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Nach dem 2:0 über UngarnNagelsmanns Plan geht auf, die Abläufe im DFB-Team sitzen

Lesezeit 4 Minuten
Bundestrainer Julian Nagelsmann sah am Mittwoch in Stuttgart eine reife Leistung seiner Mannschaft.

Bundestrainer Julian Nagelsmann sah am Mittwoch in Stuttgart eine reife Leistung seiner Mannschaft.

Die Zuständigkeiten sind klar definiert, das hilft vor allem den Strategen İlkay Gündoğan und Toni Kroos.

Die Tribünen lagen schon fast verlassen da, als noch einmal Bewegung in die Fotografenschar im Stuttgarter Stadion kam. Begleitet vom langjährigen Bundespersonenschützer überkletterte Julian Nagelsmann die Barriere, die eigentlich dafür gedacht ist, Übertritte von der Tribüne auf den Rasen zu verhindern statt umgekehrt. Doch nun verschaffte sich der Bundestrainer Zugang zum öffentlichen Bereich der Arena und schloss seine Lieben in die Arme, noch bevor er sich zur Pressekonferenz begeben hatte.

Es wurde ausführlich geherzt und geküsst, dann musste Nagelsmann aber wirklich aufs Podium. Den Weg dorthin absolvierte er joggend, einmal quer über den Rasen, auf dem seine Spieler zuvor Ungarn 2:0 (1:0) besiegt hatten. Dabei schlurften ihm bereits jene Nationalspieler entgegen, die nach dem Duschen noch rasch die Möglichkeit wahrnehmen wollten, vor der Rückfahrt ins Camp noch ihren Familien nahezukommen. Bei den Sicherheitskräften sorgten diese Zusammenkünfte für Betriebsamkeit, die verbliebenen Fans waren begeistert. Und die Fotografen gingen beglückt ihrer Arbeit nach. Dabei hätten die DFB-Stars pokern können: Nagelsmann ließ am Donnerstag erneut die Tore des Teamquartiers für die Angehörigen der DFB-Auswahl öffnen. Familienzeit war angesagt nach dem Vormittagstraining.

Nagelsmann ist nicht nur ein glänzender Taktiker. Der 36-Jährige ist außerdem stark darin, Befunde zu erstellen und auf den Punkt zu präsentieren. Gleich nach dem Schlusspfiff hatte er die Bundestrainergarderobe gegen Shorts und Shirt getauscht, um es bequemer zu haben auf der Busfahrt heim ins Fränkische. Die Augenblicke in der Trainerkabine hatten ihm genügt, die Partie soweit auszudeuten. „Es war ein schweres Spiel, ein unangenehmer Gegner. Wir haben zu viele Standards zugelassen und einige Momente überstehen müssen. Aber es war eine reife Leistung. Im November hätten wir dieses Spiel nicht gewonnen“, teilte Nagelsmann mit.

Die deutsche Elf hat seit dem Herbst tatsächlich gewaltige Entwicklungsschritte getan und ihre Abläufe gefunden. Individuell stach erneut İlkay Gündoğan hervor, der am Mittwoch sogar als Spieler des Spiels ausgezeichnet wurde.

Toni Kroos und İlkay Gündoğan bestimmen das deutsche Spiel

Im Vergleich zum 5:1-Auftaktsieg über die Schotten hatte sich der Profi des FC Barcelona noch einmal gesteigert. Die Arbeitsteilung zwischen Gündoğan (33) und Toni Kroos (34) war erneut ein bestimmender Faktor des deutschen Auftritts. „Wenn wir uns nur für eine Millisekunde anschauen“, sagte Gündoğan, „wissen wir, was der andere denkt oder vorhat – so eine Verbindung ist auf dem Platz unfassbar wichtig“, beschrieb Gündoğan seine Verbindung mit dem sechsmaligen Champions-League-Sieger. Man habe zu einer „gewissen Balance“ gefunden.

Dabei blickte Gündoğan bislang gerade bei Turnieren auf eine eher trübe Bilanz im DFB-Trikot zurück. Bei der EM 2012 bestritt er kein Spiel, die WM 2014 und die EM 2016 verpasste er verletzt. Vor dem WM-Debakel 2018 posierte er mit Recep Tayyip Erdoğan auf dem längst historischen Foto, das eine Affäre auslöste, die Gündoğan immerhin deutlich besser bewältigte als Mesut Özil, der tief gefallene Weltmeister. Bei der EM 2021 funktionierte Gündoğan nicht an Kroos’ Seite. Beim Vorrunden-Aus in Katar 2022 war der Mittelfeldmann Teil des deutschen Desasters.

Toni Kroos war gegen Ungarn etwas weniger auffällig, verzeichnete jedoch erneut mehr als 140 Ballkontakte.

Toni Kroos war gegen Ungarn etwas weniger auffällig, verzeichnete jedoch erneut mehr als 140 Ballkontakte.

Nun kommen Gündoğans aus dem Klubfußball bekannten Stärken Jahren auch in der Nationalelf zum Vorschein, und Julian Nagelsmann hat großen Anteil daran. „İlkay hat sehr viel gearbeitet, sehr viel Kontakt mit uns außen gehabt und versucht, das Spiel zu lenken. Er hat es extrem clever gemacht“, befand der Bundestrainer, ehe er grundsätzlich wurde: „Wir müssen ihm alle mehr vertrauen in diesem Land.“

Auch am Mittwoch bildeten Kroos und Gündoğan das Steuerungselement zu den deutschen Kreativkünstlern Jamal Musiala und Florian Wirtz. Doch gab es einen zusätzlichen Faktor im Spiel der DFB-Elf: Robert Andrich. Wie in den erfolgreichen Jahren bei Manchester City, als Rodri in Gündoğans Rücken wirkte, spielt der 33-Jährige nun auch für Deutschland deutlich weiter vorn. Das funktioniert, weil Andrich die Räume hinter Gündoğan schließt. Und auch Toni Kroos profitiert von Andrich. Denn während Kroos zeitweise neben oder auch zwischen die deutschen Innenverteidiger ausweicht, um sich den Gegnern zu entziehen, bleibt Andrich allein im Zentrum und hält die Position. Allerdings ist Andrich auch in der Nationalmannschaft weit mehr als der Mann fürs Grobe. 49 Pässe spielte der Leverkusener am Mittwochabend, 44 davon fanden einen Mitspieler. Eine glänzende Quote und ein Indiz dafür, wie verwoben die Aufgaben im deutschen Team sind.

Er hat es extrem clever gemacht. Wir müssen ihm alle mehr vertrauen in diesem Land.
Julian Nagelsmann über İlkay Gündoğan

Mit dem zweiten Sieg im zweiten Gruppenspiel stand die Qualifikation für das Achtelfinale bereits fest. Am Sonntag (21 Uhr) spielt die deutsche Elf in Frankfurt gegen die Schweiz im direkten Duell um den Gruppensieg. Ein Unentschieden würde der DFB-Auswahl für Platz eins reichen, als Gruppensieger spielten die Deutschen dann ihr Achtelfinale in Dortmund. Sollten sie die Gruppe auf dem zweiten Platz beschließen, ginge es für Nagelsmanns Team in Berlin weiter.

Schon die Fans in Stuttgart hatten von einer Reise nach Berlin gesungen, meinten allerdings das Endspiel am 14. Juli. „Ich singe nicht mit, ich muss meinen Job machen. Aber die Atmosphäre finde ich super, es herrschte eine geniale Stimmung. Die Fans dürfen träumen. Unser Job ist es, sie weiter träumen zu lassen.“