International bekommt die iranische Nationalmannschaft Beifall für den Mut, sich zu weigern, die Hymne mitzusingen. Doch längst nicht alle sind begeistert.
Trotz Schweigen bei HymneProtestbewegung kritisiert iranische Nationalspieler als „Team Mullah“
Die Bilder gingen um die Welt: die iranische Fußballnationalmannschaft, die vor ihrem WM-Auftaktspiel gegen England schwieg. Selten, war schnell zu lesen, war ein Schweigen lauter als jenes. Denn das Verweigern der Hymne bedeutet im Iran weit mehr. Es bedeutet, sich gegen die Regierung zu stellen, mitunter selbst mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Im Fernsehen waren iranische Fans zu sehen, die weinten.
In Teheran war man indes wohl nicht ganz so erfreut über die Bilder. Weder seitens des Mullah-Regimes noch seitens der Protestierenden. Und das, obwohl Fußball der Nationalsport ist, das Fenster zur Welt, obwohl die Nationalmannschaft Heldenstatus genossen hat. Stattdessen machen in den sozialen Medien Videos von Hupkonzerten und Autocorsos die Runde, in denen die Niederlage des Teams gefeiert wird. Auf Videos, die etwa die Farsi-Ausgabe von „Voice of America“ teilte, ist zu sehen, wie Menschen jubelnd die Zahl sechs skandieren – sechs Tore hatte England im ersten Gruppenspiel gegen Iran geschossen.
Aktivistin Shadi Amin: „Die Leute sind sehr wütend auf diese Mannschaft“
Shadi Amin, iranische Autorin und Menschenrechtsaktivistin, die im Exil in Deutschland lebt, sagt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Dienstag: „Die Leute sind sehr wütend auf diese Mannschaft. Sie waren einmal Helden, aber jetzt sind sie eher das Team der Regierung als das Team des Irans.“
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Auf den Straßen haben die Menschen jedes der sechs Tore gegen die iranische Mannschaft gefeiert, nach Abpfiff das Revolutionslied gespielt, der verletzte Torhüter Alireza Beiranvand musste Häme einstecken, ziert bereits zahlreiche Memes in den sozialen Medien. Schon zuvor hatten einige Menschen in den sozialen Medien das Team umbenannt: Aus dem offiziellen Namen der Nationalmannschaft, Team Melli, wurde kurzerhand „Team Mullah“, wie „Iran International“ berichtet.
Spieler verbeugen sich auf Fotos vor Irans Präsident Raisi
Den Ausgang nahm das alles am 14. November 2022, wenige Tage vor dem Beginn der umstrittenen WM in Katar. An diesem Tag, kurz vor der Abreise nach Katar, besuchte das Team den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi an dessen Regierungssitz. Fotos, wie sich die Spieler Rouzbeh Cheshmi und der bereits erwähnte Alireza Beiranvand vor Raisi verbeugten, machten schnell die Runde. Ebenso wurde bekannt, dass Fußballer Vahid Amiri, der sich kurz zuvor bei der Polizei bedankte und die Protestierenden als Krawallmacher verunglimpfte, darum bat, dass Raisi das Team weiterhin unterstütze.
Bereits bei der WM-Vorbereitung, nur Tage vor dem eigenen Turnierstart, verweigerten Karim Ansarifard und Morteza Pouraliganji eine Solidaritätsbekundung mit den Menschen im Iran. Kicker Alireza Jahanbakhsh schlug gar vor, dass Fragen zu den Vorgängen im Iran gar nicht mehr gestellt werden dürften, da das Team dadurch abgelenkt werde. In der Vergangenheit hatte bereits Mehdi Torabi mit T-Shirts auf sich aufmerksam gemacht, auf denen er beim Torjubel für das Mullah-Regime und „Gehorsam“ warb.
Ex-Nationalspieler kritisieren Nähe zum Mullah-Regime
All diese Vorfälle sind offenbar nicht durch das Hymnen-Verweigern vergessen bei den Menschen im Iran, die sich für einen Wandel einsetzen. „Es gibt Menschen, die zahlen einen hohen Preis dafür, zu protestieren“, sagt Amin dem RND, „und das Team hilft mit diesen Fotos der Propaganda des Regimes.“ Die Nationalmannschaft habe bei dem Treffen gezeigt, dass sie eben nicht auf der Seite des Volkes stehe.
Selbst von ehemaligen Nationalkickern gab es für das Treffen Kritik. Ex-Bayern-Spieler Ali Karimi schrieb auf Instagram, die Spieler hätten es versäumt, „die richtige Seite der Geschichte“ zu wählen. Yahya Golmohammadi kommentierte eben dort, das Team hätte „der Stimme einer trauernden Nation Gehör verschaffen“ können, gegen beide Männer wird seitens des Irans nun ermittelt, wie „Iran Wire“ berichtete.
Welche Sanktionen drohen den iranischen Spielern wirklich?
Auch wenn Mehdi Chamran, Vorsitzender des Teheraner Stadtrats, der Zeitung „Hamshahri“ sagte, dass man „niemandem erlauben werde, unsere Hymne und Flagge zu beleidigen“, glaubt Amin nicht, dass die Nationalspieler etwas zu befürchten haben. Über internationale Medienberichte, wonach den Spielern womöglich gar den Tod erwarte, ist sie verwundert. „Sie haben nicht viel riskiert“, sagt sie. Iranische Sportjournalisten hatten bereits vermeldet, dass sie davon ausgehen, dass die Aktion – wenn überhaupt – erst nach Turnierende etwa mit Sperren oder Geldstrafen sanktioniert würde, wie der „Sportbuzzer“ berichtet.
Einige Spieler räumten selbst bereits ein, nicht wirklich mit Konsequenzen zu rechnen. Bundesliga-Profi Sardar Azmoun von Bayer Leverkusen schrieb vor Wochen auf Instagram, dass das Schlimmste, das ihm widerfahren könne, sei, aus dem Nationalteam geschmissen zu werden – was „ein kleiner Preis“ sei. Er fuhr fort: „Schämt euch dafür, dass ihr das Volk tötet.“ Azmoun ist einer der prominentesten Unterstützer der Protestbewegung, nutzt seinen Instagram-Kanal immer wieder für Solidaritätsbekundungen.
Wie die regimetreuen Mannschaftskameraden Amiri oder Torabi darauf reagierten, ist unklar. Deutlich wird lediglich: Innerhalb der Mannschaft finden sich Unterstützer wie Kritiker des Regimes, ein glaubhaftes gemeinsames Statement kann es dadurch kaum geben. Omid Namazi, ehemaliger Assistenztrainer des iranischen Nationalteams, sagte der „Washington Post“: „Die Spieler wurden in eine sehr prekäre Situation gebracht. Die iranischen Behörden und die Geheimdienstagenten wollen eindeutig, dass sie schweigen. Die Iraner erwarten hingegen, dass diese Jungs, die berühmt und bekannt sind, ihre Stimme sind.“
Keine zu offensichtlichen Zeichen von den iranischen Spielern
Für Amin sind Azmouns die einzigen glaubhaften Worte – allerdings von einem Spieler kommend, der wie auch sie in Deutschland lebe und im Iran nichts zu fürchten habe. Andere Spieler, die sich zuvor äußerten, etwa Kapitän Ehsan Hajsafi, blieben vage. Er sprach laut „The Guardian“ etwa den Familien der Getöteten sein Beileid aus oder nutzte den zum Spruch der Protestbewegung gewordenen Satz des zehnjährigen Kian Pirfalk, der von den Sicherheitskräften im Iran getötet wurde: „Im Namen des Gottes der Regenbögen.“
Amin kommentiert, dass das Worte und Zeichen seien, die im Nachhinein anders ausgelegt, umgedeutet werden könnten. „Wenn es Ärger gibt für die Spieler, können sie auf Instagram immer noch posten, dass sie ja im Herzen mitgesungen hätten oder nur ohne Hintergedanken ein Kind zitierten.“
Internationale Debatte, ob Iran in Katar überhaupt spielen sollen darf
Schon vor dem Turnier in Katar gab es eine Kontroverse um das iranische Nationalteam. Einige hatten öffentlichkeitswirksam gefordert, die Mannschaft auszuschließen, so lange das iranische Regime Menschen foltert, einsperrt und ermordet – ähnlich wie das russische Team von den Play-offs ausgeschlossen wurde, weil Putin gegen die Ukraine und gegen Protestierende Krieg führt.
Der Grünen-Parteivorsitzende Omid Nouripour sagte dem „Kicker“ im Vorfeld der WM: „Einerseits könnte ein Ausschluss den internationalen Druck gegen das iranische Regime erhöhen. Andererseits sollten wir diejenigen unterstützen, die gerade gegen die Regierung auf die Straße gehen.“ Öffentlichkeitswirksamer Protest könnte die Protestierenden stärken und das Mullah-Regime schwächen. Der portugiesische Trainer der iranischen Elf, Carlos Queiroz, hatte zuvor auf einer Pressekonferenz angekündigt, Protest bei seinen Spielern gegen das Mullah-Regime zuzulassen. Ehemalige iranische Sporthelden wie Ali Karimi oder Ali Daei schlugen Einladungen nach Doha aus, um an der Seite des Volkes zu kämpfen, berichtet die „Neue Züricher Zeitung“.
Iran und Katar geben sich vor der WM als Verbündete
Schon im Vorfeld war zu sehen, dass Katar und Iran zumindest nach außen derzeit auf Kuschelkurs sind. Irans Raisi traf sich mit dem Emir von Katar, die gemeinsamen Interessen wurden betont. Wie ernst dieses Bündnis derzeit genommen wird, zeigen Aufnahmen aus dem Umfeld des Khalifa-International-Stadion in Ar-Rayyan. Eine Frau, die eine alte iranische Flagge schwenkte, wurde von katarischen und iranischen Sicherheitskräften gemeinsam festgenommen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Niema Movassat teilte einen Ausschnitt davon auf Twitter.
In Katar mögen Verhaftungen von iranischen Demonstrierenden ungewöhnlich sein, im Iran sind sie seit dem 16. September 2022 an der Tagesordnung. Seit dem Tod der Kurdin Mahsa Amini, die im Alter von 22 Jahren durch die Moralpolizei starb, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll, überrollt eine Protestwelle den islamischen Staat. Nun wird gegen das islamische Herrschaftssystem und Gewalt, Willkür und Repressionen der Mullahs protestiert. Dabei wurden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen mehr als 15.000 Menschen inhaftiert, mehr als 340 sollen gestorben sein.
Shadi Amin: „Früher wäre es eine Heldentat gewesen, die Hymne nicht zu singen“
Wo die iranische Nationalmannschaft steht, bleibt vorerst ungewiss. Möglicherweise wird das Team am 25. November, beim zweiten Vorrunden-Spiel der Iraner (11 Uhr, gegen Wales) zeigen, wie glaubhaft ihr stiller Protest war.
Amin hingegen, die selbst Fußball-Fan ist, hat mit diesem Team abgeschlossen. Sie glaubt nicht an Aufrichtigkeit, sondern vielmehr an Taktik. „Wir wissen alle, dass diese Regierung nicht an der Macht bleiben wird“, sagt sie. Für die Spieler könnte es ihrer Ansicht nach auch darum gehen, sich für die Zukunft zu positionieren – sich bei möglichen späteren Regierungen nicht unbeliebt zu machen.
„Früher wäre es eine Heldentat gewesen, die Hymne nicht mitzusingen“, sagt sie. Doch dafür sei zu viel vorgefallen. „Für die iranische Elf wird es schwierig, nach dem Präsidententreffen, nach dem Schweigen gegen Raisi, noch einmal glaubhaft für die Protestbewegung zu sein.“ Das Volk benötige klare Worte, niemand, der sich rausreden könne. Einflussreiche Menschen, die sich positionieren. Und deshalb hat Amin für die Heldendarstellung in den internationalen Medien auch keinerlei Verständnis. (rnd)