Das erneute Scheitern der Nationalmannschaft hat tiefere Ursachen als die Fehler des Bundestrainers. Der DFB muss zurückfinden zur Leistungskultur. Dafür bedarf es personeller Änderungen.
Kommentar zum AusDie Nationalmannschaft braucht einen Kulturwechsel
Erst zweimal in ihrer Geschichte ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Gruppenphase einer Weltmeisterschaft gescheitert. Dass beide Ereignisse nacheinander eintraten, zeigt die historische Dimension. Und fügt sich in den Trend der vergangenen Jahre. Denn bereits bei der Europameisterschaft vor anderthalb Jahren offenbarte Deutschland die fortschreitende Erosion seiner Leistungskultur. Wie Flicks Mannschaft in Katar auftrat, war längst keine Überraschung mehr.
Es gibt mehr Ursachen als die Fehler des jeweiligen Bundestrainers
Wie die deutsche Elf mit ihren Torchancen umging. Wie wenig fokussiert sie den eigenen Strafraum verteidigte. Mit welcher Beiläufigkeit sie im Mittelfeld vor sich hinpasste. Das alles ist auch zu erklären mit Flicks Wechselfehlern und fehlender Weltklasse im Kader. Doch steckt mehr hinter den beiden WM-Blamagen als das Versagen des jeweiligen Bundestrainers bei der Gestaltung seiner Formation.
Aus dem Ruf, dass Deutschland in den entscheidenden Momenten stets zu Großem bereit ist, ist über die Jahre ein leeres Klischee geworden. Und selbst davon ist nun nichts mehr übrig. Hier eine starke Halbzeit, dort zehn gute Minuten. Doch zu selten zeigt Deutschland den absoluten Siegeswillen.
Am Donnerstag war der Kantersieg über einen mittellosen Außenseiter eine Möglichkeit, die man aus Gründen des „Respekts“ vor dem Gegner nicht auszusprechen gewagt hatte. Als habe man es nicht übertreiben wollen mit dem Siegeswillen. Dabei schien ein 7:0 über Costa Rica angesichts des Chancenwuchers durchaus möglich. Stattdessen machte man sich lieber zum Opfer der spanischen Gleichgültigkeit. Auch das: unwürdig.
Die Aufbereitung des WM-Dramas von 2018 dauerte zwei Monate, damals erzählten Oliver Bierhoff und Joachim Löw in der legendären 110-Minuten-Pressekonferenz von München noch einmal nach, was jeder längst gesehen hatte. Dann ging es einfach weiter. Löw durfte noch die Nations League und eine Europameisterschaft in den Sand setzen, bis ihm sein ehemaliger Assistent nachfolgte. Eine grundsätzliche Erneuerung sieht anders aus.
Bierhoff ist immer noch da. Und rühmte noch in der Nacht des neuerlichen WM-Aus die organisatorischen Leistungen seiner Abteilung. Bierhoff lieferte damit das spektakuläre Beispiel dafür, was passiert, wenn eine Strategie nichts mehr mit Leistungskultur zu tun hat.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist gefragt
Die Nationalmannschaft braucht nun eine personelle Erneuerung auf allen Ebenen: in Management, Trainerstab und Mannschaft. Einleiten muss diesen Prozess der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der in den vergangenen Tagen jede Härte vermissen ließ und insgesamt nicht in dem Ruf steht, ein Mann von großem Gestaltungswillen zu sein. Bis zur EM bleibt wenig Zeit. Es braucht präzise, schnelle Entscheidungen aus der Verbandsspitze. Nur so ist ein Kulturwechsel denkbar.