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„Er ist unsterblich“Argentinien nimmt tränenreich Abschied von Diego Maradona

Lesezeit 5 Minuten

Der Obelisk der Millionenmetropole Buenos Aires ist mit einem Bild Diego Maradonas und dem Schriftzug „Danke, Diego“ angestrahlt.

Buenos Aires – Nach der Nachricht von Diego Maradonas Tod greife ich umgehend zum Smartphone. „Pato, wie geht es Dir“, lautet die Nachricht an den alten Freud aus Buenos Aires, der in Madrid lebt, und, wie es sich für einen echten Argentinier gehört, den genialen Fußballer Maradona inbrünstig verehrt. „Ach“, antwortet Pato, „der Diego ist schon so oft fast gestorben, dass ich gar nicht glauben kann, dass er jetzt wirklich tot ist“.

Ihm ging es da wie vielen seiner Landsleute. „Wir wussten, dass die Nachricht von Maradonas Tod eines Tages kommen würde, doch wir haben es verdrängt“, schrieb die Tageszeitung „Clarín“ am Mittwoch, nachdem das Idol in Buenos Aires im Alter von 60 Jahren an Herzversagen verstorben war. Maradona gehörte zu Argentinien wie der Tango und Evita Perón. Er wurde geliebt, vergöttert, angebetet.

Die Nachrufe hatten die argentinischen Zeitungen am Río de la Plata lange schon vorbereitet. Denn Maradona war seit vielen Jahren ein kranker Mann und dem Tod oft sehr nah: Alkohol, Kokain, Tabletten, Übergewicht, Stress – er ließ nichts aus, lebte wie ein Rockstar aus den 60er Jahren. „Wenn er dieses Leben fortführt, dann stirbt er bald“, sagte sein Arzt Alfredo Cahe schon 2007, als der Star wieder einmal danieder lag. Dass Maradona noch 13 Jahre weiterlebte, dürfte als mittleres medizinisches Wunder gewertet werden.

Absolute Heldenverehrung

Sein Herz, so ist zu lesen, war am Ende doppelt so groß wie das einer gesunden Person. Vor einigen Jahren hatte er sich den Magen verkleinern lassen. Drei Wochen vor seinem Tod wurde er wegen einer Gehirnblutung operiert worden, wovon er sich letztlich nicht mehr erholte.

Der Weltmeister von 1986 beendete seine Fußballer-Karriere 1997 mit 37 Jahren. Danach gelang ihm zwar nicht mehr viel. Seine Ausflüge ins Trainermetier, ob beim argentinischen Nationalteam oder bei Al Wasl in Dubai, verliefen wenig erfolgreich. Zudem blödelte er als Moderator durch argentinische TV-Shows.

Der Sarg Maradonas wird zum Friedhof gebracht.

Seinem Status als Volksheld Argentiniens tat all das jedoch keinen Abbruch. Diego ist ein im Land weit verbreiteter Name, doch wenn ein Argentinier „el Diego“ sagt, schwingt Ehrfurcht mit, denn es kann nur einer gemeint sein: Diego Maradona. Die Heldenverehrung ist südländisch und absolut. Die Demontage eines Heroen, wie sie in Deutschland gern genüsslich zelebriert wird, gehört nicht zu dieser Mentalität.

Geboren wurde Maradona in Villa Fiorito, einem Arme-Leute-Viertel am Rand von Buenos Aires, in dem die sogenannten „caras sucias“ leben, die schmutzigen Gesichter. Er war das fünfte von acht Kindern des Fabrikarbeiters Diego Maradona Senior und seiner Frau Dalma. Für seine Herkunft schämte er sich nicht – im Gegenteil. Maradona verstand sich als Anwalt der einfachen Leute, und die betrachteten Maradona wiederum als einen der ihrigen. Wenn schon die Politiker nicht für sie kämpften, so tat es Maradona.

Im Zwist mit der Fifa

Gern legte er sich mit Obrigkeiten wie Vertretern des Weltfußball-Verbandes Fifa an. Die lateinamerikanischen Sozialistenführer Hugo Chávez und Fidel Castro waren seine Freunde, auf seinen Oberarm hatte er ein Porträt von Che Guevara tätowieren lassen. Überall witterte er Verschwörungen. Das Endspiel der WM 1990 in Rom, das Deutschland durch ein Elfmeter-Tor von Andreas Brehme 1:0 gewann, war für ihn wegen des umstrittenen Strafstoß-Pfiffs stets ein „gestohlenes Finale“. Mit Brasiliens Fußball-Legende Pelé lag er häufig im Zwist, denn Maradona betrachtete ihn als einen Vertreter des Establishments. Die Fifa hatte Pelé im Jahr 2000 zum Fußballer des Jahrtausends gewählt, während die Fußball-Fans in einer Abstimmung für den Argentinier votierten.

Tränengas bei der Trauer

Sein größtes Problem war wohl dies: Maradona umgab sich meist mit Menschen, die sich in seinem Ruhm sonnen wollten: Berater, Verwandte, die ihn in seinen Ausschweifungen nicht stoppten, sondern sogar bestätigten. Maradonas Drama machen die Menschen aus, die ihn umgeben, sagten sie in Argentinien oft – und fühlten mit ihm.

Die Trauerfeierlichkeiten, die in dieser Woche in Buenos Aires stattfanden, waren, sehr passend zum bewegten Leben des Volkshelden, ein höchst chaotisches Spektakel. Maradonas Sarg wurde auf Wunsch des Präsidenten Alberto Fernández im Regierungssitz „Casa Rosada“ zur öffentlichen Kondolenz aufgestellt. Eine Welle brach los. Aus dem ganzen Land reisten Menschen an, um sich von Maradona zu verabschieden. Oder auch, um ihm einfach zu danken, wie ein Fußball-Fans im TV-Interview bemerkte. Man sah sogar Anhänger in Trikots der verfeindeten Vereine Boca und River Plate, die sich weinend in den Armen lagen.

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Der Andrang war so groß, dass vermutlich fünf Tage nicht gereicht hätten, um alle Menschen am Sarg vorbei zu schleusen. Maradonas Ex-Frau Claudia Villafañe gewährte laut argentinischer Presse jedoch nur einen Tag für die Öffentlichkeit. Es kam zu größeren Tumulten im Innenhof der „Casa Rosada“, Tränengaseinsatz inklusive – alles live im Fernsehen übertragen. Und das, wo auch in Argentinien noch Abstands- und Versammlungsregeln wegen des Corona-Virus gelten. Die kleine liberale Partei „Republicanos Unidos“ erstattete deshalb Anzeige gegen Fernández.

Und es ereignete sich eine sehr geschmacklose Geschichte. Drei Helfer des Bestatters posierten am offenen Sarg des toten Maradona. Mit erhobenen Daumen. Das Foto veröffentlichte einer der Männer in den sozialen Medien – und sorgte für große Empörung.

Kampf um das Erbe

Beerdigt wurde Maradona schließlich auf einem privaten Friedhof im Nordwesten von Buenos Aires im Kreise der Familie. Die argentinische Presse erwartet, dass bald ein komplizierter Kampf um das Erbe des Idols ausbrechen wird. Maradona hinterlässt nicht nur sieben Geschwister, sondern auch drei Töchter aus der Ehe mit Claudia Villafañe und drei Enkelkinder sowie drei von ihm anerkannte uneheliche Kinder.

In Kuba gibt es drei weitere Kinder, die behaupten, Maradona sei ihr Vater. Sie alle können sich um ein Vermögen streiten, dessen Höhe nicht bekannt ist. Sicher sei nur, berichten argentinische Medien, dass Maradona ein paar Wohnungen in Buenos Aires gehörten, Schmuck, zum Beispiel Brillanten, die er gern an den Ohren trug, vier Luxus-Limousinen.

Mein Freund Pato hat sich viele Videos von Toren und Spielen Maradonas angesehen, oft mit Tränen in den Augen, wie er gesteht. Inzwischen ist ihm klar, dass Maradona wirklich nicht mehr unter uns weilt. Einen wie ihn, meint er, werde es nie wieder geben: „Er ist unsterblich.“