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NachwuchskonzeptBayer 04 will den 1. FC Köln im Kampf um Talente wieder überholen

Lesezeit 5 Minuten
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Kai Havertz im Jahr 2016 nach einem Tor gegen Düsseldorf im Kreis der B-Junioren.

  1. Der Werksklub hatte außer Kai Havertz zuletzt kaum Jugendspieler im Profi-Team.
  2. Der Jugendbereich erhält einen Direktor, mehr Scouts und ein Spielkonzept.
  3. Die Nachwuchstrainer werden in einer eigenen Akademie ständig weiterentwickelt.

Leverkusen – Es vergeht kein Tag in diesem Sommer, ohne dass der Name Kai Havertz im Zusammenhang mit Gerüchten und Mega-Summen wie 100 Millionen Euro fällt. Das ist Teil eines Geschäftes, in dem Bayer 04 Leverkusen den Jackpot knacken wird. Ganz gleich, welchem Klub sich der Hochbegabte anschließen wird, sein Ausbildungsverein streicht eine deutsche Rekordtransfersumme ein und kann sie in weitere Transfers investieren.

Allerdings bedeutet das nicht, dass beim Werksklub Zufriedenheit mit der eigenen Nachwuchsarbeit herrscht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ergebnisse der letzten Jahre haben den Verantwortlichen nicht mehr genügt. Seit 2016, als die B-Junioren mit Havertz Deutscher Meister wurden, hat keine Nachwuchsmannschaft mehr um den nationalen Titel gespielt.

Als die Jugend-Saison wegen der Corona-Pandemie abgebrochen wurde, belegten die A-Junioren in der Bundesliga West nur Platz vier, die B-Junioren Platz fünf und die U 15 lag in der Regionalliga gar nur auf Rang zehn. Deshalb hat Bayer 04 seine Nachwuchsabteilung am 1. Juli neu strukturiert. Der ehemalige Bundesliga-Spieler und Sport-Manager Thomas Eichin (Kölner Haie, Werder Bremen, 1860 München) wurde „Leiter Nachwuchs“.

Gleichzeitig installierte der Bundesliga-Klub eine eigene „Trainer-Akademie“, deren Chef Helmut Jungheim wird, der vormalige Leiter des Nachwuchsleistungszentrums. Diese Maßnahmen gehen maßgeblich auf die Initiative von Simon Rolfes zurück, der drei Jahre nach Beendigung seiner Laufbahn als Profi und Bayer-Kapitän 2018 eine neu geschaffene Funktion namens „Leiter Jugend und Entwicklung“ in Leverkusen übernahm. Wie man weiß, blieb er das nur ein halbes Jahr lang, weil ungeplant schnell die Beförderung zum Sportdirektor erfolgte. Aber die Erkenntnisse aus dieser Zeit haben Rolfes geholfen, um zur Einsicht zu gelangen: „Wir müssen die Ansprüche an uns selbst im Bereich Nachwuchsarbeit erhöhen.“

Das Jahrhundert-Talent ist kein Maßstab

Das Jahrhundert-Talent Havertz, laut Geschäftsführer Rudi Völler „der beste Spieler, der je das Bayer-Trikot trug“, hätte überall und unter fast allen Umständen den Aufstieg geschafft. „Man hätte ihn vielleicht nur verhindern können, wenn man ihm ein Jahr den Ball weggenommen hätte“, sagt Simon Rolfes. Bayer 04 war aber insgesamt von Klubs wie dem 1. FC Köln überholt worden, der in den vergangenen Jahren in der Ausbildung vorbildlich gearbeitet hat. Die Saga von der Leverkusener Nachwuchsarbeit, die den anderen immer um Längen voraus sei, war längst von den Fakten entkräftet worden. Bevor Simon Rolfes kam, hatte Bayer 04 zwei hauptamtliche Scouts für den Jugendbereich beschäftigt, viel weniger als die Konkurrenz. Inzwischen wurde personell aufgerüstet.

Die Neuordnung erfolgt mit klaren Prinzipien. Erstens: Alle Mannschaften im Nachwuchs sollen im Geist des Fußballs ausgebildet werden, den die Profis unter Peter Bosz spielen. „Es geht hier weniger um Spielsysteme als um den Grundgedanken und die Haltung unseres Spiels, das auf Ballbesitz, Offensive und Kombinationsfußball ausgerichtet ist“, sagt Rolfes.

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Sportdirektor Simon Rolfes

Damit diese Philosophie des Spiels jede Mannschaft, jedes Kind und jeden Jugendlichen im Bayer-Trikot erreicht, werden die Trainer in der eigenen Akademie permanent geschult. Man will die Ausbildung nicht alleine dem Deutschen Fußball-Bund mit B-Schein, A-Schein und Fußballlehrer-Lizenz überlassen. „Diese Qualifikationen sind immer eine einmalige Sache und bilden die Basis der Ausbildung und Weiterbildung eines Trainers“, sagt Rolfes.

Fußballerisches Talent ist mittlerweile ein solch begehrter Rohstoff geworden, dass die großen Klubs mit allen Mitteln versuchen, ihn zu finden, zu fördern und zu entwickeln. Am aggressivsten praktiziert das seit etwa zwei Jahren der FC Bayern München, der eine Jugendakademie mit 70 Plätzen aus dem Boden gestampft hat und Talent für viel Geld aus dem In- und Ausland heranschafft. Neue Lahms, Schweinsteigers und Müllers werden darunter aber kaum sein, weil der Platz für den lokalen Nachwuchs dadurch immer weiter schwindet. Bayer 04 will einen anderen Weg gehen. „Unser Fokus liegt immer zuerst auf der Region“, erklärt Rolfes und meint damit den Einzugsbereich Rhein/Ruhr. Hier herrscht jedoch eine permanente Konkurrenz mit Großklubs wie dem 1. FC Köln, Borussia Mönchengladbach, Schalke 04 und Borussia Dortmund.

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Nirgendwo in Deutschland werden Talente heftiger umworben. Dass es möglich ist, dem Nachbarn ein fast 17-jähriges Spielgenie wegzuschnappen, wie es Bayer 04 im Fall Florian Wirtz mit dem 1. FC Köln getan hat, kommt nicht mehr so oft vor. Wirtz hatte auch Top-Angebote von Bayern München und Borussia Mönchengladbach vorliegen und hätte den FC auf jeden Fall verlassen. Inzwischen spielt er schon fest bei den Leverkusener Profis mit.

Vorbild A-Jugend 2007

Alle bei Bayer 04 wissen, dass dies keine Ausbildungsleistung ist, wie sie durch das neue Konzept garantiert werden soll. Diese Idee soll anders funktionieren. „Wir glauben, dass es durch intensive Arbeit auf höchstem Level möglich ist, talentierte junge Spieler zu guten Bundesliga-Profis zu machen, auch wenn sie nicht Kai Havertz heißen“, meint Simon Rolfes und erinnert sich dabei vor allem an die Leverkusener A-Junioren, die 2007 im Finale gegen den FC Bayern München (mit Thomas Müller und Toni Kroos) Deutscher Meister wurden. Aus dieser Mannschaft gingen Stefan Reinartz, Jens Hegeler, Bastian Oczipka, Marcel Risse und Richard Sukuta-Pasu hervor, deren Profi-Karrieren wie bei Risse (Köln) und Oczipka (Schalke) in der Bundesliga noch andauern. „Hier hat man gesehen, was möglich ist, wenn sie ein oder zwei Jahrgänge auf hohem Niveau anstacheln“, sagt Rolfes. Das individuelle Modell der Gastfamilien für Talente, die ihre eigenen Familien verlassen, will Bayer 04 beibehalten. „Für uns passt das besser als eine 70-Mann-Akademie“, sagt Rolfes, „wir wollen individuell auf höchster Ebene ausbilden. Wir sind da hoch ambitioniert, aber wir vergessen nie, dass wir es mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben.“