Den Nachweis, über die speziellen Qualitäten zu verfügen, die ein Bundestrainer benötigt, hat Julian Nagelsmann bislang nicht erbracht.
Kommentar zur DFB-TrainersucheJulian Nagelsmann ist eine naheliegende, aber auch riskante Wahl
Diesmal könnte Julian Nagelsmann immerhin mit einer freundlichen Perspektive in die neue Aufgabe starten: Es wird ihm kaum gelingen, erneut erfolgloser zu sein als sein Vorgänger Hansi Flick. Als Nagelsmann einst den FC Bayern von Flick übernahm, sah das anders aus. Denn obgleich Flicks zweites Jahr in München ebenfalls durch frühe Enttäuschungen in Pokal und Champions League geprägt war, hatte er mit insgesamt sieben Titeln Maßstäbe gesetzt, die Nagelsmann nicht erfüllen konnte. Nur wusste Nagelsmann das damals nicht.
Nun ist Nagelsmann offenbar wieder Flicks Nachfolger – ob er anschließend auch erneut Thomas Tuchels Vorgänger gewesen sein wird, muss sich noch erweisen. Zunächst aber wird der 36-Jährige die Nationalmannschaft durch eine EM im eigenen Land führen. Eine einmalige Gelegenheit für Nagelsmann, weshalb er wohl leicht zu haben war für den DFB, der sich für eine sehr naheliegende und trotzdem riskante Lösung entschieden hat.
Nagelsmann ist einer, der sich gern auf der großen Bühne sieht. Beim FC Bayern inszenierte er sich als schlagfertiger, hochintelligenter Coach, der eine Idee vom Fußball hat und die dazu passende Vermittlungskompetenz. Allerdings ließ Nagelsmann selten die Gelegenheit aus, sich als den klügsten, lustigsten oder zumindest wichtigsten Mann im Raum zu präsentieren. Das könnte eine Frage der Persönlichkeit sein, allerdings liegt es näher, diese Neigungen mit Nagelsmanns Jugend zu erklären.
Woraus sich die Frage nach Nagelsmanns Eignung für das Amt des Bundestrainers ergibt: Ist dieser 36-Jährige der Mann, den man nicht nur für seine Analyse schätzt und die taktischen Ideen, sondern den man mag, dem man vertraut? Und ist Nagelsmann einer, der einen Fußball spielen lassen kann, der anders als der einer Vereinsmannschaft eher pragmatisch als stilbildend sein muss? Ist Julian Nagelsmann gefestigt genug?
Nagelsmann verlor mehrfach die Kontrolle
In seiner späten Phase beim FC Bayern war Nagelsmann auffallend nervenschwach. Nannte Schiedsrichter „Pack“, strafte Spieler öffentlich ab, sah die Schuld für schwache Auftritte stets bei der Mannschaft. Und schien vor allem sich selbst nahe, als er seine Zeit in der Krise statt mit dem Team bei der neuen Partnerin verbrachte, einer ehemaligen Bayern-Reporterin der „Bild“-Zeitung. Für eine derart öffentliche Person ein indiskutabler Vorgang, der sich nachhaltig ausgewirkt haben dürfte auf Nagelsmanns Verhältnis zu den Spielern des FC Bayern, die er nun wiedersehen wird.
Nagelsmanns Talent als Fußballlehrer ist enorm. Die Nationalmannschaft zu führen, erfordert allerdings Qualitäten, die er bisher nur bedingt unter Beweis gestellt hat.