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120 Ironman-Distanzen in 120 Tagen„Die Grenzen lassen sich weiten – und so auch das Vertrauen in die Welt“

Lesezeit 9 Minuten
Jonas Deichmann läuft, eine Menschenmenge applaudiert

Jonas Deichmann absolvierte 120 Ironman-Triathlons in 120 Tagen.

Extremsportler Jonas Deichmann über die Überwindung von Grenzen, Angstfreiheit und Herausforderungen für Normalos. Ein Gespräch.

Herr Deichmann, Sie haben diesen Sommer 120 Ironman-Triathlons in 120 Tagen absolviert. Jeden Tag 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer laufen, ein irre klingender Weltrekord. Was treibt Sie an, so etwas zu tun?

Jonas Deichmann: Die Basis ist eine unglaubliche Leidenschaft für das, was ich mache. Ich bin Abenteurer und Extremsportler – und habe das zum Beruf gemacht. Allein, dass das geklappt hat, gibt mir jede Menge Kraft und Energie. Dass es dann so gut läuft und ich auch ein paar Rekorde aufstelle, hätte ich mir nie erträumen lassen. Da haben sich die Grenzen mit jedem Projekt enorm verschoben. Vor zehn Jahren habe ich an einen Ironman gedacht, dann ging es in 120 Ironmans um die Welt, jetzt wurden es 120 in 120 Tagen… Ich würde auch so leben wollen, wenn die Grenzen enger wären. Die Rekorde machen es aber einfacher, davon zu leben.

Sie sind als Jugendlicher Radrennen gefahren und galten als sehr ehrgeizig. Ihren Hang, den Ausnahmezustand zum Normalzustand zu machen, erklärt das noch nicht. Sie sind durch den sibirischen Winter geradelt und 456 Kilometer ohne Begleitboot durch die Adria geschwommen …

So etwas entwickelt sich langsam. Ich habe in meinem Leben immer wieder die Erfahrung gemacht: Die Grenzen lassen sich erstaunlich weiten – und so auch der eigene Horizont und das Vertrauen in die Welt. Ich lebe nicht in Konjunktiven. Ich nehme mir etwas vor und mache es. Schritt für Schritt. Deswegen heißt mein neues Buch auch: Weil ich es kann!

Meinen Bachelor habe ich in Schweden, Brasilien und Singapur gemacht, den Master in Dänemark und Indien. Zum Teil Länder, in denen ich die Sprache nicht konnte – und trotzdem habe ich gemerkt: es geht
Jonas Deichmann, Abenteurer und Extremsportler

Ihr Vertrauen in die Welt muss gewaltig sein. Wo wurden die Grundsteine dafür gelegt?

Mein Opa war Schlangenfänger in Afrika, deswegen war ich als Kind öfter in Westafrika und habe gesehen, wie er lebt. Mein Vater war viel mit mir in der Natur, bei uns zu Hause ging es oft darum, die Dinge etwas anders zu machen als viele das tun. Dazu bin ich Radrennen gefahren und habe mich gern verausgabt. Meinen Bachelor habe ich in Schweden, Brasilien und Singapur gemacht, den Master in Dänemark und Indien. Zum Teil Länder, in denen ich die Sprache nicht konnte – und trotzdem habe ich gemerkt: es geht. Ich kann nach Indien ziehen, ohne jemanden zu kennen. Vor acht Jahren habe ich mich dann als Abenteurer selbstständig gemacht – statt im Vertrieb ganz gut Geld zu verdienen. Auch nicht ganz ohne.

Eine Entscheidung, die viel Mut braucht …

…es war überhaupt nicht absehbar, dass ich davon leben kann. Mir geht es heute gut, die Bücher verkaufen sich, ich bin gefragt als Speaker, halte dieses Jahr über 100 Vorträge - aber ich würde jemandem, der Abenteurer werden will, nie sagen: Mach es wegen dem Geld und der guten Rente … zum Glück haben meine Eltern immer gesagt: Wenn es Dein Traum ist, mache es.

Sie treten vor Wirtschaftsbossen und Versicherungsvertretern auf, gerade haben Sie bei einer Veranstaltung in Köln zu medizinischem Cannabis gesprochen. Was spricht Sie da an, und: Gibt es Anfragen, die Sie ablehnen?

Wenn Cannabis Menschen in der Schmerztherapie hilft – und da gibt es ja inzwischen viele Studien zu – finde ich das gut. Anfragen von Tabakkonzernen lehne ich ab. Auch Rüstungsunternehmen haben mich schon angefragt – das würde ich auch nicht machen.

Wenn Menschen Angst haben, geht es um kleine Herausforderungen. Vor die Tür gehen. Spazieren gehen. Zehn Minuten joggen. Sich vornehmen, jemanden anzusprechen. Es geht ums Machen
Jonas Deichmann

Viele Menschen haben gerade Angst vor allem Möglichen, sie gehen nicht mehr aus dem Haus, entwickeln Angst vor anderen Kulturen und vor irgendwelchen Veränderungen. Was sagen Sie denen, die nicht angstfrei und voller Vertrauen sind?

Dann geht es um kleine Herausforderungen. Vor die Tür gehen. Spazierengehen. Zehn Minuten joggen. Sich vornehmen, jemanden anzusprechen. Eine Bewerbung schreiben. Irgendwann dann vielleicht mal mit einem Zelt aufs Land radeln und allein zelten, oder zu zweit. Es geht ums Machen. Eine andere Sache ist, sich ein Umfeld zu schaffen mit Menschen, die positiv sind und angstfrei. Ich brauche niemanden, der nur rumjammert und ständig das Negative sieht – das tut mir nicht gut.

Wann hatten Sie auf ihren Abenteuern richtig Angst?

Das Gefährlichste ist der Verkehr – in Russland war das oft so, dass die Lkw extrem knapp an einem vorbeigefahren sind. Das sind kleine Momente der Angst – dann ist es wieder vorbei. Bei den Ironmans um die Welt bin ich oft in die Dunkelheit hinein geschwommen. Im Dunkeln im Ozean ein paar Kilometer vor der Küste, wenn ich zu einer Insel musste zum Beispiel, da hatte ich manchmal das Gefühl: Du solltest hier nicht sein. Da gab es das Gefühl eines tiefen Unwohlseins. Das geht auch nicht weg. Ich habe keine Panik, will dann aber irgendwie raus. Ich habe meine Ausrüstung hinter mir hergezogen und eine Boje, hatte kein Begleitboot und niemanden, den ich hätte verständigen können. Da geht es darum, ruhig zu bleiben.

Extremsportler Jonas Deichmann läuft ins Ziel.

Extremsportler Jonas Deichmann: „Ich habe in meinem Leben immer wieder die Erfahrung gemacht: Die Grenzen lassen sich erstaunlich weiten – und so auch der eigene Horizont und das Vertrauen in die Welt.“

Nehmen Sie bewusst in Kauf, bei Ihren Abenteuern zu sterben?

Nein. Das Risiko ist sehr kalkuliert. Ich plane die Touren möglichst genau durch. Und würde zum Beispiel keine Passagen durchschwimmen, bei denen klar ist, dass ich die Strömungen nicht bewältigen kann. Basejumper oder Freeclimber gehen ein viel, viel größeres Risiko ein als ich. Aber man muss natürlich sehr gut einschätzen können, wozu man in der Lage ist.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Tod?

Sehr entspannt. Der Tod gehört dazu zum Leben. Ich riskiere nicht mein Leben – ich gerate einfach nie in Panik. Das Entscheidende ist trotzdem nicht, wie alt ich am Ende werde, sondern, was ich erlebt habe. Ich habe lieber 50 Jahre ein geiles Leben als 90 zu werden und nichts erlebt zu haben.

Sie sagen: „Ich gerate nie in Panik. Ich funktioniere auch, wenn ich Angst habe. Immer.“ Wie lässt sich das lernen?

Zum einen habe ich ein großes Urvertrauen, dass man jede Situation irgendwie meistert und es gut wird. Wo das Urvertrauen herkommt? Vor allem davon, sich ständig schwierigen Situationen auszusetzen und diese zu meistern. Ich hatte noch nie die Situation, mich nicht mehr fortbewegen zu können, nie. Es ging immer weiter.

Sie sind in manchen Jahren kaum in Deutschland, hatten lange keinen festen Wohnsitz. Ist das immer noch so?

Ich habe eine Base, bin aber nirgendwo richtig lange. Im Winter bin ich mit einem Camper viel in Spanien und Portugal. Dadurch habe ich weniger Verpflichtungen und kann mein Leben offen und flexibel gestalten. Mich an Umstände anpassen. Auch Dinge wie ein eigenes Haus, ein fester Job, Partner, Kinder und anderes führen ja manchmal zu Sorgen – so etwas habe ich alles nicht. Ich wüsste daher nicht, wovor ich Angst haben sollte.

Sie waren kürzlich mit dem Rad von der Schweiz aus auf dem Mont Ventoux, machen auch in Zeiten ohne Abenteuer 30 bis 40 Stunden Sport pro Woche. In den vergangenen Jahren gab es womöglich niemanden auf der Welt, der mehr Grundlagenausdauersport gemacht hat als Sie. Irgendwann könnte der Körper das nicht mehr mitmachen. Können Sie sich Grenzerfahrungen abseits des Körperlichen vorstellen?

Später vielleicht. Ich habe derzeit keinerlei körperliche Probleme. Ich habe mich während des 120-Ironman-Projekts die ganze Zeit checken lassen. Ich tue auch viel dafür: Heute Abend mache ich vor einem Vortrag Yoga und Stabi-Übungen, ich ernähre mich gut … und ich bin mit mir im Reinen. Die 120 Langdistanzen habe ich mit 37 gemacht – ich weiß, dass ich das irgendwann nicht mehr kann. Ich bin aber kein klassischer Profisportler, der Rennen gewinnen muss. Wenn ich älter werde, wird sich der Fokus mehr in Richtung Abenteuer richten. Es geht nur darum, mich immer neu zu erfinden, mir neue Projekte auszudenken – und Geschichten zu erzählen, für die sich die Menschen interessieren.

In welchen Momenten fühlen Sie sich am wohlsten?

Das kann ein Berg sein, die Wüste, der zugefrorene Baikalsee oder der Ozean – es hat aber meistens den Aspekt, dass es ein schwieriger Tag war. Die letzten Kilometer den fünften Pass des Tages hoch. Die heiße Suppe nach einer Rad-Etappe bei Minus 20 Grad in Sibirien. Die schönen Momente sind noch schöner, wenn man sie sich erarbeitet hat. Die Aussicht vom Pass ist schöner, wenn Du mit dem Rad hochgefahren bist, als wenn Du das mit der Gondel hochgekommen bist.

Ich hatte noch nie eine Sportverletzung, nicht mal ne Zerrung. Nach 120 Ironmans waren meine Muskeln butterweich. Da scheine ich gute genetische Voraussetzungen zu haben
Jonas Deichmann

120 Ironmans in 120 Tagen – da tun meine Knie- und Hüftgelenke schon weh, wenn ich daran denke. Hatten Sie nie Gelenkbeschwerden, Muskelverletzungen, Atemprobleme wegen Infekten?

Nein, gar nichts. Richtige Sportverletzungen hatte ich tatsächlich noch nie. Noch nicht mal 'ne Zerrung.

Haben Sie außergewöhnliche Voraussetzungen, was Ruhepuls, Sauerstoffaufnahmekapazität oder Fettverbrennung angeht?

Ich habe einen sehr niedrigen Ruhepuls, 37 oder 38 glaube ich, meine Sauerstoffaufnahme ist sehr gut, im unteren Profibereich liege ich wohl in allen Bereichen. Die Fettverbrennung ist natürlich gigantisch, ich kann essen, was ich will. Der CK-Wert, der Entzündungswerte in den Muskeln misst, ist wohl am überraschendsten: Nach einem Ironman haben viele Menschen einen Wert von 5000 oder deutlich mehr, bei mir lag er bei den 120 Ironmans konstant zwischen 100 und 200. Also praktisch nicht existent. Meine Muskeln waren butterweich. Da scheine ich gute genetische Voraussetzungen zu haben – ich habe mich aber auch über viele Jahre hinweg adaptiert.

Wann haben Sie Ihren ersten Ironman absolviert?

Der erste offizielle war im Rahmen des Weltrekords am 60. Tag bei der Challenge Roth in diesem Sommer – zur Halbzeitmarke. 2020 habe ich in Schweden vom Zelt aus 3,8 Kilometer geschwommen, 180 Kilometer mit dem Gravelbike gefahren und habe danach einen Traillauf von 42 Kilometern gemacht – als Vorbereitung für den Triathlon um die Welt.

Was kommt im kommenden Jahr?

Zum einen möchte ich jeden Monat eine Langdistanz mit Freunden und Bekannten machen. Im Winter öfter in Portugal und Spanien, im Sommer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dabei wird es verschiedenen Editionen geben: mit Gravelbike, einen Nachttriathlon, eine Höhenedition mit möglichst vielen Höhenmetern… Das wird gut. Zum anderen mache ich mit meinem sehr guten Freund Marc Bernreuther ein Challenge-Format. Wir fordern uns einmal im Monat im Abenteuer- und Ausdauerbereich heraus und haben dann 48 Stunden Zeit, das zu machen. Das kann ein Ort ohne Essen sein, Survival, eine doppelte Langdistanz, viele lustige Herausforderungen.


Zur Person: Der Stuttgarter Abenteurer und Extremsportler Jonas Deichmann (37) hält zahlreiche Weltrekorde. So fuhr niemand schneller mit dem Rad die Panamerikana von Alaska nach Feuerland als Deichmann, der für die 23.000 Kilometer lange Strecke im Jahr 2018 lediglich 97 Tage brauchte. Auch vom Nordkap in Norwegen bis nach Kapstadt radelte niemand schneller als Deichmann. Über seine 120 Ironman-Distanzen in 120 Tagen in diesem Sommer hat Deichmann das Buch „Weil ich es kann!“ geschrieben, das am 14. November im Verlag Waller Dengler erschienen ist.