Bergisel-SchanzeTournee-Schicksalsberg der Deutschen in Innsbruck
Köln – Es gibt wenige Gegenden in Innsbruck, von denen aus der 746 Meter hohe Hügel nicht zu sehen ist, der sich im Süden des viel befahrenen Stadtteils Wilten über die Stadt erhebt. Ihn zu erklimmen, ist auf dem einigermaßen befestigten „Panoramaweg“ möglich, erfordert aber eine Menge Kondition. Wenn nicht gerade eine Pandemie ist, wird jener Panoramaweg allerdings vor allem am 4. Januar eines jeden Jahres vieltausendfach von offenbar durch die Bank fitten Menschen erklommen, denn er führt hinauf auf den Bergisel und seine famose Schanze, entworfen von der berühmten irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid. Denn sie ist Station drei einer jeden Vierschanzentournee, also auch an diesem Dienstag wieder. Oben, im Aussichtsrestaurant des Schanzenturms, öffnet sich ein fabelhafter Blick auf die Stadt und die verschneite Nordkette – allein diese Aussicht das macht diese Anlage zu etwas besonderem.
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Hinzu kommen die Unwägbarkeiten, die an dieser für meteorologische Einmischungen ungeschützten Stelle immer mal wieder einen Skisprung-Wettkampf durcheinanderwirbeln können: Fön, heftiger Wind von allen Seiten, dazu ein verpatzter Anlauf und eine frühe Landung auf dem Aufsprunghügel, der über keinen Auslauf verfügt, sondern nur einen Gegenhang, auf dem die Springer mit ihren riesigen Ski kaum vernünftig zum Stehen kommen. Um die Anlage zu verlassen, müssen sie dann wieder hinunterfahren in den die Nähe des Aufsprungs. Dort ist der Ausgang.
Martin Schmitt vergab Chance auf Gesamtsieg
An diesem Ort sind Weltmeisterschaften entschieden worden, zwei Mal, 1964 und 1976, auch Olympische Spiele. Und seit nun bald 70 Jahren, früh im Januar, auch das dritte Springen der Vierschanzentournee, die seit 1953 existiert. Dort waren es zuletzt vor allem die deutschen Springer, für die dieser Berg ein Schicksalsberg wurde. Martin Schmitt etwa, der viermalige Weltmeister aus dem Schwarzwald, gewann im Winter 1999/2000 euphorisch umjubelt in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen. Er schien auf dem Weg zum großen Coup, ehe er in Innsbruck scheiterte, Platz 13, die Tournee war verloren.
Beispiele aus jüngerer Zeit gibt es ebenfalls. Markus Eisenbichler etwa lag vor drei Jahren nach Oberstdorf und Partenkirchen sehr aussichtsreich im Gesamt-Rennen, lediglich 3,3 Punkte trennten ihn von Ryoyu Kobayashi aus Japan, umgerechnet sind das weniger als zwei Meter. Doch während Kobayashi in Innsbruck gewann, verlor Eisenbichler als 13. der Tageswertung die Tournee. Eine ähnliche Situation ergab sich im Vorjahr für Karl Geiger – auch er verspielte am Bergisel mit Platz 16 alle Chancen auf den Tournee-Sieg.
Stefan Horngacher ließ Schanze untersuchen
Bundestrainer Stefan Horngacher hat sich nun vor diesem Winter dazu entschlossen, die Geheimnisse dieser mystischen Schanze springend und wissenschaftlich zu erkunden. Zunächst einmal durch eine Reihe von Lehrgängen vor Ort im Sommer. Die pure Spring-Masse sollte den Respekt vor der Anlage nehmen und zeigen, dass sie auch hohe Weiten zulässt. Mitreisende Forscher haben dort Kameras aufgestellt und Untersuchungen durchgeführt. Daraus ergab sich „nun kein wahnsinnig genauer Plan für den Bergisel, aber wir haben das Thema bewusst aufgegriffen“, sagt Horngacher. Und: „Wir haben versucht, uns technisch ein bisschen besser auf die Schanze abzustimmen. Wir wissen nun schon, wie wir auf dieser Schanze springen müssen und worauf es dort kommt ankommt.“
Das wussten deutsche Athleten immer mal wieder. Sven Hannawald im Januar 2002 ganz besonders, als er mit Schanzenrekord gewann und die Basis legte für seinen späteren Grand Slam mit Erfolgen auf allen vier Tournee-Anlagen. Oder Richard Freitag, der dort als letzter deutscher Springer 2015 siegte. Der aber 2018 auch schon mal nach der Landung stürzte, wie zwei Winter vor ihm Severin Freund.
Eisenbichler und Geiger feierten 2019
Schließlich Eisenbichler und Geiger, die bei der WM 2019 Gold und Silber im Einzel sowie die Team-Wertung gewannen – tatsächlich auf dem Bergisel in Innsbruck. Eisenbichler hat ein zwiespältiges Verhältnis zu der Anlage. Sie sei „knifflig“ wegen des „langen Anlaufs mit knackigem Radius“. Wenn aber die Bedingungen normal seien, dann „ist die Schanze wunderschön. Wenn du mit Aufwind da unten reingleiten kannst, ist das ein Traum.“ Einer, den er im ersten Trainingssprung am Montag ausleben konnte. Als er bei Aufwind 139 Meter weit segelte. Inoffizieller Schanzenrekord.