Die übertragende ARD zeigte beim Drama um die deutsche Elf Stärken und Schwächen, hatte aber in Bastian Schweinsteiger und Esther Sedlaczek zwei herausragende Figuren.
TV-Kritik zur ARD-Übertragung„Wo bleibt das Feuer, wo ist die Gier?“
Zu später Stunde sendete die ARD am Donnerstagabend noch einen WM-Kehraus, in dem Claus Lufen eine Runde über das etwas weit gefasste Thema „Fans im Fußball“ diskutieren lassen sollte. Das passte grundsätzlich ganz gut zur WM in Katar, die hierzulande nach dem in diesen Momenten noch sehr frischen Aus der deutschen Elf soeben auch jene Fans verloren hatte, denen sie nicht ohnehin schon egal gewesen war. So ging es also noch einmal um die Skrupellosigkeit der Fifa, die ganze elende Inszenierung und die Frage, ob nun tatsächlich alles auf der Welt käuflich sei.
Reporterglück hatten da die Kollegen, die vor dem längst verlassenen Stadion noch Bernd Hofmann vor die Kamera bekam. Der Präsident des FC-Bayern-Fanklubs Nabburg/Oberpfalz war als einer von 32 „Fan-Leadern“ auf offizielle Einladung der Organisatoren in Katar und äußerte sich entsprechend begeistert („toll!“) über das Turnier, dessen Besuch ihn keinen Cent gekostet hatte und das allein deshalb wohl noch gern hätte weitergehen können. Dass es nicht dazu gekommen war, schien den Fan nicht weiter zu wurmen. Während daheim die Leute entgeistert vor dem Fernseher saßen, berichtete Hofmann beinahe gerührt, wie Einheimische ihn zu Kaffee und Kuchen eingeladen hatten.
Bayern-Fanfunktionär preist Turnier in Katar
Um seinen Auftritt zu krönen, richtete er noch sinngemäß aus, dass die Arbeitsmigranten in Katar ja in gewisser Weise selbst schuld seien an ihrer Lage: Schließlich begäben die sich ja vor allem deshalb in ärmlichste Verhältnisse, weil sie 80 Prozent ihrer Einkünfte einfach nach Hause schickten, statt sie in Katar für Wohnkomfort und sanitären Luxus auszugeben. Gut, dass man daran noch einmal erinnert wurde.
Jetzt wären derlei Aussagen nicht weiter schlimm, allerdings steht Hofmann einem Fanklub des Rekordmeisters mit knapp 6000 Mitgliedern vor. Was allerdings wieder ins Bild passt: Karl-Heinz Rummenigge ist dort Ehrenmitglied und als guter Freund Katars bekannt. So weit geht die Freundschaft, dass Rummenigge vorbestraft ist, weil er einst versuchte, zwei Luxusuhren nach Deutschland zu schmuggeln, die er in Katar von einem „Freund“ „geschenkt“ bekommen habe. Die durchaus aktiv-kritische Fanszene des FC Bayern wird angesichts des Auftritts eines ihrer Fanfürsten jedenfalls an die Decke gegangen sein. Wenn sie angesichts der Münchner WM-Leistungen im DFB-Trikot nicht ohnehin längst dort waren.
Lufen hatte Ewald Lienen zu Gast, der bei der Trauerarbeit half. Zu frisch war das Aus der deutschen Elf, um allzu allgemein zu werden und einfach zu sagen: „Fußball ist sowieso doof und die WM in Katar erst recht.“ Das wäre zwar richtig, angesichts des epochalen Aus der deutschen Mannschaft aber zu wenig gewesen. Und so wetterte der frühere Profi und Trainer über eine DFB-Auswahl, die in Testspielen nicht leistet und bei Turnieren neuerdings nicht mehr in der Lage ist, genügend Entschlossenheit aufzubringen, um wenigstens über 90 Minuten halbwegs professionell den eigenen Strafraum zu verteidigen. Da war Lienen, ein erprobter Kritiker, eine wohltuende Stimme.
Gerd Gottlob hatte die Partie zuvor kommentiert. Nach Gnabrys früher Führung wirkte Gottlob arg beruhigt und kommentierte entsprechend, was auch daran lag, dass Deutschland dominierte. Dennoch verkrampften viele Fans schon in der ersten Hälfte. Deutschland hätte viel höher führen müssen und wollte das auch: In den Reaktionen der Spieler nach der Partie war deutlich zu hören, dass sich die Mannschaft durchaus den Plan B hingelegt hatte, Costa Rica mit sieben Toren Differenz zu schlagen für den Fall, dass Spanien gegen Japan versagt. Angesichts der Spieldaten wäre das möglich gewesen, doch Flicks Mannschaft spielte nicht konsequent genug – es hätte frühe Anlässe gegeben, ein Drama kommen zu sehen. Doch Gottlob schwieg dazu.
Erst um die 50. Minute äußerte Gottlob erste Bedenken – da hatte Japan bereits ausgeglichen, Deutschland brauchte nun einen Sieg mit zwei Toren Differenz. „Was die da gerade zulassen, ist einigermaßen beängstigend. Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich des Ernsts der Lage bewusst sind“, sagte Gottlob – und war selbst eher spät dran mit dem Erkennen des Ernsts.
Dafür drehte der Mann am Mikrofon umso mehr auf, als Japan in Führung ging und Costa Rica ausglich – und sogar zum 2:1 traf. „Deutschland taumelt“, sagte Gottlob und untertrieb deutlich in diesen Momenten.
Kurioserweise fiel er anschließend vollends über die DFB-Auswahl her, setzte an zur Generalabrechnung und sprach plötzlich über das verpatzte Spiel gegen Japan, während Deutschland auf dem Rasen gerade die Partie drehte und innerhalb einer Viertelstunde aus einem 1:2 ein 4:2 machte. In diesen Momenten war die deutsche Mannschaft nur ein spanisches Tor entfernt von einem furiosen Comeback. Die Welt hätte Flick und seine Männer gefeiert.
Aber es kam dann anders, wenngleich die Partie gegen Costa Rica es eigentlich nicht hergab, die DFB-Elf im Live-Kommentar derart zu vernichten. Doch das Resultat gab Gottlob so gerade noch recht. Wenngleich er hier und da über das Ziel hinausgeschossen war.
Zumal am Spielfeldrand Bastian Schweinsteiger wartete, der damit mit Esther Sedlaczek zur rechten Zeit am rechten Ort war. Die Autorität eines Weltmeisters in Kombination mit Sedlaczeks Professionalität, führte zu herausragenden Fernsehmomenten. Er habe darauf gewartet, „dass es mal scheppert. Wo bleibt das Feuer, wo ist die Gier?“, fragte Schweinsteiger verzweifelt – und mit berührender Ehrlichkeit ging er seine Analyse an: „Den spielst du doch da nicht hin!“, sagte er an David Raum gerichtet, „das darf nicht passieren, das ist ganz, ganz schlecht.“
Schweinsteiger attackiert Bierhoff
Schweinsteiger nahm im Duett mit Sedlaczek zunächst Hansi Flick, anschließend aber vor allem Oliver Bierhoff in die Mangel. Wären diese Gespräche entscheidend gewesen über die Frage, ob die Herren Flick und Bierhoff weiter das Schicksal der Nationalelf verantworten sollten, wäre zumindest für Bierhoff die Reise nach 18 Jahren beim DFB zu Ende gewesen. Der DFB-Direktor versuchte mit absurden Einlassungen, Sedlaczeks und Schweinsteigers Fragen zu entkommen („Man muss auch die 14 Jahre vor 2018 sehen!“), während Flick zwar das Versagen einräumte, grundsätzlich aber entschlossen schien, in anderthalb Jahren bei der EM einen neuen Anlauf zu unternehmen.
Schweinsteiger ließ bei aller Härte zum Schluss noch durchblicken, dass er durchaus mitfühlte mit dem Mann, der beim WM-Titel 2014 Löws Assistenztrainer gewesen war. Und schloss, während Flick neben ihm stand und sehr klein aussah: „Der Hansi hat jetzt nicht so viel falsch gemacht.“
Das war dann ein irgendwie sehr trauriger, aber angenehm menschlicher Augenblick an einem bitteren Abend für den deutschen Fußball.