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Interview

Bayer 04
Robert Andrich: „Jetzt schon vom Titel zu sprechen, wäre absurd“

Lesezeit 5 Minuten
Robert Andrich von Bayer 04 Leverkusen im Spiel gegen den VfB Stuttgart.

Robert Andrich von Bayer 04 Leverkusen im Spiel gegen den VfB Stuttgart.

Der Führungsspieler von Bayer 04 spricht im Interview über die Rolle von Leverkusen, die Meisterschaft und die Nationalelf.

Herr Andrich, war der Urlaub lange genug, um wieder zu Kräften zu kommen – sich körperlich und mental zu erholen?

Länger geht immer. (lacht) Mir geht es körperlich sehr gut, aber für den Kopf war die Pause schon sehr, sehr wichtig.

Wie empfanden Sie die EM im Rückblick?

In großen Teilen schaue ich sehr positiv zurück, bin sehr stolz, dass ich ein Teil davon sein durfte und dass ich viel auf dem Platz stehen durfte. So konnte ich auch ein bisschen dazu beitragen, dass sich wieder eine schöne Stimmung entwickelt hat und auch eine Fußball-Euphorie aufkam. Die Leute haben der deutschen Nationalelf wieder gerne zugesehen, haben die Fahnen getragen und die Hymne lautstark gesungen. Das erfüllt einen mit Stolz, aber am Ende war es dann auch eine sehr große Enttäuschung. Wir waren so nah dran, vielleicht sogar näher am Sieg als die Spanier. Am Ende war das schon sehr bitter.

Man hat auch im Trainingslager von Bayer 04 in Donaueschingen gemerkt, dass unter den täglich rund 800 Zuschauern viele mit Nationalmannschaft-Trikots gekommen sind. Florian Wirtz, Jonathan Tah und Sie werden also nicht mehr nur als Leverkusener Spieler wahrgenommen.

Das habe ich schon im Urlaub gemerkt. Da hat sich schon etwas verändert. Die ganze Saison mit Leverkusen hat einen gewissen Hype erzeugt, medial und in den Sozialen Medien. Erst wurde nur noch Leverkusen thematisiert, dann hatten wir zusätzlich die Ehre, für unser Land spielen zu dürfen. Im Trainingslager war sicher nicht jeder Zuschauer Leverkusen-Fan, sondern manche kamen auch, weil sie begeistert waren von unserer Nationalmannschaft. In Leverkusen hat die vergangene Saison unheimlich viel bewirkt, es herrscht große Euphorie rund um unseren Klub.

Als wir vor einem Jahr im Trainingslager in Saalfelden zusammengesessen haben, waren Sie nach einem Fußbruch dabei, wieder richtig fit zu werden. Dann mussten Sie in der Hinrunde um Ihren Platz in der Mannschaft kämpfen. 2024 waren Sie dann Stammspieler im Klub, haben das Double gewonnen und die EM gespielt. Wie hat sich ihre Rolle seitdem geändert?

Grundsätzlich hat sich meine Rolle nicht großartig verändert. Natürlich habe ich in der Hinrunde damit zu kämpfen gehabt, dass ich verspätet aus meiner Verletzung zur Mannschaft gestoßen bin. Die Mannschaft hat in meiner Abwesenheit sehr, sehr stark performt und ich brauchte nach meiner Rückkehr ein bisschen, bis ich wieder meinen Rhythmus gefunden hatte. Jetzt ist es zum Glück so, dass ich direkt komplett bei der Mannschaft bin. Klar ist: Wir wollen wieder in allen Wettbewerben eine gute Rolle spielen und haben jetzt noch einen Spieler auf meiner Position dazu geholt. Wir haben also noch mehr Qualität. Schon in der letzten Saison hat Xabi (Alonso, Anm. d. Red.) viel rotieren lassen dafür brauchen wir jeden Einzelnen, Konkurrenz belebt das Geschäft.

Sie sprechen es an: Es ist auf der Sechserposition ein Spieler dazugekommen. Andrich, Xhaka, Palacios und jetzt noch Aleix Garcia – das klingt nach hartem Kampf um die beiden Plätze im Zentrum.

Ich habe die spanische Liga nicht so verfolgt, von daher kannte ich ihn vorher nicht als Spieler, aber man merkt schon, dass er vor allem auch als Typ gut in die Mannschaft passt. Er ist erfahren und war nicht umsonst Kapitän bei seiner Mannschaft. Er will auch auf dem Platz Kommandos geben. Er wird uns auf jeden Fall helfen.

Bei der Nationalelf: Robert Andrich (l) und Jonathan Tah.

Bei der Nationalelf: Robert Andrich (l) und Jonathan Tah.

Es gibt zwei Spiele mehr in der Ligaphase der reformierten Champions League. Die Gegner werden auch deutlich stärker als noch in der Europa League. Macht es das entspannter, zu wissen: Okay, wenn ich jetzt mal in der Liga gegen Heidenheim oder Augsburg aussetze, spiele ich eben gegen Manchester City oder Real Madrid?

Es ist schon etwas anderes, ob man Champions League oder Europa League spielt - da muss man ehrlich so sagen. Die Champions League ist das Non-Plus-Ultra. Aber trotzdem geht es ja darum, in allen Wettbewerben erfolgreich zu sein. Wir werden jetzt nicht einen Klub mit vermeintlich kleinem Namen unterschätzen, weil in drei Tagen ein Spiel in der Champions League ansteht. Das wird, es bei uns nicht geben, das kann ich versichern.

Wenn das Gedränge im Mittelfeld so groß ist: Sie haben ja auch noch eine zweite Position, in der Dreierkette im Zentrum – können Sie sich vorstellen, nun öfter dort zu spielen?

Es ist nie verkehrt, wenn man mehrere Positionen spielen kann, dann steigt die Chance, eingesetzt zu werden. Xabi hat seine Ideen für diese Position. Ich spiele gerne auch mal hinten, trotzdem ist meine Position hauptsächlich die Sechster Position.

Im Podcast mit Tommi Schmitt haben Sie nach dem Doublegewinn gesagt, dass die große Herausforderung wird, nach der vergangenen Saison das Level auch im Kopf zu halten. Welchen Eindruck haben Sie in dieser Hinsicht nach den ersten Trainingstagen?

Was sehr positiv ist: Keiner spricht mehr von der vergangenen Saison. Wir haben uns alle sehr gefreut, dass wir uns wiedergesehen haben und wir wissen, was wir zusammen geschafft haben, aber es wird überhaupt nicht mehr darüber gesprochen, es geht jetzt wirklich nur um die neue Saison. Der Trainer hat gesagt: Alles, was war, war großartig, aber es ist vorbei, wir wollen auch in der kommenden Saison wieder eine richtig gute Rolle spielen. Diese Einstellung spürt man in der Mannschaft. Es ruht sich keiner aus, weil Meister oder Pokalsieger geworden sind. Wenn ich das so beobachte, muss ich sagen: Energie und Intensität sind auf jeden Fall mindestens auf dem Niveau der Vorbereitung der vergangenen Saison.

Sinnbildlich war dafür vielleicht eine Szene, als es im Training darum ging, ob ein Schuss von Amine Adli hinter die Linie war oder nicht. Da waren auch Sie sehr lautstark in der anschließenden Diskussion involviert: Machen Sie das bewusst, um Sinne zu schärfen?

Nein, das ist nicht bewusst, das kommt schon aus meinem Inneren, von meinem Ehrgeiz – auch im Trainingsspiel. Wir haben viele Spieler, die das so verkörpern. Das ist eine unserer Stärken.

Wie muss die Zielsetzung lauten für die kommende Saison?

Die Zielsetzung lautet, wieder eine gute Saison zu spielen. Wir haben uns erarbeitet, dass wir zum Favoritenkreis zählen. Aber jetzt vom Titel zu sprechen, wäre absurd und das machen wir auch nicht. Aber natürlich wir wollen mindestens auf dem Niveau, das wir gezeigt haben, spielen. Auch mit der Champions League wollen wir es machen wie zuletzt, in wir denken in Blöcken. Erstmal geht es darum, einen sehr guten Start hinzulegen.

Sie wollen sicher auch, dass Julian Nagelsmann weiter anruft. In zwei Jahren steht eine WM an.

Julian weiß von jedem Spieler, den er jetzt auch lange bei der EM gesehen hat, wie er tickt und welche Qualitäten er hat. Und er kann natürlich auch einschätzen, warum man vielleicht mal nicht spielt, wenn gerade rotiert wird. Grundsätzlich ist es aber immer gut, wenn man viel spielt und vor allem auch gut spielt.

Sie haben sich während der EM die Haare pink gefärbt. Plötzlich wurde darüber diskutiert. Auch Ex-Nationalspieler Jens Lehmann fühlte sich berufen, dazu Kommentare abzugeben, sagte, vielleicht fühlen Sie sich als Frau. Wie empfanden Sie das?

Ich habe das alles wahrgenommen. Es ist mehr daraus geworden, als ich gedacht hätte. Dass Jens Lehmann so etwas sagt, ist für mich eine Frechheit. Dass er sich zu solchen Themen äußert, zeigt einfach, dass er nicht damit leben kann, nicht mehr im Gespräch zu sein. Also muss er irgendwo seinen Senf dazugeben.