2:0-Achtelfinalsieg über DänemarkDeutschland durchquert den Sturm

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Kai Havertz ließ sich von Regen und Sturm nicht aus der Ruhe bringen und verwandelte den Strafstoß sicher zum 1:0.

Kai Havertz ließ sich von Regen und Sturm nicht aus der Ruhe bringen und verwandelte den Strafstoß sicher zum 1:0.

Die deutsche Elf schlägt Dänemark an einem denkwürdigen Abend in Dortmund 2:0

Es war lange nach Mitternacht, und noch immer fiel der Regen aus dem Himmel über dem Dortmunder Stadion. „Wird aber jetzt weniger“, redeten sich die Leute allenthalben ein, und tatsächlich waren die Sturzbäche von den Tribünendächern versiegt, deren Bilder allein genügt hätten, um aus dem 2:0 (0:0)-Sieg der deutschen Elf im EM-Achtelfinale über Dänemark einen Klassiker zu machen. Doch dieser erste deutsche Sieg in einem K.o.-Spiel seit der EM 2016 hatte weit mehr geboten als das zünftige Unwetter mit Blitz, Donner, Starkregen und einer 25-minütigen Spielunterbrechung. „Es war ein wildes, ein skurriles Spiel. Die ersten 20 Minuten waren die besten im Turnier“, fasste Julian Nagelsmann später zusammen.

Nach faszinierendem Beginn hatte Nagelsmanns Mannschaft früh wie der sichere Sieger ausgesehen. Wie die Schotten beim 5:1 der DFB-Elf zum Turnierauftakt trieben die Dänen hilflos dahin, unfähig, ihren Plan auf den Rasen zu bringen. Dann aber hatten sich offenbar Zweifel eingeschlichen, was auch daran gelegen haben dürfte, dass Nico Schlotterbecks Führungstreffer nach einem Eckball wegen einer irregulären Blockstellung Joshua Kimmichs zurückgenommen worden war. Es gehört zu den einstudierten Abläufen im Offensiv-Kopfball, den Weg freizuräumen für den eigenen Zielspieler, und der Plan war perfekt aufgegangen. Doch in den Augen des englischen Schiedsrichters hatte Kimmich zu aktiv geblockt. Tatsächlich hatte der Rechtsverteidiger deutlich mehr getan, als seinem Gegner einfach nur im Weg zu stehen. Dennoch war es eine harte Entscheidung – das frühe Tor hätte die deutsche Dominanz wohl zementiert. Dänemark sah in dieser Phase nicht wie eine Mannschaft aus, die einen solchen Rückschlag hätte überwinden können. Stattdessen waren die Dänen mit ihren wehrhaften Zentrumsspielern ins Spiel gekommen, hatten viele Bälle gewonnen und den Deutschen etwas gegeben, worüber sie nachdenken mussten.

Manuel Neuer musste einen frühen Konter stoppen, der deutsche Angriff stockte, und wenn Dänemark am Ball war, hatte Nagelsmanns Elf Schwierigkeiten, Zugriff zu finden. „Man merkt der Mannschaft an, dass sie manchmal Dinge erzwingen will. Wir haben noch immer Phasen im Spiel, in denen nicht alles klappt – und gleich rattert es in den Köpfen. Das ist gar nicht notwendig“, urteilte der Bundestrainer.

Die wildesten Minuten des Turniers Dann kamen die Wasser des Chaos, eine 25-minütige Unterbrechung und nach der Halbzeitpause die bis dahin verrücktesten Momente des Turniers. In der 48. Minute ging Dänemark in Führung. Eriksens Freistoß trudelte durch den deutschen Strafraum, wo zunächst Delaney den Ball verfehlte, ehe Joachim Andersen flach ins lange Eck traf. Die Situation wurde überprüft, und obgleich es sagenhaft knapp war, ergab die Messung: Delaney hatte im Abseits gestanden. Zwar nur Zentimeter, doch wer den Computer mitspielen lässt, muss anhand der Datenlage entscheiden – Ermessen ist nicht vorgesehen.

So ein Spiel mit Widerständen zu gewinnen, als Favorit, das macht mich stolz
Bundestrainer Julian Nagelsmann

Die deutschen Fans jubelten ohrenbetäubend, als der Schiedsrichter die Hand hob und Andersen enttäuschte. Doch nur eine Minute später wurde es noch schlimmer für Dänemark: David Raum flankte von links, und obwohl ein paar Zuschauer im Stadion wegen der eigenwilligen Flugbahn des Balls irritiert waren, hätte sich wohl niemand beschwert, wäre das Spiel einfach weitergegangen. Doch wieder meldete sich der Videoassistent, es gab Handelfmeter: Andersen hatte den Arm zwar nicht absichtlich, aber mindestens fahrlässig und definitiv strafbar in die Flugbahn des Balls bewegt.

Wie schon gegen Schottland übernahm Kai Havertz den Elfmeter, lief an, verzögerte, und traf mit links. Dänemarks Keeper Kasper Schmeichel verzeichnete zwar vor und nach dem Strafstoß mehrere herausragende Paraden. Doch gegen Havertz’ Ball war er chancenlos. Deutschland war überlegen, spielte teils mitreißend. Aber es dauerte bis zur 68. Minute, ehe das 2:0 fiel. Schlotterbeck jagte einen Ball die linke Flanke hinunter und schickte Musiala steil, der nun wie mit Julian Nagelsmann in der Regenpause besprochen endlich seine Tempovorteile gegen Andersen ausnutzte und nach langem Sprint zum 2:0 traf – und seinem Gegenspieler wohl endgültig das Herz brach.

Julian Nagelsmann hat sich mit dem Viertelfinaleinzug des ganz großen Drucks bei der Heim-EM entledigt – wenngleich der Bundestrainer mehr will.

Julian Nagelsmann hat sich mit dem Viertelfinaleinzug des ganz großen Drucks bei der Heim-EM entledigt – wenngleich der Bundestrainer mehr will.

In der Schlussphase wechselten die Dänen offensiv, Nagelsmann wechselte defensiv dagegen – und brachte zudem Florian Wirtz, der im Konter das 3:0 erzielte. Doch auch dieses Tor ließ der Video-Schiedsrichter wegen einer Abseitsstellung zurücknehmen. So war es bei allem Unglück der Dänen, die sich nach drei Unentschieden in der Gruppenphase ohne Sieg von der EM verabschiedeten, ein vollends verdienter Erfolg der DFB-Elf. „So ein Spiel mit Widerständen zu gewinnen, als Favorit, das macht mich stolz“, schloss Nagelsmann, der sich nun auf das Viertelfinale am Freitag in Stuttgart freut.

Deutschland: Neuer - Kimmich, Rüdiger, Schlotterbeck, Raum (81. Henrichs) - Andrich (64. Can), Kroos - Sané (88. Anton), Gündogan (64. Füllkrug), Musiala (81. Wirtz) - Havertz; Dänemark: Schmeichel - Andersen, Vestergaard, Christensen (81. Bruun Larsen) - Bah (81. Kristiansen), Delaney (69. Nørgaard), Højbjerg, Maehle - Skov Olsen (69. Poulsen), Eriksen - Höjlund (81. Wind); Schiedsrichter: Oliver (England); Tore: 1:0 Havertz (53., HE), 2:0 Musiala (68.); Zuschauer: 62.000 (ausverkauft).

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