Erste Meisterschaft nach 30 JahrenWie Jürgen Klopp Liverpool vom Titel-Trauma erlöste
- Der FC Liverpool ist englischer Meister, zum ersten Mal seit 30 Jahren.
- Vater des Erfolgs ist der deutsche Trainer Jürgen Klopp, der nun endgültig Legenden-Status in Liverpool genießt.
- Der frühere BVB-Coach reagierte überwältigt vom Erfolg seiner Mannschaft.
Manchester/Liverpool – Es gibt Situationen, auf die man sich nicht vorbereiten kann, auch wenn genug Zeit dafür ist. Man kann sich nur vorstellen, wie es sein könnte, wenn sie eintreten. Der FC Liverpool befand sich auf einer Prozession in dieser Saison in der Premier League. Kein Konkurrent konnte auch nur annähernd mithalten mit dem Klub aus Merseyside. Im November führte die Mannschaft von Trainer Jürgen Klopp Titelverteidiger Manchester City vor. An Weihnachten zerlegte Liverpool den Überraschungsverfolger Leicester City. Im Januar wurde auch Erzfeind Manchester United souverän beiseite geschoben. Spätestens seitdem stand fest, dass Liverpool Meister wird – zum ersten Mal seit 30 Jahren.
Doch als es dann auch rechnerisch so weit war, nach der 1:2-Niederlage des Tabellenzweiten Manchester City beim FC Chelsea am Donnerstagabend, da wusste Klopp nicht, wie er mit dem Moment umgehen sollte. „Ich habe keine Worte, ich bin komplett überwältigt“, sagte er in einer Video-Schalte mit Sky Sports, sichtlich geschafft, mit Tränen in den Augen.
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Meister mit Liverpool, das hätte er nie zu träumen gewagt, sagte er, und was wirkte wie Koketterie, das kann man ihm guten Gewissens glauben. Kaum jemand hätte ja bei seiner Ankunft in England im Oktober 2015 damit gerechnet, dass es ihm gelingt, den Verein von den Fesseln der Geschichte zu befreien und den seit 1990 dauernden Meister-Fluch zu beenden.
Die Jagd nach dem Titel ist für den FC Liverpool zur Obsession geworden. Den Champions-League-Pokal in der abgelaufenen Saison hätten viele Fans liebend gerne gegen die Meisterschaft getauscht. Jetzt ist ihre Sehnsucht erfüllt, mit dem insgesamt 19. nationalen Titel für den Klub, dem ersten im Zeitalter der Premier League.
Wegen der Bedeutung des Titels war es nicht überraschend, dass viele Fans die Corona-Regeln ignorierten und sich am Stadion an der Anfield Road versammelten. Im Schein bengalischer Fackeln wurde gefeiert, als würde es den Virus nicht geben. Möglicherweise deutete die Reds-Gemeinde den Titel sogar als Sieg über die Pandemie. Der Lockdown hatte die Meisterschaft ja mehr in Frage gestellt als jeder Gegner.
Genüsslich hatten missgünstige Beobachter spekuliert, dass die Saison abgebrochen und Liverpools bevorstehender Titel annulliert werden könnte. Klopp musste sich sogar mit der Frage befassen, ob die Meisterschaft weniger wert ist wegen der besonderen Umstände, wegen leerer Stadien. Er hat seine eigene Antwort gefunden: „Dies ist die schwerste Saison, um Meister zu werden. Eine unterbrochene Saison gab es nie zuvor.“
Liverpool könnte den 100-Punkte-Rekord brechen
Das gab es nie zuvor, das lässt sich auch über die Leistung seiner Mannschaft sagen. Liverpool ist mit sieben verbleibenden Spielen der früheste Meister überhaupt und könnte noch den Rekord von 100 Punkten brechen, den Manchester City vor zwei Jahren aufgestellt hat.
Die Erlösung vom Titel-Trauma ist der vorläufige Höhepunkt der Verwandlung des FC Liverpool seit Klopps Ankunft. Der Trainer hat die Fans wieder begeistert und Anfield den Status als Festung zurückgegeben. Er hat mit Hilfe unzähliger Analysten und der finanziellen Unterstützung der US-Klub-Eigentümer der Fenway Sports Group eine Mannschaft gebaut, die seinem Ideal entspricht. Er hat ihr eine unverwüstliche Mentalität verpasst. „Eine Maschine auf der Höhe ihrer Kraft“, so nennt der „Guardian“ Klopps Liverpool.
Steven Gerrard fordert Klopp-Statue
Doch es dauerte eine Weile, bis Klopp seine Wunsch-Elf zusammen hatte, bis die notorische Abwehrschwäche behoben war und Liverpool auch gegen kleinere Mannschaften verlässlich Siege einfuhr. Es flossen Tränen auf dem Weg, vor allem nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Real Madrid 2018. Mit dem Gewinn der Meisterschaft ist Klopp endgültig zur Legende geworden in Liverpool, genau so, wie ihm das schon bei Mainz 05 und Borussia Dortmund gelungen war. Steven Gerrard, Liverpools langjähriger Kapitän, dem nie eine Meisterschaft vergönnt war, fordert sogar eine Statue für den Trainer. „So lange Jürgen da ist, können wir uns noch auf viele schöne Tage freuen“, sagt Kenny Dalglish, der wohl größte Spieler der Klubgeschichte und Liverpools letzter Meistertrainer. Sein Spitzname lautet: King Kenny. Jürgen Klopp ist jetzt: King Klopp.