AboAbonnieren

Tennis und Corona„Eine Rückkehr zur Normalität sehe ich nicht ohne einen Impfstoff"

Lesezeit 5 Minuten
5FA1BC0061420F7E

Turnierdirektorin Barbara Rittner

  1. Bundestrainerin Barbara Rittner spricht im Interview über die Einladungsturniere in Berlin vor stark reduziertem Publikum.
  2. Die Turnierdirektorin lobt des Verhalten der Top-Stars in Deutschland als „Imagekorrektur“ für das Tennis.
  3. Eine ordnungsgemäße Austragung der US Open kann sich die Kölnerin nicht vorstellen.

Frau Rittner, wie lautet ihr Fazit nach dem ersten von zwei Tennis-Einladungsturnieren mit Corona-Hygiene-Konzept vor Zuschauern in Berlin?

Alles hat wunderbar geklappt, obwohl es sehr aufwendig und anstrengend war. Die Spielerinnen und Spieler haben sich sehr professionell an die Regeln unseres 59-seitigen Hygiene-Konzeptes gehalten. Es war ja eine sehr ungewohnte Situation für Profis der Weltklasse. Jeder durfte zwei Personen um sich haben, einen Trainer und einen Physiotherapeuten. Alle wohnten in einem Hotel auf demselben Flur. Sie haben auch alle anstandslos unseren Wunsch befolgt, ihr Essen im Hotel einzunehmen und nicht auszugehen, obwohl Berlin einiges zu bieten hat.

Denken Sie, dass Sie damit das Bild von den ausgelassen und verantwortungslos feiernden Tennis-Profis auf der Adria-Tour von Novak Djokovic mit den anschließenden positiven Tests korrigieren konnten?

Ich glaube und hoffe doch, dass wir hier ein wenig Image-Korrektur für das Tennis betreiben konnten. Allen, die hier angereist sind, war vorher klar, dass es auch darum ging, der Welt zu zeigen, dass es die Tennisfamilie in der Corona-Zeit besser machen kann. Deshalb haben sich alle Spielerinnen und Spieler ohne mit der Wimper zu zucken dem Hygiene-Konzept unterworfen, obwohl das von allen Anstrengungen erfordert hat. Ich selbst war als Turnierdirektorin auch noch nie in einer solchen Situation. Ich hatte die Maske noch nie so oft auf wie in den letzten Tagen. Mit voller Überzeugung. Alle hier haben einen tollen Job gemacht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie waren Sie mit der Zuschauerresonanz zufrieden? Die Karten waren mit 120 bis 150 Euro eher teuer.

Volle Reihen sind natürlich unmöglich, wenn man eine Kapazität von 800 Zuschauern in einem 5000 Menschen fassenden Stadion hat. Am Montag hatten wir immerhin 500 Zuschauer, am Dienstag, als Dominic Thiem gespielt hat, waren es schon 800, und wir durften keine mehr hineinlassen. Aber selbst eine hundertprozentige Auslastung an allen Tagen hätte uns noch keinen Gewinn beschert. Darum ging es uns auch nicht, denn wir wollten zeigen, dass man Spitzen-Tennis auf Rasen auch unter diesen Bedingungen präsentieren kann. Im Nachhinein müssen wir allerdings sagen, dass die Preise gerade bei der Kombination Corona und Ferien wohl ein wenig zu hoch waren. Das werden wir nächstes Jahr korrigieren.

Sind die Turniere in Berlin ein Hinweis auf die Machbarkeit von größeren Events wie zum Beispiel den US Open, die von 31. August bis 13. September in New York gespielt werden sollen?

Das eine ist mit dem anderen nicht vergleichbar. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie das in New York funktionieren soll. Wir hatten hier Felder von zwölf Mann und dennoch alle Hände voll zu tun. Bei einem Grand-Slam-Turnier sind in den Hauptfeldern 128 Spielerinnen und Spieler am Start, also insgesamt 256, die alle noch Trainer und Physiotherapeuten dabei haben. Auch wenn sie dort viel mehr Helfer und Möglichkeiten haben, weiß ich nicht, wie das funktionieren soll. Und das bei einem Infektionsgeschehen wie in den USA. Wenn es da positive Tests gibt, dann bricht alles wie ein Kartenhaus zusammen. Ich wünsche mir, dass sie Glück haben und es funktioniert, aber mir fehlt einfach die Fantasie dafür.

GYI_1256119206

Finalist Matteo Berrettini in Berlin

Top-Spielerinnen wie Angelique Kerber und Elina Svitolina haben gesagt, dass sie mit dem Gedanken spielen, nicht nach New York zu fliegen.

Ich kann das verstehen. Wenn ich eine Spielerin wäre, die finanziell unabhängig ist, dann würde ich auch nicht zu den US Open fliegen.

Wann wird das Welttennis zur Normalität zurückkehren können?

Ohne wirksamen Impfstoff sehe ich das nicht. Wir waren mutig hier und haben in Zusammenarbeit mit Politik und lokalen Behörden gezeigt, dass in einem Land wie Deutschland ein Einladungsturnier möglich ist. Wir stellen unser Hygienekonzept gern anderen Veranstaltern zu Verfügung. Aber das richtige Tennis um Preisgelder und Weltranglistenpunkte ist ein globaler Sport, und so lange nicht auf der ganzen Welt ähnliche Voraussetzungen herrschen, wird eine Rückkehr zur Normalität nicht möglich sein. Ich nenne hier das Beispiel von Ashley Barty, der Nummer eins des Frauentennis. Sie sitzt derzeit im Lockdown von Melbourne in Australien, der noch über einen Monat dauern wird, und kann nicht ausreisen. So lange das die Realität ist, wird es meiner Meinung nach keine Rückkehr zum weltweit normalen Tennis geben können.

In Berlin wurde Tennis gespielt. Wie bewerten Sie das sportliche Niveau?Die Spieler und Spielerinnen hatten nur wenige Trainingseinheiten auf Rasen. Und Rasen spielt sich sehr speziell. Normalerweise bereiten sie sich wesentlich intensiver auf einen neuen Untergrund vor. Dafür hatten die Leistungen eine hohe Qualität, auch unter dem deutschen Blickwinkel. Jan Lennart Struff ist ganz knapp gegen Roberto Bautista Agut, die Nummer zwölf der Welt, gescheitert. Tommy Haas hat mit seinen 42 Jahren gegen das italienische Top-Talent Jannik Sinner eine unglaubliche Leistung gezeigt. Da hatte ich vorher noch gedacht: Was tut er sich da an? Andrea Petkovic hat gegen Petra Kvitova, eine der besten Rasen-Spielerinnen der Welt, nach guter Leistung verloren. Und Julia Görges ist in ihrem Spiel gegen Anastasija Sevastova leider umgeknickt und musste aufgeben. Gott sei Dank ist die Verletzung nicht so schlimm. Das waren Leistungen, die Mut machen.