Bayer 04 rettet gegen den VfB Stuttgart in der 96. Minute ein 2:2 und sucht nach Erklärungen für die vielen späten Tore.
Leverkusens unheimliche Comeback-Qualität„Es gibt keine Erklärung, warum es schon wieder passiert ist“
Die Unbesiegbarkeit schien Xabi Alonso schon fast unangenehm. Beim neuerlichen Wahnsinn in der Nachspielzeit verzichtete Bayer 04 Leverkusens Trainer auf einen 50-Meter-Jubelsprint, wie der Baske ihn zuletzt gezeigt hatte. Auch gab es keine Luftsprünge mit geballter Faust. Am Samstagabend, als Robert Andrich in der 96. Minute den 2:2-Ausgleich gegen den VfB Stuttgart erzielt hatte und die Rekordserie des Werksklubs auf 46 Spiele ohne Niederlage wuchs, stand Xabi Alonso nur ungläubig vor seiner Coachingzone und schüttelte den Kopf – während um ihn herum Leverkusener Spieler, Betreuer und Offizielle förmlich ausflippten vor Freude.
Xabi Alonso hat keine Erklärung
„Es gibt keine Erklärung, warum es schon wieder passiert ist“, sagte Leverkusens Meistertrainer über den 16. Pflichtspieltreffer seiner Mannschaft in dieser Saison ab der 90. Minute. Er habe das „verrückte Ende“ nicht glauben können. „So etwas gibt es im Fußball nicht oft“, so Xabi Alonso. Außer bei Bayer 04 Leverkusen. Dort gibt es so etwas regelmäßig. Es sei „unglaublich“, sagte Kapitän Lukas Hradecky, „der Wahnsinn geht weiter. Und unser Glaube geht nie aus“. Bayer 04 muss noch die verbleibenden Partien in Frankfurt (5. Mai), in Bochum (12. Mai) und vor der Übergabe der Meisterschale daheim gegen Augsburg (18. Mai) schadlos überstehen, um als erster Bundesligist eine Saison ohne Niederlage zu absolvieren. „Das ist unser Ziel“, sagte Xabi Alonso.
Auf dem Weg dorthin war der VfB Stuttgart die erwartet schwere Hürde. Wie schon im Hinspiel (1:1) und beim späten Leverkusener Triumph im DFB-Pokal-Viertelfinale (3:2) agierten die Schwaben mindestens auf Augenhöhe. Alle drei Duelle würden sich in einer Top-10-Rangliste der besten Saisonspiele wohl auf vorderen Plätzen wiederfinden. Und der VfB hätte sich mindestens einen Sieg gegen Bayer 04 verdient. Doch dank der unheimlichen Comeback-Qualitäten des Werksklubs kam es anders.
Jonathan Tah zur Pause raus – Bayer 04 will kein Risiko eingehen
Nach einer ausgeglichenen ersten Halbzeit markierte die Auswechslung von Jonathan Tah zur Pause einen Knackpunkt im Spiel von Bayer 04 – ohne den Abwehrchef, der einen Schlag abbekommen hatte und zur Sicherheit in der Kabine blieb – wurde es kurzzeitig chaotisch in Leverkusens Hintermannschaft. Chris Führich (47.) und Deniz Undav (56.) nutzen die Lücken und brachten den VfB 2:0 in Führung. Einmal mehr schien es, als könnte die Rekordserie nun ein Ende finden. Doch bis in die Köpfe der Bayer-Profis schaffte es dieser Gedanke nicht. Amine Adlis 1:2 (61.) war der Auftakt zur Schlussoffensive. „Mit einem Tor in Rückstand will momentan kein Gegner gegen uns spielen. Die wissen, dass wir irgendwann kommen“, sagte Hradecky.
Zwar fiel die Druckphase weniger überlegen aus als in anderen Spielen. Dazu hatte Stuttgart diverse Chancen aufs 3:1. Bei Bayer 04 läuft dieser Tage allerdings alles zusammen: Können, Wille und Glück. So gelang Andrich in der „letzten letzten Minute“ (Xabi Alonso) oder der „Nachspielzeit der Nachspielzeit“ (Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß) im Anschluss an einen Freistoß von Florian Wirtz das 2:2. Andrich, der wenige Stunden zuvor zum zweiten Mal Vater geworden war, stürmte jubelnd in Richtung Eckfahne und verletzte sich beinahe. „Eigentlich denkt man, die Strähne ist irgendwann vorbei. Aber es scheint ja kein Zufall zu sein, sondern einfach purer Wille“, sagte der Nationalspieler. Sein Kapitän Hradecky bezog einen weiteren Faktor mit ein, „50:50 zwischen Qualität und Glück“.
Bayer 04 Leverkusen hat Glück bei zwei Schiedsrichter-Entscheidungen
Mit Sicherheit hatte Bayer 04 an diesem Samstagabend Glück bei einigen Entscheidungen von Schiedsrichter Felix Zwayer. In der ersten Halbzeit hätte der Unparteiische Odilon Kossounou nach einem Ziehen und anschließenden Schubser gegen Undav mit Gelb-Rot vom Platz stellen können, beließ es für das Doppel-Vergehen aber bei einer Verwarnung. Und vor dem späten Ausgleich hatte Victor Boniface seinen Gegenspieler beherzt weggedrückt. Über die Entscheidung Stürmerfoul hätte sich Bayer 04 nicht beklagen können – doch ein klarer Fehler Zwayers war es nicht. Weshalb Bayer 04 unbesiegt bleibt.
Und mit dem Wissen einer für jeden Gegner beängstigenden Comeback-Stärke am Donnerstag in der Europa League zum Halbfinal-Hinspiel bei der AS Rom antritt (21 Uhr/RTL).