegruppe ist auch schon FC-jeck?
So ziemlich. Ostfriesen sind lockerer und emotionaler als ihr Ruf. Meine Familie und Freunde kommen mit FC-Schals oder -Trikots ins Stadion und sind schon erstaunlich textsicher bei den kölschen Liedern (lacht).