Niemand muss sich seiner Tränen schämen, doch gilt es nun, die Trauer zu überwinden und ein guter Gastgeber zu bleiben.
Kommentar zum Aus gegen SpanienEin Team wie dieses hat der deutsche Fußball lange Zeit nicht erlebt
So vieles fühlte sich falsch an am deutschen Aus im Viertelfinale der Heim-EM gegen ein ebenfalls fantastisches Spanien. Dass zwei Mannschaften, die ihre Gruppen gewonnen hatten, so früh im Turnier aufeinandertrafen, bedeutete ein Dilemma. Einer würde das Fest verlassen müssen, und angesichts der spanischen Stärke hatte man in Betracht ziehen müssen, dass es den Gastgeber erwischen könnte.
Nach den 120 Minuten von Stuttgart war klarer denn je: Gemessen an den bisherigen Turnierleistungen hätte es keine Mannschaft im Wettbewerb an diesem Abend geschafft, einen der Kontrahenten zu schlagen, die am Freitag wohl das Spiel des Turniers lieferten.
Wenn der Gastgeber die Party zu früh verlässt
Es ist ein besonderes Unglück, dass es die Deutschen traf, die zum Beispiel bei der Heim-WM 2006 bis zum Finalwochenende dabei geblieben waren und sich damals zwar ebenfalls in Stuttgart aus dem Turnier verabschiedeten. Allerdings in einer magischen Nacht nach einem Sieg im Spiel um Platz 3 über Portugal, der das nicht weniger tränenreiche Aus im Halbfinale gegen Italien vergessen half. Alles fühlte sich gut an damals, und es folgten gute Jahre für den deutschen Fußball, gekrönt mit dem WM-Titel 2014.
Im Schmerz der Niederlage fällt es schwer, den Blick nach vorn zu richten, doch kann das eine Hilfe sein. Denn es gibt Anlass für Optimismus. Die Mannschaft wird ihren aufregenden Stil beibehalten. Jamal Musiala und Florian Wirtz etwa sind längst nicht auf der Höhe ihrer Kunst, sie werden Maßstäbe setzen.
Überhaupt ist die deutsche Elf wieder in der Lage, Spanien in einem K.o.-Spiel an den Rand des Aus zu treiben. Ein Duell wie das am Freitag in Stuttgart, mutig geführt und voller Tempo und fußballerischer Brillanz, lag in den vergangenen Jahren außerhalb jeder Vorstellung. Nun darf man sich auf weitere glanzvolle Auftritte der DFB-Elf freuen.
Abgesehen vom fußballerischen Potenzial war am Freitagabend in Stuttgart jedoch vor allem zu beobachten, welche Bedeutung die Nationalmannschaft wieder hat, und zwar auf beiden Seiten des Geschehens: Als Julian Nagelsmann über seine Mannschaft sprach, rührte er sich selbst zu Tränen. Ein Team wie dieses hat der deutsche Fußball lange Zeit nicht erlebt. Nagelsmann und die innere Führung um Rudi Völler und Andreas Rettig haben entscheidenden Anteil daran, dass die DFB-Elf Lust hat auf Leistung und ein Miteinander, für das der DFB stehen will.
Auf der anderen Seite bewies das Leiden der Fans, wie hoch die Identifikation mit dieser Mannschaft wieder ist. Der Fußball ist ein rätselhaftes Spiel, und am Ende gewinnen eben nicht immer die Deutschen. Wer den Klubfußball jahrein, jahraus begleitet, kennt das Gefühl der umfassenden Niederlage und empfindet alles Leid als Investition ins Schicksal. Man kann schließlich nicht immer verlieren; irgendwann wird man ins Stadion gehen und dabei sein, wenn die eigene Mannschaft über sich hinauswächst. Am Ende geht es um Wahrscheinlichkeiten. So denken jedenfalls Fußballfans.
Wer überwiegend zu Turnieren seine Leidenschaft für den Fußball entdeckt, erlebt nun ungewohnte Qualen, und tatsächlich erlitt Deutschland am Freitag eine außergewöhnlich schreckliche Niederlage. Doch das gehört dazu, und obwohl man nie zu traurig über ein verlorenes Fußballspiel sein darf, musste sich niemand blöd vorkommen, weil er von Nagelsmanns Tränen gerührt war.
Die gemeinsame Trauer wird der deutschen Mannschaft und ihren Fans über die Tragödie von Stuttgart hinweghelfen, und alle Beteiligten werden gut daran tun, den Faktor Schiedsrichter bald auszuschließen aus ihren Gedanken und stattdessen zu versuchen, in der verbleibenden Turnierwoche ein guter Gastgeber zu sein.
Und schon bald Frieden zu schließen mit diesem Turnier, das für die deutsche Elf trotz aller Tränen und einem um mindestens ein Spiel zu frühen Aus ein Erfolg gewesen ist.