Franz Beckenbauer 75Was er anfasste, wurde zu Gold – bis ihn das Schicksal einholte
- Der „Kaiser“ hat als Spieler alles gewonnen und war als Teamchef 1990 Weltmeister.
- Der Münchner war Vater der WM 2006, deren Folgen ihn wie privates Unglück und Krankheit spät ereilten.
- Unser Autor Frank Nägele blickt auf das bisherige Leben einer außergewöhnlichen Figur des deutschen Fußballs zurück.
Köln – Wenn Jungs vor einem halben Jahrhundert auf der Wiese Fußball spielten, haben sie sich selbst die Namen großer Spieler gegeben, weil das Shirt mit Nummern und Namen auf den Rücken als Marketingprodukt noch nicht erfunden war. Die Spieler hatten auch in echt noch keine Namen auf den Rücken. Man kannte sie ja. Wer etwas konnte, durfte als erster rufen: „Ich bin Overath!“ Ein anderer, der auch etwas können musste: „Ich Netzer!“ Und wer froh war, überhaupt mitspielen zu dürfen, wagte sich vielleicht bis Schwarzenbeck oder Höttges vor.
Kein Junge, der halbwegs bei Verstand war, hätte aber gerufen: „Ich bin Beckenbauer.“ Man hätte ihn ausgelacht, ihm den Ball weggenommen oder nach seiner Mama gerufen. Niemand konnte Beckenbauer sein, da hätte man ebenso gut Pelé sein können. Wir Jungs in dem Alter kannten den Begriff Gotteslästerung noch nicht, aber den Umstand, den dieser Begriff beschreibt, kannten wir alle.
Beckenbauer hatte unglaubliches Ballgefühl
Franz Beckenbauer war einer, der mit dem Fußball konnte, was allen anderen in unserem Land von Geburt an verwehrt blieb. Dieser Ball, der uns nie so recht gehorchen wollte, war ein Teil seiner selbst. Alles, was die beiden miteinander anstellten, war von einer unbeschreiblichen Perfektion und Leichtigkeit, wie Zauberei. Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Fähigkeiten des Spielers Beckenbauer in ihre Einzelteile zu zerlegen, wie es Scouts heute tun.
Es mochte Dinge geben in diesem Spiel, die er manchmal nicht wollte. Aber es gab nichts, was er nicht konnte. Mit dieser Selbstverständlichkeit des Begnadeten schwebte Franz Beckenbauer durch ein atemberaubendes Leben, das ihn zum vielfachen Meister, Europa-Pokalsieger, Europameister und Weltmeister als Spieler machte, zum Weltmeister als Trainer, zur Ikone des FC Bayern München, zum Beschaffer der Fußball-Weltmeisterschaft des Jahres 2006 in Deutschland, die diese Nation für vier Wochen in einen Glücksrausch versetzte.
An diesem Freitag wird Franz Beckenbauer 75 Jahre alt. Wer ihn sieht bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten, erkennt ihn nicht wieder. Franz Beckenbauer ist dünn geworden. Seine Stimme klingt zerbrechlich. Sein Gesicht ist ausgezehrt und zweifelnd nach drei schweren Herzoperationen und dem Tod seines Sohnes Stefan, der 2015 an den Folgen eines Gehirntumors starb.
Die Umstände seiner gelungenen WM-Bewerbung, die dem deutschen Fußball mit dem Votum des Weltverbandes im Jahr 2000 einen Kick gab, von dem er bis heute profitiert, sind nie restlos aufgeklärt worden. Die Schweizer Justiz hat die Ermittlungen vor kurzem unter skandalösen Umständen wegen Verjährung eingestellt. An Beckenbauer bleibt der Verdacht hängen, persönlich von dunklen Geldflüssen und Rechtehandeln profitiert zu haben. Er bestreitet das bis heute vehement.
Beckenbauer bezahlt hohen Preis
Die Wahrheit hinter der Wahrheit, die niemand aufklären können wird, ist: Franz Beckenbauer bezahlt in der späten Phase seines Lebens einen hohen Preis für das, was ihm immer zugefallen schien. Daran, dass er die wichtigste Figur in der Geschichte des deutschen Fußballs ist, ändert das aber nichts.
Franz Beckenbauers Leben schien 70 Jahre lang nach einer einfachen Formel zu verlaufen: Die eine Hälfte wurde ihm geschenkt, die andere wurde ihm verziehen. Sein Talent war schon in der Jugend des SC 1906 München in Obergiesing so außergewöhnlich, dass er sich an für andere gültige Regeln nicht halten musste. Diese Geschichte von den elf Freunden hat er nie geglaubt. Das Überragende an Franz Beckenbauers Fußballkunst wirkte stets auch wie Verachtung für die Mitspieler.
Gerd Müller war für FC Bayern essentiell
Nur einen hat er über sich gestellt: Gerd Müller, der beim FC Bayern die Tore schoss. Ohne ihn, davon ist auch der „Kaiser“ überzeugt, hätte es den FC Bayern so nicht gegeben. Zu Beckenbauers 75. Geburtstag hat die ARD eine 45-minütige Doku ausgestrahlt, man beleuchtet das Leben des Genies rauf und runter und hat Listen gemacht mit seinen besten Sprüchen, in denen sich zufällige Geistesblitze mit dem größten Unsinn lustig vermischen. „Ich habe nie eine Rede gehalten, ich habe immer nur gesagt, was mir eingefallen ist“, ist ein glaubhaftes Bekenntnis.
Der Postbeamten-Sohn aus der Zugspitzstraße, der beim FC Bayern schon eine Million Mark verdiente, als der Verein zehn Millionen Mark Umsatz machte, hat äußerlich mehr Wandlungen durchgemacht als ein Top-Model bei einer Prêt-à-porter-Modeschau. Vom stotternden Jungstar, der mit schwerem Akzent seinen Satz in der Suppenwerbung aufsagte („Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch“) wurde er zum Schlagersänger („Gute Freunde kann niemand trennen“), zum DFB-Kapitän, der Bundestrainer Helmut Schön nach der Niederlage gegen die DDR bei der WM 1974 im eigenen Land entmachtete und mit der von ihm umgestellten Mannschaft den WM-Titel gewann, zum Steuerflüchtling, der sich in New York an der Seite von Pelé zum Weltmann wandelte, zum Faktotum der „Bild“-Zeitung, zum Teamchef der Nationalmannschaft, die 1990 den WM-Titel in Rom holte.
Er gewann Preise, Awards, Titel und erreichte im Hubschrauber während der WM 2006 („Sommermärchen“) eine Omnipräsenz, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg niemand besaß. Wie er das alles gemacht hat, weiß kein Mensch. Sicher ist, dass er es nicht alleine gemacht hat. Beckenbauer war der erste deutsche Fußballer, der von einem persönlichen Manager zum Superstar und Millionär entwickelt wurde.
Dieser Mann hieß Robert Schwan (1921 - 2002) und stand zu seinem Schützling in einem ähnlichen Verhältnis wie Colonel Tom Parker zu Elvis Presley. Schwan betrachtete Beckenbauer als seinen Gold-Esel und ruhte nicht eher, bis der letzte Dukat zum Vorschein kam. Beckenbauer erinnert sich an die Anfänge: „Da habe ich einen Werbevertrag mit einer Haarcreme gemacht. Ich bekam 800 Mark. Als Robert Schwan das hörte, sagte er: »Bist du verrückt, du musst 8000 Mark nehmen, nicht 800.« Ab da habe ich ihn das machen lassen.“
Kriminelle Methode
Allerdings kam bei Schwans Gewinnmaximierung in den 70er-Jahren ein Steuersparmodell zum Einsatz, das sich als kriminell erwies und Beckenbauer 1977 zur Flucht in die USA zwang. Jeder andere wäre durch diesen Vorgang erledigt gewesen, aber der „Kaiser“ hat es bis zu seinem 70. Geburtstag verstanden, durch jede Krise zu wachsen, bis er überlebensgroß wurde. Seine Manager änderten die Namen, aber das Prinzip blieb lange Zeit erfolgreich, bis ihn ganz spät der Fluch seiner WM im eigenen Land einholte.
Franz Beckenbauer hat sehr viele in jeder Hinsicht erstaunliche Sätze gesagt, aber nur einen, der in seiner Tiefe an Kant, Schopenhauer und Nietzsche heranreicht. Es ist der Satz, mit dem er als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft vor jedem Spiel in die Zukunft blickte: „Schau’n mer mal.“ In diesen drei Worten, die von der Öffentlichkeit als Kondensat des Beliebigen gedeutet wurden, steckt die Weisheit großer Philosophien und Religionen. In diesen drei Worten wird die Bereitschaft formuliert, sich den Läufen eines Lebens zu fügen, dessen Netz von Ursache und Wirkung für die Erkenntnis eines Einzelnen unergründbar bleibt.
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Sie beziehen die Möglichkeit des Scheiterns ausdrücklich ein und führen das Menschliche bereits als Entschuldigung dafür an, allerdings mit einer Gelassenheit, die das Gewinnen doch wieder wahrscheinlicher macht. Denn was kann einer verlieren, der in einen Kampf geht mit dieser Erkenntnis des „Schau’n mer mal?“ Höchstens die Gleichmut.
Franz Beckenbauer scheint das in den letzten Jahren seines Lebens passiert zu sein. Die Schar der Gratulanten ist lang und prominent. „Es ist eine große Ehre für mich, ihn zu kennen, und ich bewundere ihn. Ich wünsche ihm vor allem Gesundheit“, sagt der aktuelle Bundestrainer Joachim Löw. Er hätte auch sagen können: „Lieber Franz Beckenbauer, schau’n mer mal.“