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Kommentar

WM-Kolumne „Wir schauen hin“
Der größtmögliche Spagat

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Das WM-Maskottchen schwebt über die Bühne bei der WM-Eröffnungsfeier in Katar.

Das WM-Maskottchen La'eeb überstrahlte alles bei der Eröffnungsfeier.

Das ZDF musste zum Auftakt der WM die Balance zwischen Sport- und Politikberichterstattung finden. Lesen Sie den ersten Teil unserer WM-TV-Kolumne „Wir schauen hin“.

Der ganze Irrsinn dieser Fußball-WM lässt sich an der „One Love“-Binde festmachen, über die seit Tagen gestritten wird. Auch zum Auftakt des Turniers in Katar war sie am Sonntagnachmittag im ZDF-Studio in Mainz Thema.

Wird Manuel Neuer mit der Binde, die zwar bunte Farben, aber eben nicht den Pride-Regenbogen zeigt, der für die LGBTG+-Community steht, am Mittwoch im ersten deutschen Spiel antreten? Wie wird die Fifa reagieren? Gibt es eine gelbe Karte für den deutschen Kapitän? Fragen über Fragen. Christoph Kramer zumindest hatte irgendwann keine Lust mehr auf die Diskussion: „Was soll das Affentheater? Er soll die Binde tragen.“ Das sei ja nicht mal ein politisches Statement.

Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, musste dieses Thema und viele andere im Gespräch mit Katrin Müller-Hohenstein und Jochen Breyer einordnen. Aber was sollte der Mann tun, außer gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass Menschenrechte universell sind und ein Turnier in einem Land, das diese permanent mit Füßen tritt, ein Problem ist?

Selbst Mädchen, die Fußball spielen, sind der Fifa zu heikel

Jeder, der über diese WM berichtet, steht vor dem Dilemma, den Spagat bewerkstelligen zu müssen zwischen politischer Einordnung der Ereignisse und Sportberichterstattung. Das ZDF versuchte ihn zu meistern, indem gleich zu Beginn Korrespondentin Golineh Atai noch einmal die Motivation Katars erläuterte. Und so ging es weiter.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf musste später ernsthaft die Frage beantworten, wie er denn zu den Äußerungen des katarischen WM-Botschafters über Homosexualität stehe. Völlig überraschend distanzierte er sich von der Aussage, sie sei der Ausdruck eines geistigen Schadens. Und natürlich war auch die völlig irre Pressekonferenz des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino nochmal Thema.

Amelie Stiefvatter sprach in Doha mit einer Nationalspielerin, die Mädchen für Fußball begeistern will. Doch selbst die Bilder von deren Training waren der Fifa zu heikel. Die Dreharbeiten mussten abgebrochen werden, hinterher lud die Fifa eigene Hochglanzbilder vom Frauenfußball hoch. Sven Voss, der aus dem deutschen Quartier zugeschaltet wurde, berichtete vom Treffen der Nationalmannschaft mit Nachwuchsspielerinnen. Ein tolles Gruppenfoto habe das gegeben. Das klang dann doch arg gönnerhaft.

Die Fußball-Experten im Studio – Christoph Kramer, Per Mertesacker und Martina Voss-Tecklenburg – waren sichtlich bemüht, sich auf das Fußballerische zu konzentrieren. Das war beim Auftaktspiel bloß leider äußert dürftig. Noch nie zuvor hatte ein Gastgeber zum WM-Auftakt verloren, diese Serie hat Katar nun unterbrochen. 0:2 unterlagen sie Ecuador. Und auch wenn man als FC-Fan ja einiges gewohnt ist, war dieses Spiel eine unendlich zähe Angelegenheit.

Das Stadion leerte sich in der zweiten Halbzeit

Béla Réthy moderierte sowohl die Eröffnungsfeier als auch das Spiel mit der Routine von mittlerweile zehn Weltmeisterschaften weg. Als ein Walhai, der „größte Hai der Gegenwart“ in einem Einspieler zu sehen war, kommentierte er trocken: „Und da reden wir zur Abwechslung mal nicht über die Fifa.“ Und wenn Hollywood-Star Morgan Freeman darüber philosophierte, dass ja jeder in Katar willkommen sei, brauchte es auch keine Einordnung mehr. Der Irrsinn lag auf der Hand. Ansonsten taten Réthys Kommentare manchmal weh und selten gut.

Hat sich die Entscheidung WM statt Weihnachtsmarkt also gelohnt oder nicht? Stimmung oder Vorfreude kam zu keinem Zeitpunkt auf. Das lag an allem – politische Umstände, Spiel, Jahreszeit. Und auch im ZDF-Studio in Mainz war die Stimmung eher dürftig. Das Stadion in Doha leerte sich übrigens schon in der zweiten Halbzeit zu großen Teilen. Kein gutes Omen für ein Turnier, auf das ohnehin kaum jemand gewartet hat.