Bernd Neuendorf und Christos Katzidis attestieren den deutschen Sportstätten verheerende Zustände und stellen klare Forderungen an die nächste Regierung. Auch Köln erntet Kritik.
DFB und FVM„Fassungslos“, „beschämend“ – Fußball-Bosse sehen Breitensport in Gefahr
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DFB-Präsident Bernd Neuendorf (r.) und FVM-Chef Christos Katzidis im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“
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Herr Neuendorf, Herr Katzidis, die Bundestagswahl steht vor der Tür. Welche Erwartungen haben sie an die künftige Regierung?
Neuendorf: Derzeit ist es ja leider so: Egal, wo wir im Sport hinschauen, sehen wir eine Reihe von Defiziten, die adressiert werden müssen seitens der Verbände. Das ist unsere Aufgabe, dafür sind wir da. Viele Sportanlagen sind in einem bedauerlichen Zustand. Das betrifft Plätze und Vereinsheime, Turnhallen und Schwimmbäder, die teils in den 60er-Jahren gebaut und seitdem nicht oder nur notdürftig saniert wurden. Sanierungen, noch dazu solche, die den energetischen Standards entsprechen, kosten viel Geld. Das kann kein Spitzenverband, kein Landesverband und erst recht kein Amateurverein stemmen. Da benötigen wir die Unterstützung der öffentlichen Hand, der Kommunen, der Länder und des Bundes. Wir brauchen in Deutschland wieder eine Infrastruktur, die bei den Menschen Lust erweckt, Sport zu treiben.
Katzidis: Fußball hat durch seine Gemeinschaftlichkeit eine große soziale Komponente und leistet wichtige Integrationsarbeit, gerade in den Amateurvereinen und in Ballungsgebieten. Wir haben Vereine, die den Fußball als Kernphilosophie nutzen, um den Kindern eine Struktur zu geben und auf das Leben vorzubereiten, also die soziale Arbeit in den Vordergrund stellen. Wir erhoffen uns viel mehr Wertschätzung, Anerkennung und Respekt sowie konkrete Maßnahmen nach dem 23. Februar. Aktuell fühlt sich nur einer von fünf Ehrenamtlichen von der Politik ausreichend wertgeschätzt – da muss dringend etwas getan werden.
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DFB-Präsident Bernd Neuendorf (l.) und FVM-Chef Christos Katzidis beim Interview in der Sportschule Hennef
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Neuendorf: Das Problem beim Fußball ist mitunter, dass viele Menschen auf die 36 Erst- und Zweitligisten schauen und dabei die Basis aus dem Blick verlieren. Es entsteht der Eindruck, dass im System Fußball ausreichend Geld vorhanden sei und deshalb keine Steuermittel in diesen Bereich fließen dürfen. Was den Fußball ausmacht, sind aber nicht allein die Profiklubs, sondern insbesondere auch unsere rund 25.000 Amateurvereine. Die benötigen in der Tat jede Unterstützung. Nicht zuletzt, weil sie eine treibende Kraft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Integration und Inklusion sind. Wir haben multiple Krisen in der Welt und in Deutschland zu bewältigen. Und dennoch darf der Sport nicht vergessen werden. Weil er unser Gemeinwesen ein Stück weit zusammenhält und zur Demokratiestärkung beiträgt. Das muss in die Köpfe der Verantwortlichen rein.
Welche Ziele müssen aus ihrer Sicht im Koalitionsvertrag verankert werden?
Katzidis: Elementar ist, dass die Förderung für die Sportinfrastruktur massiv erhöht und der Stellenwert des Ehrenamtes verbessert wird – durch konkrete Maßnahmen, wie der „Sportmilliarde“. Es sind alle Ebenen in der Verpflichtung: Der Bund und die Länder können Geld zur Verfügung stellen, die Kommunen müssen Geld zur Verfügung stellen und handeln. Die meisten Kommunen sind Eigentümer der Sporteinrichtungen und daher in der Verpflichtung, diese zu sanieren. Aber sie tun es häufig nicht. Beim 1. FC Hardtberg, meiner fußballerischen Heimat in Bonn, sind die Umkleiden noch genauso wie vor über 40 Jahren. Das kann es nicht sein. In Köln gibt es nach meinem Kenntnisstand noch 51 bespielbare Aschenplätze – ein großer Nachteil für die Vereine.
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Bernd Neuendorf
Copyright: Uwe Weiser
Bernd Neuendorf (63) ist seit Frühjahr 2022 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), seit April 2023 ist er europäischer Vertreter im Fifa-Rat. Zuvor war Neuendorf Vorsitzender des FVM. Hinter dem gebürtigen Dürener liegt auch eine journalistische sowie politische Karriere in der SPD. U.a. war Neuendorf Landesgeschäftsführer in NRW und Staatssekretär im Ministerium für Familie, Kinder und Sport. (ckr)
Neuendorf: Die Bürokratie ist inzwischen so überbordend, dass sie meines Erachtens den Breitensport, der ganz überwiegend vom Ehrenamt getragen wird, gefährdet. Wenn ein Dorfverein in eine neue Flutlichtanlage investieren will, dann möchte niemand monatelang mit Behörden verhandeln, seitenweise Formulare ausfüllen und unzählige Auflagen erfüllen müssen. Das demotiviert Menschen, das lässt Engagement erlahmen. Das Ehrenamt ist aber ein Riesenschatz, den wir in Deutschland haben. Wir sollten alles dafür tun, dass der uns erhalten bleibt. Bürokratieabbau ist zwingend notwendig.
Katzidis: Das Ehrenamt muss dringend gestärkt werden, damit es wieder reizvoller wird. Das fängt mit einer Erhöhung und Dynamisierung der Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale an. Und geht weiter mit einer rechtlichen Möglichkeit zur Erhöhung des Fahrtkostenersatzes von 30 auf 40 Cent. Den Staat kostet das nichts, er muss nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern, damit Verbände und Vereine den Aufwand besser honorieren können. Dazu hoffe ich auf eine Reform der Sportstättenlärm-Verordnung. Zum Glück ist es kein Problem, wenn Kinder in der Kita Lärm machen. Aber aktuell wird es zum Problem, wenn die gleichen Kinder ein paar Stunden später Lärm auf dem Sportplatz machen. Das ist doch Irrsinn. Damit macht man den Kindersport kaputt.
Die Union möchte ein Staatsministerium für Sport und Ehrenamt schaffen, ähnlich dem Kulturstaatsministerium.
Neuendorf: Wir unterstützen das. Es ist überfällig, dass der Sport eine Stimme am Kabinettstisch erhält. Eine Sportstaatsministerin oder ein -minister würde für mehr Sichtbarkeit sorgen, alle sportpolitischen Themen wären an einer Stelle gebündelt. Das wäre ein Riesenvorteil.
Wie konnte es bei der Infrastruktur zu einem solchen Niedergang kommen?
Neuendorf: In vielen Bereichen ist in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig investiert worden. Straßen, Brücken und Schulen gehören dazu. Und eben auch der Sport. Es wurde schlicht zu wenig gebaut und die Instandhaltung vernachlässigt. Jetzt holt uns dieses Versäumnis ein. Es werden hohe Summen erforderlich sein, um wieder eine zeitgemäße und moderne Infrastruktur herzustellen. Wir sagen immer, Fußball sei die schönste Nebensache der Welt. Aber wir sollten trotzdem nicht als Nebensache behandelt werden. Wir müssen selbstbewusst sagen, dass der Fußball und der Sport eine sehr wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen und deshalb auch gefördert werden muss.
Friedrich Merz hatte kürzlich angekündigt, im Falle seiner Wahl zum Kanzler, den DFB zu bitten, „in der E- und F-Jugend wieder Fußballspiele stattfinden zu lassen, wo Tore geschossen werden dürfen“. Was denken Sie bei solch irreführenden Aussagen zur Reform des Jugendfußballs?
Neuendorf: Das gesamte Trainerteam beim DFB bis hin zu Julian Nagelsmann und Christian Wück steht voll hinter der Reform. Hannes Wolf, DFB-Direktor für den Nachwuchsbereich, wird nicht müde, die Vorzüge landauf, landab zu erläutern. Das neue Konzept sorgt für mehr Ballkontakte und ein besseres Verständnis für Raumaufteilung und Spielverlagerung auf dem Feld. Alle Kinder haben mehr Einsatzzeiten. Und Tore werden natürlich auch geschossen. Leistung und Ergebnisse sind zweifellos ein Bestandteil der Reform.
Katzidis: Ich wünsche mir, dass sich die Leute mit dem neuen System sachkundig auseinandersetzen. Durch die Reform entwickeln die Kinder viel mehr Spielwitz, Zweikampfstärke, Ballgefühl, Torinstinkt und Freude beim Fußball. In dem reformierten System gibt es weiterhin Gewinner und Verlierer.
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Christos Katzidis
Copyright: Uwe Weiser
Christos Katzidis (55) ist seit Sommer 2022 Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhein (FVM). Katzidis begann Anfang der 90er-Jahre seine Arbeit im Polizeidienst, war dort in verschiedenen Positionen tätig. 2009 trat Katzidis in die Bonner CDU ein und hatte seitdem unterschiedliche Ämter und Posten inne. Seit 2017 sitzt er für die CDU im NRW-Landtag, seine politischen Schwerpunkte sind innere Sicherheit, Bildung und Sport. (ckr)
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Polizei künftig Kosten für Einsätze bei Hochrisikospielen an die Vereine weitergeben darf. Herr Neuendorf, wie stehen Sie zu dem Urteil?
Neuendorf: Wir respektieren das Urteil natürlich. Aber es bleibt abzuwarten, ob andere Länder dem Bremer Modell überhaupt folgen werden. Es stellen sich viele Fragen an die Politik, auf die wir bisher keine Antworten haben. Was genau ist ein Hochrisikospiel? Wie hoch sollen die Gebühren ausfallen? Es zeichnet sich ab, dass es hierzu in den Ländern sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt.
Große Klubs, die schon jetzt in finanzieller Schieflage sind, könnte das Urteil also vor Probleme stellen.
Neuendorf: Unsere Position ist klar: Für viele Klubs – insbesondere auch in der Dritten Liga und der Regionalliga – wären zusätzliche Kosten kaum zu stemmen. Wir werden in den kommenden Wochen gemeinsam mit der DFL auf die Politik zugehen und unsere Position erläutern.
Katzidis: Aus meiner Sicht ist es problematisch, dass sich die Polizei mit der wirtschaftlichen Lage der Vereine auseinandersetzen müsste. Denn die Weitergabe der Kosten soll laut Urteil ja verhältnismäßig bleiben. Das ist ein enormer bürokratischer Aufwand für ohnehin schon oft überlastete Polizeibehörden. Es kann auch nicht sein, dass in den Bundesländern unterschiedliche Gebühren erhoben werden, wenn Klubs im Norden viel und Klubs in Bayern nichts zahlen müssen. Das würde den Wettbewerb deutlich verzerren. Daher kann es nach meinem Verständnis nur eine 16:0-Lösung geben. Oder es bleibt, wie es ist.
Wenn man sich den Kölner Haushalt 2025/26 in Bezug auf die Sportförderung anschaut, wird einem schlecht
Ist Köln eine Sportstadt?
Katzidis: Nein, ganz klar. Die politische Prioritätensetzung in Köln ist falsch. Das fängt mit den beiden öffentlich verfügbaren Haushaltsreden der Oberbürgermeisterin an. Da kommen zwei Wörter überhaupt nicht vor: Sport und Ehrenamt. Wenn man sich den Haushalt 2025/26 in Bezug auf die Sportförderung anschaut, wird einem schlecht. Die politische Prioritätensetzung in Köln muss eine andere werden. Geld ist in Köln vorhanden, es wird nur falsch eingesetzt. Das können wir insbesondere an Großprojekten in Köln erkennen. Und dann sollen im Sport 20 Millionen Euro gekürzt werden, dafür habe ich kein Verständnis. Durch so eine politische Prioritätensetzung leidet die Sozialarbeit, die unsere Vereine leisten und die Kinder. Anders zeichnet sich das Bild auf der Arbeitsebene. Die Zusammenarbeit mit dem Sportamt der Stadt Köln ist super, beispielsweise in Rahmen des Pokalfinales der Frauen und zuletzt bei der EM 2024. Doch eine Sportstadt sollte flächendeckend Breitensport ermöglichen, nicht nur Großsportveranstaltungen.
Neuendorf: Ich muss auch eine Lanze für Köln brechen. Das Pokalfinale der Frauen ist Jahr für Jahr ein großartig organisiertes Event, auch mit dem tollen Begleitprogramm auf den Jahnwiesen. Bei der EM im vergangenen Jahr war die Stadt ebenfalls sehr engagiert. Und man hat auch eine herausragende Bewerbung als potenzieller Spielort für die Frauen-EM 2029 abgegeben, für die sich der DFB beworben hat.
Die Stadt Köln müsste mehr Geld für den Sport ausgeben?
Katzidis: Ja, auch wenn die Haushaltslage angespannt ist. Wir haben im FVM steigende Mitgliederzahlen, wir haben immer mehr Aktive, insbesondere im Bereich der jungen Mädchen unter elf Jahren gibt es hohe Zuwachsraten. Die wollen Fußball spielen, dazu brauchen wir aber auch die Kapazitäten. Ich habe auf politischer Ebene nie verstanden, warum Vereine bei Problemen mit der Infrastruktur so lange hängengelassen werden. Wenn wir die Rechten in unserer Gesellschaft loswerden wollen, was hoffentlich von jedem ein Anliegen ist, dann muss die Politik spürbar Probleme lösen. Wenn ein Verein zwei Jahre auf eine Baugenehmigung für eine Überdachung wartet, dann sind die Menschen logischerweise gefrustet. So entsteht Staats-, Verwaltungs- und Politikverdrossenheit.
Was haben Sie gedacht, als es kurzfristig nach einem fast kompletten Investitionsstopp aussah?
Katzidis: Das wäre der Tod vieler Kölner Amateurvereine gewesen. Wenn die ohnehin schon maroden Gebäude noch schlechter werden, die Kinder nicht mehr duschen oder dort auf Toilette gehen wollen, dann muss man sich vorstellen, was das für ein Bild von der vermeintlichen Sportstadt Köln zeichnet.
Herr Neuendorf, Sie sind bundesweit viel unterwegs. Diese Probleme hat Köln aber nicht exklusiv?
Neuendorf: Nein. Mich macht es fassungslos, dass in den Ballungszentren unseres Landes – sei es in Köln, Hamburg, Berlin oder München – viele Jugendliche, die Sport treiben wollen, daran gehindert werden, weil es die Kapazitäten nicht gibt. Es kann nicht sein, dass wir Kindern, die Bewegungsdrang haben, nicht diese Möglichkeit bieten können. Das ist beschämend.