AboAbonnieren

Exklusiv

EM-Erfolg für die Türkei
Kölner Salih Özcan zu EM-Euphorie: „Fans tragen uns durch das Turnier“

Lesezeit 6 Minuten
Der Kölner Salih Özcan (oben) feiert mit Jungstar Arda Güler nach dem dramatischen 2:1-Sieg gegen Österreich den Einzug der Türkei ins EM-Viertelfinale.

Der Kölner Salih Özcan (oben) feiert mit Jungstar Arda Güler nach dem dramatischen 2:1-Sieg gegen Österreich den Einzug der Türkei ins EM-Viertelfinale.

Am Samstag trifft die Türkei im EM-Viertelfinale auf die Niederlande. Der Kölner Salih Özcan spricht über das brisante Duell und seine Umstände.

Ehrenfeld, das ist die Heimat von Salih Özcan. Hier, im so bunten, multikulturellen und hippen Stadtteil im Kölner Westen, lebt immer noch die Familie des 26-jährigen Fußballprofis. Und in Ehrenfeld wird Özcan, der über 14 Jahre lang das Trikot des 1. FC Köln trug, am Samstag ganz besonders die Daumen gedrückt. Denn mit der türkischen Nationalmannschaft kämpft der Mittelfeldspieler am Samstag (21 Uhr) im Berliner Olympiastadion gegen die Niederlande um den Einzug ins EM-Halbfinale. Das hatten der „Milli Takim“ zuvor nicht so viele zugetraut.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ sprach mit Özcan über die große türkische EM-Euphorie, Jungstars, worauf es gegen die Niederlande ankommt und über politische Diskussionen. Zudem äußert sich der Kölner, der bei Borussia Dortmund unter Vertrag steht, zu seiner Zukunft und der seines Heimatklubs 1. FC Köln.

Herr Özcan, die EM hat sich aus Köln verabschiedet, Sie halten im Viertelfinale mit der Türkei die Kölner Fahne hoch. Auch in Ihrer Geburtsstadt wurde der Achtelfinal-Sieg gegen Österreich frenetisch von den türkischen Fans bejubelt. Gibt das Ihrem Team noch einmal den Extra-Kick?

Salih Özcan: Ja, das ist so. Es ist der Wahnsinn, was unsere Fans bisher veranstaltet haben. Nach den Spielen bekomme ich immer gleich Videos zugeschickt – ob von der Party auf den Kölner Ringen oder in meiner Heimat Ehrenfeld. Nicht von meiner Familie, Verwandten oder Freunden, die sind ja bei den Spielen mit 30 oder 40 Leuten selbst im Stadion. Wir Spieler genießen das extrem. Die Fans tragen uns durch das Turnier und machen die Spiele zu echten Heimspielen. Natürlich motiviert das einen noch einmal zusätzlich. Wissen Sie, im türkischen Fußball, bei der Nationalmannschaft, gab es schon lange nicht mehr solche Erfolgserlebnisse zu feiern, die Zeiten waren nicht immer leicht. Deshalb genießen es auch alle türkischen Fußballfans derzeit noch mehr. Und fast jeder Türke ist Fußballfan (lacht)…

Was sind die Gründe für den Aufschwung Ihrer Mannschaft?

Ich sage das jetzt nicht nur so daher: Aber jeder Spieler fühlt sich hier bei der Nationalmannschaft wie in einer großen Familie. Klar, jeder will natürlich am liebsten immer spielen, aber es murrt auch keiner herum, wenn das mal nicht oder vielleicht nur ein paar Minuten der Fall ist. Die Egos werden hintangestellt, nur der Erfolg der Mannschaft zählt. Das gilt auch für mich. Gegen Tschechien habe ich von Beginn an gespielt, gegen Österreich dann bin ich nach einer Stunde eingewechselt worden. Aber der Trainer hat es mir genau erklärt, deshalb bin ich jetzt auch nicht unzufrieden oder so. Und durch die Siege zuletzt sind wir auch in einen Flow gekommen, das Selbstvertrauen ist merklich gestiegen. Und natürlich haben wir in unserer Truppe auch ein paar Jungs dabei, die spielen in Topklubs. Das sollte man nicht vergessen.

Ich sage das jetzt nicht nur so daher: Aber jeder Spieler fühlt sich hier bei der Nationalmannschaft wie in einer großen Familie
Salih Özcan über einen wichtigen Faktor für den türkischen Erfolg

Welche Rolle spielt Trainer Vincenzo Montella? Es ist ja kein Geheimnis, dass Sie zu seinem Vorgänger Stefan Kuntz ein besonderes Verhältnis hatten.

Natürlich habe ich Stefan einiges zu verdanken, und wir hatten eine sehr gute Zeit unter ihm. Vincenzo Montella hat mir aber auch von Anfang an das Gefühl gegeben, dass er auf mich setzt, dass er mich mit meinen Qualitäten und meiner Erfahrung braucht. Wir haben ja ein ziemlich junges Team. Ich finde gut, dass er den Spielern ihre Freiheiten lässt, ihnen auch nicht ein System überstülpt. Er findet das richtige Maß.

Sie sprachen Ihr junges Team an. Die 19-jährigen Arda Güler und Kenan Yildiz sind in aller Munde. Werden Sie die Mannschaft in Zukunft prägen?

Ich bin manchmal selbst erstaunt, wie gut die Jungs mit 19 schon sind (lacht). Arda ist ein Feintechniker, der sich unglaublich gut in den Räumen bewegt und dazu einen starken Abschluss hat. Nicht umsonst spielt er bereits bei Real Madrid. Kenan ist explosiver und bringt auch alles mit. Wenn es so weiterläuft, dann stehen sie vor großen Karrieren.

Jetzt treffen Sie am Samstag im Viertelfinale auf die Niederlande. Auf was wird es ankommen?

Das Spiel gegen Österreich war schon unser bisher schwierigstes Spiel, die Österreicher haben viel Qualität und uns leiden lassen. Und die Niederländer haben in der Summe noch einmal bessere Einzelspieler. Wir wissen, dass wir wohl nicht so oft den Ball haben werden. Wir müssen in der Defensive erst einmal mindestens mit derselben Entschlossenheit und Leidenschaft wie gegen Österreich spielen und Fehler unbedingt vermeiden. In der Offensive werden wir wieder unsere Nadelstiche setzen. Aber ich kann versprechen: Wir werden uns nicht verstecken. Das können wir vor unseren wahnsinnigen Fans auch gar nicht.

Ich denke, das Wort Hexenkessel wird für die Atmosphäre nicht ausreichen. Das dürfte stimmungstechnisch für jede der bisherige Karrierehöhepunkt sein
Özcan über die zu erwartende Atmosphäre im EM-Viertelfinale am Samstag in Berlin gegen die Niederlande

Viele gehen davon aus, dass die Stimmung im Olympiastadion in Berlin noch mal getoppt wird. Und sie?

Ich denke, das Wort Hexenkessel wird für die Atmosphäre nicht ausreichen. Unsere Fans werden Gas geben, aber auch die Holländer sorgen bekanntlich für eine super Stimmung. Für jeden, der auf dem Platz steht, dürfte das wohl stimmungstechnisch der bisherige Karrierehöhepunkt sein. Die Vorfreude ist riesig.

Derzeit wird einiges von politischen Diskussionen überlagert. Und nicht nur, weil sich Staatspräsident Erdogan am Samstag im Stadion angesagt hat. Ihr Teamkollege Merih Demiral zeigte gegen Österreich den „Wolfsgruß“ und ist von der Uefa gesperrt worden. Wie geht die Mannschaft mit dieser Situation um?

Natürlich registriert man die Diskussionen, aber ich kann Ihnen ganz klar sagen, dass wir Spieler das nicht zu sehr an uns ranlassen. Wir dürfen das auch nicht, unser Fokus muss alleine auf den Platz gerichtet sein. Wir müssen und werden ihn ersetzen. Merih ist natürlich ein wichtiger Spieler für uns und wird uns definitiv fehlen. Mehr will und kann ich dazu auch nicht sagen.

Generell sollte man dem Gegner immer Respekt zollen. Und dazu gehört es auch, bei der Hymne Respekt zu zeigen und nicht zu pfeifen
Özcan über Pfiffe bei der Nationalhymne des Gegners

Kritisiert wurde, dass die türkischen Fans die Hymne des Gegners auspfeifen. Wie ist da Ihre Meinung?

Unsere Fans sind voller Leidenschaft und großartig, generell sollte man dem Gegner immer Respekt zollen. Und dazu gehört es auch, bei der Hymne Respekt zu zeigen und nicht zu pfeifen. Das ist meine Meinung. Ich bin aber klar davon überzeugt, dass die ganz große Mehrheit der Fans der gleichen Meinung ist.

Wie geht es mit Ihnen nach der EM weiter? Es gibt Gerüchte, sie könnten Borussia Dortmund trotz Vertrags bis 2026 vorzeitig verlassen. Besiktas, Galatasaray oder Marseille sollen Interesse haben.

Ich habe selbst meinen Beratern gesagt, dass sie mich im Falle von Anfragen im Turnier damit vollkommen in Ruhe lassen sollen (lacht). Mich interessieren diese Gerüchte derzeit überhaupt nicht, mich interessiert jetzt nur die EM. Ich werde nach meinem Sonderurlaub dann auch wieder beim BVB auf der Matte stehen und das Training aufnehmen. Ich habe einen Vertrag bis 2026 bei Borussia und bin glücklich, wir werden in der kommenden Saison eine sehr gute Mannschaft beisammenhaben.

Gilt das auch für Ihren Heimatklub 1. FC Köln? Der ist mal wieder aus der Bundesliga abgestiegen.

Klar, der Abstieg tat weh, auch mich hat er nicht kalt gelassen. Denn ich verfolge weiterhin alles beim FC. Der FC ist weiterhin mein Herzensverein, zu dem ich vielleicht irgendwann auch noch einmal zurückkehre. Was die neue Saison angeht, bin ich aber trotz der Transfersperre guter Dinge. Der Verein hat fast alle prägenden Spieler gehalten. Ich bin zuversichtlich, dass dem FC der direkte Wiederaufstieg gelingt.