Interview zu Sportswashing im Fußball„Es wäre einseitig, allein Katar anzuklagen"
Köln – In Zürich werden am Montag (18.00 Uhr/ Sky Sport News HD) die Qualifikationsgruppen für die Fußballweltmeisterschaft in Katar 2022 ausgelost. Weil Deutschland in den Lostopf eins einsortiert ist, muss die Elf nicht befürchten gleich in der Vorausscheidung auf Größen wie Frankreich, Portugal, England oder Spanien zu treffen. Mit einem Gruppensieg wäre das deutsche Team direkt für Katar qualifiziert. Das Emirat stampft im Schnellverfahren futuristische Stadien aus dem Wüstenboden. Erbaut von Gastarbeitern, deren Lebensbedingungen immer wieder kritisiert werden.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat den Begriff „Sportswashing“ geprägt. Damit gemeint ist, dass Länder die Strahlkraft des Sports nutzen, um das eigene Image reinzuwaschen. Wie der Nachbar Saudi-Arabien hofft Katar auf ausländische Investoren und eine Bühne, um die eigene Stärke zu demonstrieren. Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Sporthochschule Köln, erklärt im Interview die Strategie arabischer Staaten und Einflussnahme in Deutschland.
In welchem Ausmaß betreibt Katar Sportswashing?
In dem Ausmaß und mit dieser strategischen Zielrichtung wie Katar hat sich bislang noch kein Staat des Sports bedient. In Katar geht Sportswashing mit der Transformation des ganzen Staates, vor allem der Infrastruktur und der ökonomischen Einnahmequellen, einher. Schon vor rund 20 Jahren wurde begonnen, Sportinfrastruktur bzw. Sportstätten aufzubauen und Akademien für den Nachwuchs zu gründen. Und das durchaus mit Erfolg. 2015 wurde Katar im Handball Vizeweltmeister, 2019 im Fußball Asienmeister und hat dabei Südkorea und Japan geschlagen.
Die große Öffentlichkeit richtet aber auch einen Scheinwerfer auf Themen wie etwa die Situation der Gastarbeiter in Katar. Geht die Strategie also überhaupt auf?
Im Zuge ihrer Berichterstattung über die Vergabe großer Sportereignisse an Katar oder Saudi-Arabien haben die Medien Missstände in diesen Staaten durchaus kritisch beleuchtet. Wenn die Spiele dann aber beginnen, tritt die Kritik in den Hintergrund. Großereignisse der letzten Jahre zeigen, dass das Prinzip des Sportswashings aufgehen kann.
Zur Person
Jürgen Mittag forscht an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSH) zu Sportpolitik, sozialen Bewegungen und Verbänden. Seit 2011 ist er Professor für Sport und Politik an der DSH und leitet das Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitstudien.
Ein Beispiel sind die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking oder die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Beiden Staaten ist es zumindest temporär gelungen, eine Imagekorrektur in die Wege zu leiten, die allerdings dann von anderen Ereignissen wieder überlagert wurde.
Und die WM 2022 könnte dieser Strategie Katars nochmal einen Schub versetzen.
Die WM markiert gewissermaßen die Krönung des Ganzen. Katar sichtet schon seit längerem Talente aus der ganzen Welt, um ihnen dann bei Vereinen wie dem KAS Eupen in der belgischen Liga Spielpraxis zu eröffnen. Dass Katar nicht nur im Fußball Spieler zahlreicher anderer Nationalitäten eingebürgert bzw. mit zweiter Staatsbürgerschaft versehen hat, ist ein Ausdruck der Dimensionen, in denen man hier agiert.
Dutzende Personen sind wegen Bestechungsvorwürfen in Zusammenhang mit der WM-Vergabe an Katar angeklagt. Einige Fifa-Funktionäre sitzen in Haft, bei anderen steht das Urteil noch das. Wie bewerten sie das?
Im Zuge der Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar ist es zu erheblicher Einflussnahme und auch zu entsprechenden Finanztransfers gekommen. Man muss aber berücksichtigen, dass der Fall Katar hier keine Ausnahme darstellt, sondern dass nahezu alle WM-Bewerbungen in den letzten Jahrzehnten von einer Fülle von Begleitmaßnahmen unterstützt wurden, die wohlwollend als Sportentwicklung oder Wirtschaftsförderung charakterisiert werden können und kritisch formuliert eine korrumpierende Praxis darstellen. Es wäre also einseitig, allein Katar anzuklagen.
Die Strukturen in Deutschland sollten also ebenso kritisch betrachtet werden.
Die WM-Vergabe an Deutschland steht seit Jahren wegen einzelner Zahlungen auf dem Prüfstand. Was aber weitaus schwerer wiegt, ist der Umstand, dass im Vorfeld der Vergabeentscheidung im Jahr 2000, Zusagen für Trainingscamps oder für Aufträge in denjenigen Staaten gegeben worden sind, aus denen die maßgeblichen Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees stammten, die dann über die Vergabe der WM entschieden haben. Wir müssen vor der eigenen Haustür kehren.
Warum ist gerade der Profisport so anfällig für diese Form von Korruption?
Die Strukturen internationaler Sportorganisationen sind so ausgerichtet, dass ein sehr kleiner Kreis von Personen in der Exekutive fundamentale Entscheidungen trifft, ohne dass hier ein System der Kontrolle greift. Damit ist dieser Kreis aber für Einflussnahmen besonders anfällig.
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Bei der Vergabe der Olympischen Winterspielen 2002 an Salt Lake City ist dies erstmals in aller Deutlichkeit sichtbar geworden. Seitdem ist dieses Problem nicht von der Tagesordnung des internationalen Sports verschwunden.
Wie reagiert die Fifa darauf?
In den letzten Jahren hat es bei der Fifa grundlegende Veränderungen gegeben. Das Prozedere zur Vergabe von Sportgroßereignissen wurde derart geändert, dass nun mit dem Kongress, dem „Parlament“ der Fifa, ein weitaus größerer Personenkreis über die Vergabe entscheidet. Dass auch künftig Einfluss genommen wird, ist damit zumindest weniger wahrscheinlich.
Abseits der kritischen Sicht auf Sportswashing: Über den Sport kann es auch zu einer Annäherung zwischen Ländern kommen.
Ein bekanntes Beispiel ist die Ping-Pong-Diplomatie zwischen China und den USA. Hier bildetet der Tischtennissport in den 1970er Jahren den Ausgangspunkt für eine Annäherung beider Staaten. In Haiti war es ein Fußballspiel zwischen der heimischen und der brasilianischen Nationalmannschaft, das 2004 maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Bürgerkrieg im Land unterbrochen wurde. Die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika 2010 wiederum hat dazu geführt, dass sich in einem immer noch zerrissenen Land gesellschaftliche Gruppen des Landes angenähert haben.