In einem Jahr werden die Spiele in Paris eröffnet. Daniel Müller, Chef des Olympiastützpunktes NRW/Rheinland, über die Aussichten der Sportler der Region.
Wer sind Medaillenhoffnungen für Paris?„Das Rheinland ist eine der stärksten Regionen bei Olympia“
Herr Müller, in einem Jahr werden die Olympischen Spiele in Paris eröffnet. Was ist von den Athletinnen und Athleten aus Köln und dem Rheinland zu erwarten?
Eine genaue Prognose ist kaum möglich. Aber grundsätzlich ist es so, dass das Rheinland in den letzten Jahrzehnten auch auf internationaler Ebene eine der stärksten Regionen war. Bei Olympischen und Paralympischen Spielen hatten wir immer einen überproportional großen Anteil an Teilnehmern und Medaillengewinnern.
Wie groß genau war der Anteil?
In Tokio waren wir mit 56 Teilnehmenden bei Olympia. Das entspricht 13 Prozent aller deutschen Sportlerinnen und Sportler. Sie haben sieben Medaillen geholt, 19 Prozent der gesamten Ausbeute. Bei den Paralympics waren es 29 Teilnehmende, 22 Prozent der deutschen Mannschaft. Sie haben 15 Medaillen gewonnen, 35 Prozent der Ausbeute. In Rio 2016 waren die Werte ähnlich. Die Medaillen-Tendenz ist im deutschen Sport ist in den letzten Jahrzehnten allerdings nicht positiv – das wird auch 2024 noch so sein. Aber es soll auch um etwas anderes als Medaillen gehen, wie zum Beispiel den Vorbildcharakter der Sportler.
Welche Athletinnen und Athleten aus der Region sind klare Medaillen-Kandidaten?
Da sind die Hockey-Nationalmannschaften der Herren und Damen zu nennen, mit vielen Stammkräften von Rot-Weiss Köln. Beim Judo erhoffen wir uns auch eine Medaille, dort sind immer viele Kölner vertreten, in Tokio waren es sieben von 13. Mieke Kröger trainiert in Köln, sie war bei den letzten Spielen Olympiasiegerin im Bahnrad-Vierer und hat in dem Jahr auch alle anderen internationalen Titel abgeräumt. Bei den Paralympics sind es vor allem die Leichtathleten vom TSV Bayer 04 wie Spinter Johannes Floors und Weitspringer Markus Rehm sowie Felix Streng, der in Köln wohnt.
Sie sind Chef des hiesigen Olympiastützpunkts. Worin besteht seine Aufgabe?
In erster Linie sind alle Olympiastützpunkte Dienstleister für die Athletinnen und Athleten und die Trainerinnen und Trainer. Wir bieten drei große Bereiche an: Das Gesundheitsmanagement, also die Kooperation mit Kliniken und niedergelassenen Ärzten bei Verletzungen. Die duale Karriere, wir versuchen zu ermöglichen, dass Athletinnen und Athleten neben dem Sport ihre schulische, akademische oder berufliche Laufbahn weiterverfolgen können – selbst mit einem Olympiasieg hat man noch ein Leben nach dem Sport. Wir arbeiten mit verschiedenen Unternehmen, Institutionen und Universitäten zusammen.
Und der dritte Bereich ist die Leistungsoptimierung. Wir haben Trainingswissenschaftler und Sportpsychologen, die den Athletinnen und Athleten mit verschiedensten Analysen zur Seite stehen und vielleicht noch ein halbes Prozent herauskitzeln. Denn auf allerhöchstem Niveau macht diese Kleinigkeit oft den Unterschied zwischen Gold und Platz fünf.
Haben zumindest einige deutsche Olympioniken nach ihrer aktiven Karriere ausgesorgt?
In Sportarten, die sich rein olympisch definieren, ist das eigentlich nicht möglich. Auf einem Top-Level reden wir von knapp 1500 Euro monatlich von der Sporthilfe plus projektbezogene Sonderprämien für Athleten und Athletinnen, die sich zum Beispiel auf Olympia vorbereiten. Bei der Bundeswehr erhält man einen regulären Sold. Also geht das berufliche Leben nach der aktiven Karriere erst los.
Ausnahmen bilden die Mannschaftssportarten wie Fußball oder Handball, dazu Tennis und Golf. Bei moderneren Disziplinen wie Surfen oder Klettern kommen noch Social-Media-Reichweiten dazu, die man nicht unterschätzen darf. Hannah Meul, unsere erfolgreichste Kletterin, hat wahrscheinlich mehr Reichweite als viele unserer anderen Athleten zusammen.
Zur Person: Daniel Müller (38) geboren und wohnhaft in Leverkusen, Studium an der DSHS Köln, zunächst im Marketing von Bayer 04 tätig, anschließend sechs Jahre Geschäftsführer der 2. Basketball-Bundesliga GmbH. Seit 2019 leitet Müller den Olympiastützpunkt NRW/Rheinland.
Köln bezeichnet sich gerne als Sportstadt. Doch Vereine klagen immer wieder über teils miserable Infrastruktur-Bedingungen. Und Spitzensportler und Spitzensportlerinnen haben Schwierigkeiten, ihre Ausgaben zu decken. Ist Köln eine Sportstadt?
Es gibt keine klare Definition des Begriffs „Sportstadt“. Köln hat viele erfolgreiche Profi-Sportarten und eine breite Vereinsstruktur. Die Deutsche Sporthochschule sitzt hier, der Olympiastützpunkt, das Sport- und Olympia-Museum. Die Vielfalt an Kontakten im Bereich Sport ist in Köln gegeben. Insgesamt sind wir hier ganz ordentlich aufgestellt. Natürlich wünscht man sich immer mehr. Aber es muss realisierbar bleiben – es gibt ja nicht nur Sport.
Was genau wünschen Sie sich?
Aktuell ist bei uns die Infrastruktur noch nicht so, wie wir sie uns wünschen. Wir sind derzeit ein Mieter im Gästehaus der SpoHo. Die Räumlichkeiten waren nicht für diagnostische Zwecke vorgesehen. Wir hoffen, dass wir uns im Zuge des Umbaus des Radstadions infrastrukturell auf ein besseres Level heben können. Wir freuen uns, wenn wir dort in die Räumlichkeiten einziehen können.
Hockey-Weltmeister Timur Oruz hat zusammen mit anderen Sportlern den „Verbund Kölner Athleten“ ins Leben gerufen, der den Sportlerinnen und Sportlern unter anderem bei der Sponsoren-Suche helfen soll. Oruz hat dem Olympia-Stützpunkt vorgeworfen, eine Kooperation zu verweigern, aus Angst, der Verbund könnte zu einer Konkurrenz des Stützpunktes werden.
Erst einmal finde ich es grundsätzlich sehr gut, wenn sich Athletinnen und Athleten selbst engagieren, ihre Stimme zu erheben und für Dinge zu kämpfen, die ihnen wichtig sind. Es ist ja auch für den Wettkampf ein Erfolgsfaktor, wenn ich in meiner Disziplin über die Fähigkeit verfüge, mich gegen Widerstände durchzusetzen. Aber in der ganzen Diskussion macht auch der Ton die Musik. Und da unterscheiden sich Verbund und Stützpunkt.
Auch die Herangehensweise ist eine andere. Nachdem zunächst bei der Stadt nach Unterstützung gefragt wurde, ist der Verbund dann doch direkt auf die Sponsoren zugegangen. Und wir versuchen natürlich auch, die Sponsoren für den Stützpunkt zu begeistern. Damit wir alle Athletinnen und Athleten unterstützen können, in einem Solidarsystem von Jung bis Alt – und nicht nur 20 herausgehobene Sportlerinnen und Sportler.
Wie sehen Sie das deutsche Sportförderungs-System im internationalen Vergleich?
Das ist schwer zu vergleichen, da gibt es ganz unterschiedliche Ansätze. So etwas wie unser Vereinssystem gibt es eigentlich nirgendwo anders, und ich halte es für einen enormen Erfolgsfaktor. Natürlich gibt es noch viel Luft nach oben, aber ich sehe uns da auf einem grundsätzlich guten Weg – auch dank des Engagements der Athletinnen und Athleten.
Es gibt inzwischen beispielsweise einen zweckgebundenen Altersvorsorge-Zuschuss der Deutschen Sporthilfe, die Fördermittel wurden erhöht, die Verbände haben mehr Geld bekommen. Ein größeres Problem ist für mich ein Wandel in der Gesellschaft, wie zum Beispiel die Leistungsmotivierung bei Kindern und Jugendlichen. Sie sollen weiter Lust auf Leistung haben. Natürlich kann man einige Dinge lockerer angehen – aber wenn es dann bei den Bundesjugendspielen gar keine Wertungen mehr gibt, ist es aus meiner Sicht nicht förderlich.
Ein Katalysator für viele Sportarten wären Olympische Spiele im eigenen Land. Seit Jahren gibt es Bewerbungs-Pläne für die Region Rhein-Ruhr. Halten Sie das für eine Utopie oder eine realistische Aussicht?
Ich würde es mir sehr wünschen. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es die Möglichkeit, verschiedenste Sportarten hautnah zu erleben und sich für sie zu begeistern. Im kleineren Maßstab hat das ja auch bei den Finals Rhein-Ruhr 2023 und den European Championships 2022 in München hervorragend funktioniert. Beim Thema Nachhaltigkeit bei den Sportstätten hat das Rheinland riesige Vorteile. Das Gastgeberland nimmt dazu viel Geld in die Hand, um den Sport zu fördern und letztlich auch im Medaillenspiegel gut dazustehen.