Die Aufgabe gegen die Ungarn war schwieriger als die gegen Schottland, doch Deutschland löste sie
Kommentar zum zweiten GruppenspielDeutschland zeigt die Qualität, die ein Turniersieger braucht
Die Nacht von Stuttgart bestätigte zunächst die nicht allzu steile These, dass Ungarn nicht Schottland ist. Außerdem war Ungarn nicht das Ungarn, das am ersten Spieltag dieser Europameisterschaft nach einem ziemlich dürren Auftritt 1:3 gegen die Schweiz verloren hatte. Dieses Ungarn, das sah man am Mittwochabend in Stuttgart von der ersten Minute an, war ein Ungarn, das sich zusammenreißen und seine Chance auf die K.o.-Runde retten wollte. Und gegen das die Deutschen zuvor in drei Turnierspielen nacheinander nicht hatten gewinnen können.
Daher sah Deutschland am Mittwoch auch nicht aus wie das Deutschland, das am Freitag gegen die Schotten zum Auftakt einen Sieg voller Flair und Finesse geholt und Fußball-Europa verzückt hatte. Allerdings durften die Zuschauer im tosenden Stuttgarter Stadion in der Gewissheit den Heimweg antreten, eine deutsche Mannschaft gesehen zu haben, die Aussichten auf den Sieg bei diesem Turnier hat.
Julian Nagelsmann hat eine Elf geschaffen, die mit einer klaren Rollenverteilung auftritt und schon allein dadurch mehr ist als die Summe ihrer Teile. Die Lenker Kroos und Gündoğan wirken in vollständig unterschiedlichen Zonen des Spiels, und doch scheinen sie stets verbunden durch die gemeinsame Idee, ihre Kollegen zum Strahlen zu bringen. Es war frappierend, wie die Deutschen Ball und Gegner über das Spielfeld bewegten. 70 Prozent Ballbesitz bei einer Passquote von 93 Prozent. Das war absolute Weltklasse gegen eine ungarische Mannschaft, die ins Spiel gegangen war, um der deutschen Elf alle Räume zu nehmen und zu Fehlern zu zwingen.
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Es waren diese Passfolgen, mit denen Deutschland sich dem Tor näherte, bevor der Gegner überhaupt bemerkt hatte, dass er in höchster Gefahr war. Wer sich an die abgelaufene Bundesliga-Saison erinnert fühlte: Gündoğans 2:0 war ein Beleg auch dafür, dass Nagelsmann Teile von Xabi Alonsos Stil übernommen hat. Auch die Leverkusener setzen ihren Gegner einem Passgewitter aus und drängen ihn so lange zurück, bis ihm nichts mehr einfällt.
Das deutsche 2:0 hatte eine kühle Grausamkeit, und den zuvor so kampfeswilligen Ungarn war anschließend jeder Mut genommen. 7:1 Torschüsse zugunsten der deutschen Elf gab es nach dem 2:0 noch zu sehen. Es ist eine Qualität dieser deutschen Mannschaft, nicht nachzulassen und die Hoffnungen des Gegners zu zerstören.
So gesehen war das zweite EM-Spiel der DFB-Elf erkenntnisreicher als das fulminante erste. Dass Musiala und Wirtz glänzen können, Kroos und Gündoğan feine Füße haben und Kai Havertz Schaden anrichtet, wenn man am wenigsten damit rechnet – das alles war bekannt. Dass die Mannschaft aber auch ein Fundament aus Physis und Willensausdauer hat, das es ihr erlaubt, Ungarn zwar Momente zu geben, aber insgesamt über 90 Minuten zu dominieren – das ist die eigentliche Qualität dieser Elf, die es zu beweisen galt. Eine Qualität, mit der man Turniere gewinnen kann.